Leitartikel

E-Zigaretten: Lieber dampfen als rauchen?

E-Zigaretten gelten allgemein als die ungefährlichen Schwestern der Zigaretten: Sie sehen schick aus und dienen als Statussymbol. Doch sind sie wirklich so harmlos? Und helfen sie bei der Raucherentwöhnung? Antworten auf diese Fragen gab Dr. Tobias Rüther.
E-Zigaretten: Lieber dampfen als rauchen?
E-Zigaretten: Lieber dampfen als rauchen?

Foto: Shutterstock

 

Herr Dr. Rüther, wie gefährlich oder schädlich ist die E-Zigarette?

Sie ist auf keinen Fall gesund, sie ist aber – und das ist ganz klar belegt – wesentlich weniger schädlich als die Tabakzigarette. Das sagen alle nationalen und internationalen Studien, alle toxikologischen Gutachten. Der Umstieg eines Rauchers von der Tabak- auf die E-Zigarette ist besser für seine Gesundheit. Tabakrauch enthält ca. 4.000 verschiedene Stoffe. Von 70 wissen wir, dass sie extrem schädlich sind, rund 20 sind krebserregend, aber es sind ja auch noch Arsen, Blei, Nickel und viele andere Verbrennungsprodukte dabei. In E-Zigaretten wird sogenanntes Liquid mithilfe einer Glühwendel verdampft. Es entsteht also kein Kohlenmonoxid, und es sind insgesamt weniger Stoffe enthalten. Noch besser wäre es allerdings, ganz mit dem Rauchen aufzuhören.

Welche Stoffe enthält das Liquid?

Natürlich enthält es Nikotin. Doch von allen Stoffen, die beim Rauchen entstehen, ist das Nikotin, toxikologisch gesehen, wahrscheinlich der harmloseste. In der vom Raucher aufgenommenen Dosis ist es nicht giftig. Im Liquid wird es zusammen mit der Hauptträgersubstanz Propylenglykol und etwas Glyzerin verdampft. Außerdem enthält das Liquid Zusatzstoffe, hauptsächlich Aromastoffe. Was genau enthalten sein darf, ist noch nicht gut von der EU geregelt. Die Hersteller betonen, dass alle verwendeten Aromastoffe zugelassen seien. Allerdings sind die meisten nur zum Verzehr zugelassen, nicht zum Inhalieren. Wir sagen daher: Die Nutzung von E-Zigaretten ist ein groß angelegter Menschenversuch. Wir wissen einfach noch nicht, was passiert, wenn man Propylenglykol zusammen mit Aromastoffen über viele Jahre hinweg einatmet. Es ist wahrscheinlich weniger schädlich als Tabakrauch einzuatmen, aber es ist sicher ebenfalls schädlich.

Ist die E-Zigarette ein gutes Mittel, um mit dem Rauchen aufzuhören?

Dazu existieren zwei Cochrane-Reviews, allerdings nur wenige kontrollierte Studien. Von den kontrollierten Studien höchster Güte gibt es nur drei, eine davon wurde vor Kurzem im Lancet publiziert. Demnach sieht es derzeit so aus als ob man die E-Zigarette zur Raucher-Entwöhnung nutzen kann. Studien zu Nikotinpflastern haben gezeigt, dass alleine durch das Anbringen der Pflaster rund 20 Prozent der Studienteilnehmer mit dem Rauchen aufhören. Eine englische Studie legt nun aber nahe: Wenn man einer Gruppe von Rauchern eine E-Zigarette gibt und einer anderen Nikotinpflaster schenkt, dann hören die mit der E-Zigarette nach einem Jahr hoch signifikant häufiger auf zu rauchen als die anderen: zwischen neun und 18 Prozent mehr. Von denen, die nach einem Jahr rauchfrei waren, waren allerdings immerhin noch 39 Prozent weiterhin Dampfer. Sie sind also nur auf die E-Zigarette umgestiegen. Die große suchtmedizinische Frage, die wir uns hierzu derzeit stellen, ist: Ist das gut oder schlecht?

Sollte das Ziel nicht sein, dass Menschen ihre Sucht ganz überwinden?

Natürlich. Aber man darf nicht vergessen, dass das Rauchen weltweit die größte vermeidbare Todesursache ist. In Deutschland sterben daran jeden Tag 328 Menschen, also ein Jumbojet voller Menschen. Das entspricht 120.000 Menschen im Jahr. Wir wissen: Alle Tabakentwöhnungsmethoden zusammen, auch unsere Tabakentwöhnungskurse, schaffen es höchstens, 50 Prozent der Teilnehmer pro Jahr zum Aufgeben zu bewegen. Hausärztinnen und –ärzte erreichen Werte von 20 bis 30 Prozent – was schon sehr gut ist. Rauchen ist eine schwere Suchtkrankheit, die zum Tode führt. Der durchschnittliche Raucher verliert zehn Jahre, sodass uns eigentlich alles recht ist, um diese katastrophalen gesundheitlichen Auswirkungen zu minimieren.

Im Moment sieht es so aus, dass viele Menschen, die auf eine E-Zigarette umsteigen, längerfristig auch ganz mit dem Rauchen aufhören.Das liegt daran, dass E-Zigaretten ein geringeres Suchtpotenzial haben, weil das Nikotin dabei langsamer anflutet als beim normalen Rauchen. Ein Raucher spürt bereits nach 20 Sekunden einen Kick im Gehirn. Bei E-Zigaretten geht das viel langsamer.

Wie ist das beim Nikotinpflaster?

Auch bei Pflastern, Kaugummis, Lutschbonbons, Mundsprays etc. flutet das Nikotin langsamer an. Daher können sie gut zur Raucherentwöhnung genutzt werden. Die medikamentöse Raucherentwöhnung ist aus unserer Sicht nach wie vor sehr wichtig. Viele sagen: Jetzt mit der E-Zigarette kann man endlich entwöhnen. Wir sagen: Ja, aber nur, wenn man vorher die leitliniengerechte Tabakentwöhnung probiert hat. Seit einigen Jahren gibt es dazu eine S3-Leitlinie, an der auch ich mitgewirkt habe. Sie enthält sehr gute evidenzbasierte Methoden: eine kurze Psychotherapie, Beratung, Nikotinpräparate und zwei verschreibungspflichtige Medikamente, Bupropion und Vareniclin, die sehr effizient wirken und die Aufhörrate verdoppeln können. Das wird oft vergessen.

Die Frage ist nur: Was passiert mit Menschen, die keinen Raucherentwöhnungskurs besuchen und keine Medikamente nehmen können oder wollen? Für diese Menschen könnte die E-Zigarette ein Segen sein -mit der Einschränkung, dass sie wahrscheinlich schädlicher als Nikotinpräparate ist, die nachgewiesenermaßen keine Nebenwirkungen haben. Der Königsweg ist der Kurs. Es gibt zertifizierte Kurse, die von den Krankenkassen auch bezuschusst werden.

Könnten Sie mit Ihren Kursen theoretisch alle Raucher Münchens entwöhnen?

Das könnten wir schon, aber so viele kommen nicht. Raucher sind oft ambivalent. Die meisten wollen aufhören, schaffen es aber nicht, zu einem Kurs zu gehen. Die Tabakabhängigkeit ist eine der stärksten Suchterkrankungen überhaupt – mit den höchsten Rückfallquoten. Der eigene Vorsatz, aufzuhören – wir nennen das die Silvestermethode– führt nur bei fünf Prozent dazu, dass sie nach einem Jahr rauchfrei sind. Der kurze ärztliche Ratschlag, mit dem Rauchen aufzuhören, erreicht demgegenüber immerhin schon zehn Prozent. Wenn also alle Hausärzte jedem Raucher raten würden, aufzuhören, hätten wir Tausende weniger Raucher und damit viel weniger Leid und Tod. Die meisten Ärzte haben allerdings Angst davor, dass ihre Patienten dann aggressiv werden. Das stimmt aber nicht: Die meisten wollen sowieso aufhören und warten sogar regelrecht darauf, dass ihnen ihr Arzt oder ihre Ärztin dazu rät.

Ist die E-Zigarette dazu geeignet, die Rauchmenge zu reduzieren, dass Raucher also weniger „normale“ Zigaretten benutzen?

Auch dazu gibt es Cochrane-Reviews, die besagen, dass sich die Lungenfunktion beim Dual Use von E-Zigaretten und Zigaretten verbessert. Das Problem ist nur, dass dabei die Aufhörraten schlechter sind. Wenn man auf die E-Zigarette umsteigt, sollte man daher vollständig umsteigen. Dann hat man die Chance, abstinent zu werden.

Wie gefährdet sind Kinder und Jugendliche durch E-Zigaretten? Ist die E-Zigarette womöglich eine Art Einstiegsdroge?

Bis vor Kurzem habe ich gesagt: ganz klar nein! Nur 0,2 bis 2 Prozent aller E-Zigarettenverwender waren laut deutschen, britischen und amerikanischen Daten „Nieraucher“, fast alle Verwender also Ex-Raucher. Bis vor Kurzem, denn mittlerweile ist ein neues Produkt auf den Markt gekommen: Juul. Die E-Zigarette verfügt über einen Pod, eine Art USB-Stick, in den man vorne eine Kapsel mit einem Verdampfer und dem Liquid einsetzt. Der Hersteller hat es damit geschafft, innerhalb von vier Jahren von einer Garagenfabrik zu einem Milliardenunternehmen zu werden. Jede zweite E-Zigarette weltweit ist mittlerweile eine Juul. Die Firma hat etwas sehr Schlaues gemacht: Sie verwendet eine neue Nikotinformulierung, ein Nikotinsalz oder -benzoat. In Kombination mit höheren Konzentrationen flutet es sehr schnell an. Die Juul verhält sich, auf die Nikotinabgabe bezogen, dabei wie eine Zigarette, hat also wahrscheinlich ein vergleichbares Suchtpotential. In den USA ist sie auf den Schulhöfen auch bei Nichtrauchern ein großes Thema, sodass ich meine Meinung revidieren musste: Juul ist ein Einsteigerprodukt, zumindest in der Konzentration wie sie in den USA verkauft wird. Dort sind im Pod 50 mg Nikotin pro ml enthalten, in Europa wird das auf 20 reduziert, weil wir zum Glück ein europäisches Gesetz dazu haben. Dadurch erreichen die hiesigen Juuls wahrscheinlich keine so starken Nikotinkonzentrationen im Blut bzw. Plasma und docken damit nicht so schnell an den Rezeptoren im Gehirn an. Das wissen wir aber noch nicht sicher, sondern beforschen es erst.

Gibt es weitere Unterschiede zwischen den E-Zigaretten?

Es gibt vier Generationen: Die sogenannten Cigalikes, die man im Supermarkt komplett mit Batterie, Liquid und Mikroprozessor kaufen kann, waren die ersten. Wenn sie leer sind, schmeißt man sie weg. Sie haben allerdings nur eine schlechte Nikotinabgabe. Dann gibt es E-Zigaretten, bei denen man die Patronen austauscht, und die klassischen Tankmodelle aus den E-Zigaretten-Läden, bei denen man das Liquid selbst einfüllt. Und es gibt die neueste Generation, die sogenannten Niedrig-Ohm- oder Sub-Ohm-Geräte. Diese Geräte haben eine besonders starke Dampfentwicklung. Man erkennt sie daran, dass Leute damit von einer Dampfwolke regelrecht eingehüllt sind. Zusätzlich gibt es neuerdings neben Juul die IQOS („I quit ordinary smoking“) von Philip Morris.

Was ist daran das Besondere?

IQOS ist ein Tabakerhitzer, den man in speziellen, sehr schicken Shops von gut aussehenden Menschen erwerben kann. Philip Morris hat damit ein neues Produkt auf den Markt gebracht, das allerdings wie ein Wolf im Schafspelz daherkommt: Indem der Tabak nicht verbrannt, sondern nur erhitzt wird, entstehen weniger Schadstoffe. Allerdings bei gleich schneller Nikotinanflutung. Das heißt, das Produkt ist wohl weniger schädlich, macht aber genauso abhängig. Das Problem ist: Zu IQOS gibt es bis jetzt nur Forschungsergebnisse von Philip Morris selbst – also keine unabhängige Forschung.

Welche E-Zigarette würden Sie Kolleginnen und Kollegen bei Patienten empfehlen, die für keinen anderen Weg der Tabakentwöhnung zu gewinnen sind?

Diesen Patienten würde ich ein ganz normales Tankmodell empfehlen und ihnen raten, vollständig auf die E-Zigarette umzusteigen. Bezüglich der Marke kann man sich beraten lassen. Allerdings sollten Ärztinnen und Ärzte vorher immer erst andere Mittel versuchen: Das Problem bei Nikotinpräparaten ist, dass sie oft falsch angewendet werden: Man sollte Nikotin hoch dosiert und bestimmt drei Monate lang geben. Genauso ist es bei den Medikamenten Bupropion oder Vareneclin. Richtig angewendet und mit einer guten Beratung kann man so nach einem Jahr auf eine Abstinenzrate von 30, 40 oder sogar 50 Prozent kommen.