Leitartikel

Divestment in der Ärzteversorgung, In Klimaschutz investieren

Die Klimakrise könnte unser Gesundheitssystem in wenigen Jahren noch viel stärker belasten als die aktuelle Coronakrise. Auf Initiative des ÄKBV-Umweltauschusses erklärte PD Dr. Christian Schulz, Anästhesist und Intensivmediziner am Klinikum rechts der Isar, im Gespräch mit den MÄA, wie die Ärzteversorgung zum Klimaschutz beitragen könnte.
Divestment in der Ärzteversorgung, In Klimaschutz investieren
Divestment in der Ärzteversorgung, In Klimaschutz investieren

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Herr Dr. Schulz, Sie fordern aus Gesundheitsgründen eine stärkere Berücksichtigung der ESG-Kriterien in der Ärzteversorgung und ein Divestment. Was ist darunter zu verstehen?

„Divestment“ bedeutet, dass man Kapital aus bestimmten Industriezweigen abzieht, also zum Beispiel aus dem Bereich der fossilen Energieträger wie der Erdölindustrie und der Kohleverstromung. „ESG-Kriterien“ wiederum ist ein eher schwammiger Begriff. Er besagt, dass ökologische, soziale und ethische Kriterien in der Kapitalanlage berücksichtigt werden sollen. Wie das jeweils ausgelegt wird, ist aber unterschiedlich. Daher kann fast jeder sagen, dass er ESG-Kriterien anwendet.

Die Bayerische Ärzteversorgung bekennt sich auf ihrer Internetseite eindeutig zu Nachhaltigkeit und den ESG-Kriterien.

Für die Bayerische Ärzteversorgung verwaltet ihre Dachorganisation, die Versorgungskammer, das Geld. Auf ihrer Homepage beschreibt sie den „Engagement-Ansatz“ und dass sie die Bank of Montreal, ihren Vermögensverwalter oder Asset Manager, bittet, ihre Stimmrechte in Bezug auf die ESG-Kriterien wahrzunehmen. Im Bericht sehen wir aber, dass unser Geld trotzdem weiter in Industrien investiert wird, die Erdöl aus Erdölsanden gewinnen oder die Kohle verstromen. Mit einem solchen Engagement-Ansatz erreichen wir also nur wenig. Darüber hinaus sind die ESG-Kriterien selbst nicht offengelegt. Wir haben also kein für uns Ärzt*innen quantifizierbares Ergebnis und wissen daher nicht, ob die Kapitalanlagen mit dem Pariser Klimaschutzabkommen konform sind. Stattdessen brauchen wir eine öffentliche Debatte darüber. Wir fordern ein quantitatives Maß, um den CO2-Fußabdruck unserer Kapitalanlagen zu beurteilen.

Schadet es nicht den Geschäftsinteressen der Ärzteversorgung, wenn die Portfolios veröffentlicht werden?

Leider glauben das zumindest die Verwalter*innen der Portfolios. Ich hingegen glaube das nicht. Durch eine Veröffentlichung wüssten wir Ärzt*innen nicht nur, dass wir unsere Renten über Investitionen wie die Kohleverstromung finanzieren, sondern auch wie viel dort investiert wird. Ein Kompromiss wäre, die Portfolios durch einen unabhängigen Drittanbieter bewerten zu lassen oder aber eine aggregierende, zusammenfassende Bewertung für die einzelnen Industriesektoren vorzunehmen. Dann müssten keine Einzelallokationen zu bestimmten Unternehmen offengelegt werden. Es geht gar nicht darum, wo jede einzelne Aktie investiert ist. Sondern wir sollten einen Index abbilden, z.B. über eine „Climate Impact Anaylsis“, mit der wir dann über einen Drittanbieter quantifizierbare Zahlen erhalten. Das würde die Geschäftsinteressen nicht verletzen.

Ist es nicht sehr teuer, Analysen durchzuführen und neue Maßeinheiten zu erstellen?

Natürlich kostet das zunächst etwas Geld, aber die Instrumente dazu existieren und die Summen sind überschaubar. Über eine „Climate Impact Analysis“ kann man ausrechnen, ob eine bestimmte Kapitalanlage mit einer Temperaturerhöhung von drei Grad oder auch nur 1,5 Grad einhergehen würde, wenn alle so wirtschaften würden. Auch für unsere Kapitalanlage ist das zu fordern. Wir Ärzt*innen möchten doch, dass unsere Gelder so angelegt werden, dass Menschen auch langfristig möglichst gesund bleiben.

Gesundheitsschutz ist sicher wichtig, aber ein Investment dient ja in erster Linie der Altersversorgung der Ärzt*innen. Kostet ein Divestment nicht zu viel Rendite?

Das ist ein gängiges Argument. Wir wissen aber aus verschiedenen Übersichtsarbeiten, dass bei Berücksichtigung klarer und eindeutiger ESG-Kriterien die Rendite mindestens genauso gut wäre. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat Anfang des Jahres ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie vor den sogenannten Nachhaltigkeitsrisiken warnt: Wenn wir auf Temperaturerhöhungen von zwei oder drei Grad zusteuern haben wir ebenfalls mit einer Renditeminderung zu rechnen. In meinen Augen ist es genau umgekehrt: die Nichtberücksichtigung von ESG-Kriterien kostet Rendite und bedeutet letztlich auch eine Verletzung der treuhänderischen Pflicht. Wenn wir so weitermachen entziehen wir uns am Ende die Grundlage unseres Wirtschaftens.

Lässt sich das irgendwie beweisen?

Leider werden oft nur Erkenntnisse aus der Vergangenheit herangezogen. Aber die Frage ist doch: Sind diese jetzt noch gültig? In den Versorgungswerken sitzen viele Personen, die teilweise seit Jahrzehnten in der Verantwortung sind. Doch seit zwei Jahren gibt es weltweit eine starke Dynamik in der Politik. Tatsächlich steht uns die größte Transformation bevor, die die Menschheit je gesehen hat. Wir müssen dekarbonisieren, also CO2-frei wirtschaften, weil wir sonst auf unserem Planeten nicht überleben können.

Gibt es überhaupt genügend nachhaltige Möglichkeiten, Kapital anzulegen?

Die gibt es definitiv. Denn erstens wird das Kapital ja nicht auf einmal umgestellt, sondern es wird über Jahre hinweg für neue Investitionen frei. Zweitens haben wir einen schnell wachsenden Markt für nachhaltige Kapitalanlagen. Drittens: Es gibt unterschiedliche Ausmaße an Nachhaltigkeit. Wenn wir das ganze Kapital ausschließlich in Windkraft und Photovoltaik investieren würden, könnten wir vielleicht Probleme bekommen, wenn wir nicht genügend Kapitalanlagen finden. Wichtig wäre aber, in einem ersten Schritt Ausschlusskriterien zu definieren. Würden wir unser Geld ganz aus der Erdöl-, der Kohle-, der Waffen- und der Tabakindustrie herausnehmen, bliebe immer noch genügend übrig, um nachhaltig, nicht gesundheitsschädlich, zu investieren. Und das Portfolio wäre immer noch breit gestreut genug, um finanzielle Risiken abzumildern.

Genügt es vielleicht schon, wenn gesundheitsbewusste Aktionär*innen wie die bayerische Versorgungskammer Druck auf die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle ausüben?

Wie wollen Sie einen Kohleverstromer per Stimmrecht dazu bringen, keine Kohle mehr zu verstromen und sich andere Geschäftszweige zu erarbeiten? Kohleverstromer bremsen diesen Prozess immer wieder ab, um ihren Ausstieg zu verzögern. Das ist als würde man versuchen, Frösche dazu zu bringen, ihren eigenen Sumpf trocken zu legen.

Warum sollten Ärzt*innen sich überhaupt mit solchen Themen befassen?

Die aktuelle Coronakrise kostet schließlich schon genügend Zeit und Energie. Erstens ist der zeitliche Aufwand, sich damit zu befassen, nicht sehr hoch. Und zweitens wird es immer teurer die Klimakrise abzumildern, je länger wir damit warten. Dazu ist die Klimakrise noch um viele Dimensionen gefährlicher als die Coronakrise. Wir müssen die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad begrenzen, um möglichst wenige sich selbst verstärkende Effekte, sogenannte Klima-Kipppunkte in Gang zu setzen. Dafür reicht unser CO2-Budget bei unserem momentanen Handeln gerade noch für sieben Jahre. Das heißt, wir haben einen unglaublichen zeitlichen Handlungsdruck. Da es außerdem eine ganz klare Verknüpfung von Klimaschutz und Gesundheitsschutz gibt, muss unsere Antwort als Ärzt*innen lauten: Wir müssen uns damit beschäftigen – dringend und trotz Corona.

Was besonders umweltschädlich ist, und was nicht, ist aber teilweise sehr umstritten.

Ich verlange nicht, dass morgen alles so gemacht wird, wie ich das denke. Was ich fordere, ist eine Debatte darüber, wie unser Geld angelegt wird. Ich möchte, dass wir Ärzt*innen uns zu unserer Verantwortung bekennen. Leider ist in der Ärzteschaft viel zu wenig bekannt, wie unser Geld angelegt wird. Laut Weltgesundheitsorganisation ist die Klimakrise der größte medizinischen Notfall des 21. Jahrhunderts – und nicht die Coronakrise. Eine planetare Krise mit dieser enormen Gesundheitsbedrohung muss für uns bedeuten, Stellung zu beziehen und zu fragen, was sie für unser Wirken und unseren Beruf bedeutet. Dazu müssen wir die Evidenz einfließen lassen, die es zweifelsfrei gibt, und daraus Konsequenzen ziehen.

Eine Corona-Infektion ist aber viel leichter nachzuweisen als ein Tod durch Luftverschmutzung.

Natürlich gibt es nicht die nachweisbare Kausalitätskette im Einzelfall. Denn die zeitlichen und räumlichen Latenzen sind größer: Wenn ich heute mehr CO2 in die Luft puste, sterbe ich wahrscheinlich nicht morgen oder in drei Wochen daran. Aber dieses Jahr zogen erstmals über dreißig Hurrikanes in einer Saison durch die Karibik und forderten Hunderte von Todesopfern. In Deutschland gab es im August eine erhebliche Übersterblichkeit aufgrund von Hitze. Und wenn wir in 100 Jahren plus acht Grad mehr haben, haben wir nichts mehr zu essen. Das ist allgemeiner wissenschaftlicher Konsens.

Sie engagieren sich auch als Oberarzt am Klinikum rechts der Isar für den Klimaschutz.

Aus eigenem Interesse habe ich letztes Jahr mit anderen Ärzt*innen gemeinsam ein Paper zu den Kapitalanlagen in der Ärzteversorgung publiziert

https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(19)30189-5/fulltext

Gemeinsam mit anderen Ärzt*innen der Klinik für Anästhesie haben wir mit großartiger Unterstützung meines Chefs, Prof. Gerhard Schneider, eine Arbeitsgruppe zum Klimawandel gegründet und erarbeiten auch am Klinikum Maßnahmen dazu. Insgesamt fünf Prozent des nationalen CO2-Fußabdrucks in Deutschland entstehen im Gesundheitssektor. Da klar ist, dass uns die Überschreitung planetarer Grenzen die Lebensgrundlage entzieht, müssen wir das angehen.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Heft Nr. 4, Erscheinungsdatum: 12.02.2021