Leitartikel

Verhütung, Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt - Ein Kind - ja oder nein?

Die Themen Verhütung und Schwangerschaft betreffen die meisten Frauen irgendwann, und auch ein möglicher Schwangerschaftskonflikt bleibt in der Ärzteschaft trotz Streichung des §219a StGB aktuell. Die MÄA sprachen mit der Ärztin Dr. Cornelia Baur und der Diplom-Sozialpädagogin Svenja Zölch von pro familia.
Verhütung, Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt - Ein Kind - ja oder nein?
Verhütung, Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt - Ein Kind - ja oder nein?

Foto: shutterstock

 

Frau Zölch, wie viele und welche Frauen berät pro familia derzeit in München?

Zölch: Unser Beratungsangebot richtet sich nicht nur an Frauen. Wir beraten Menschen aller geschlechtlichen Identitäten, jeder Kultur und jedes Alters. Unsere Beratungsangebote reichen von Familienplanung über Schwangerschaft, Partnerschaft, Sexualität bis hin zu Familie und Erziehung. Insgesamt haben im Jahr 2021 mehr als 17.000 Menschen unsere verschiedenen Beratungsstellen aufgesucht.

Und wie verhält es sich bei der Schwangerschaftskonfliktberatung?

Zölch: Hinsichtlich Herkunft und Bildungsstand ist unsere Klientel völlig gemischt. Frauen, Männer und Paare kommen in die Beratung, doch hier betrifft nur uns Frauen die gesetzlich verpflichtende Beratungsregelung nach §218 Strafgesetzbuch. Der Altersschwerpunkt bei den aufsuchenden Frauen liegt zwischen 18 und 40 Jahren. Danach folgen Frauen zwischen 40 und 50. Ihr Anteil ist höher als der von Mädchen und jungen Frauen zwischen 14 und 18 Jahren.

Wie beraten Sie die Menschen bei Schwangerschaften? Wie war das in der Pandemie?

Zölch: Vor der Pandemie haben wir ausschließlich in Präsenz beraten und Informationsfragen in unserer täglichen Telefonsprechzeit beantwortet. Während des Lockdowns hat das Staatsministerium sehr zeitnah die Möglichkeit von Video- und Telefonberatung gestattet. Pro familia hat daraufhin sehr schnell eine eigene, auf Datenschutzkonformität geprüfte Video-Plattform aufgebaut. Dadurch ergaben sich ganz neue Möglichkeiten, weil z.B. bei Frauen in einer Fernbeziehung nun auch der Partner per Video anwesend sein konnte. Auch Corona-positiv getestete Frauen mussten nicht bis zum Ende ihrer Isolation warten und konnten sich beraten lassen. In absoluten Notfällen haben wir auch eine Beratung per Telefon ermöglicht.

Baur: Inzwischen wünschen sich aber wieder mehr Klient*innen eine Beratung in Präsenz. Nur noch sehr wenige lassen sich online beraten.

Hat sich die Situation bei Verhütung und Schwangerschaftskonflikt durch die Pandemie oder die derzeitige Inflation geändert?

Baur: Auf den Wunsch zur Verhütung oder die Art der Verhütung hatte die Pandemie wenig Einfluss. Grundsätzlich steigt in allen Altersgruppen der Wunsch nach einer hormonfreien Verhütung. Ob die aktuelle Energiekrise oder die Inflation eine Rolle spielen, kann ich Ihnen nicht beantworten, doch aus meiner Sicht kommen nach wie vor Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten zu uns.

Zölch: Auch in Bezug auf die Schwangerschaftskonfliktberatung sind die Zahlen während der Pandemie etwa gleichgeblieben wie davor. Aber die Themen Überbelastung und Erschöpfung durch die gesundheitlichen, wirtschaftlichen, emotionalen und familiären Herausforderungen der Pandemie haben unserer Erfahrung nach zugenommen. Angst vor der Verantwortung und Zukunftsangst werden öfter als Gründe für einen Schwangerschaftskonflikt genannt, ebenso wie psychische Belastungen und Konflikte in der Partnerschaft. Zu enge Wohnverhältnisse und unbezahlbare Wohnungen belasten die Familien schon seit Jahren in München. Durch Homeoffice und Schulschließungen wurde diese Belastungsgrenze häufig überschritten. Unser Eindruck ist, dass das Thema Trennung in den letzten zwei Jahren etwas zugenommen hat, was sich auch in der Schwangerschaftskonfliktberatung widerspiegelt.

Wie können Sie bei pro familia Paare bei der Verhütung unterstützen?

 Baur: Bisher wissen noch zu wenig Ärztinnen und Ärzte, insbesondere Gynäkologinnen und Gynäkologen, von unserem von der Stadt München bezuschussten Verhütungsprojekt: Frauen über 22 Jahren und wohnhaft in München, die sich entweder in Ausbildung befinden und weniger als 800 Euro als Lebensunterhalt haben oder Studentinnen, die Bafög beziehen sowie Au Pairs erhalten von uns finanzielle Unterstützung für die Kosten ihres Verhütungsmittels. Gerne können Kolleginnen und Kollegen ihre Patientinnen an uns verweisen, wenn sie z.B. erfahren, dass sich die Patientin das Verhütungsmittel kaum leisten kann (Infos s. Kasten). Die Stadt München hat ein ähnliches Projekt für Menschen, die sozialhilfeberechtigt sind. Sie erhalten über die Sozialbürgerhäuser Unterstützung.

Was kann die Stadt, was könnte der Freistaat tun, um ungewollt schwangere Frauen zu unterstützen?

Zölch: Am wichtigsten ist es, Nachfolger*innen für Arztpraxen zu finden, die bereit sind Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Da von den derzeit aktiven Ärztinnen und Ärzten in München demnächst einige in den Ruhestand gehen, könnte es zu einem enorm verschärften Versorgungsengpass bayernweit kommen. Und es ist zudem notwendig, dass Ärztinnen und Ärzte, die in Bayern Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sowie Frauen, die sich dafür entscheiden, nicht stigmatisiert und angefeindet werden. Auch der Zugang bzw. die Nutzung von ambulanten Operationsräumen für die mögliche Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches sollten vereinfacht werden.

Welche Belästigungen haben Sie in den Beratungsstellen erlebt?

Zölch: Vor unserer Beratungsstelle finden in regelmäßigen Abständen Kundgebungen von Abtreibungsgegner*innen statt. Für all unsere Klient*innen, Mitarbeiter*innen und die Nachbarschaft ist das belastend. Insbesondere bei Frauen, die sich im Schwangerschaftskonflikt befinden, kann der ihnen zu diesem Zeitpunkt zustehende Schutz nicht ohne weiteres gewährleistet werden.

Dabei beraten Sie doch grundsätzlich ergebnisoffen…

Zölch: Selbstverständlich. Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist im § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) detailliert beschrieben. Die Beratung ist die Umsetzung des Gesetzes in die Praxis. Sie orientiert sich immer an der individuellen, gesellschaftlichen und sozialen Situation der Ratsuchenden – mit dem Ziel, Selbsthilfemöglichkeiten zu entfalten und zu einer persönlich verantwortlichen Entscheidung zu befähigen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau aufrecht zu halten bzw. zu erweitern ist nach wie vor ein hochaktuelles Thema. In Deutschland war bereits 1968 die zentrale Forderung, den § 218 im Strafgesetzbuch abzuschaffen. Nun sind wir im Jahr 2022, und er besteht weiterhin. Erschreckenderweise haben sich leider sogar in einigen Ländern die Gesetze für Frauen in den letzten Jahren wieder extrem verschärft und dadurch deutlich verschlechtert.

Hat sich etwas durch die Streichung des des § 219a, des Informationsverbots für Ärzt*innen zum Schwangerschaftsabbruch, geändert?

Baur: Dieses Thema betrifft eher Kolleg*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen als uns in der Beratungsstelle.

Zölch: Der Träger pro familia begrüßt diesen längst überfälligen Beschluss zur ersatzlosen Streichung des §219a. Es wäre sehr interessant zu wissen, wie sich dies bei Ärztinnen und Ärzten auswirkt – ob dadurch zunehmend mehr die wichtigen Informationen zu einem Schwangerschaftsabbruch veröffentlicht und diese offensiver als ein Bestandteil von Frauengesundheit integriert werden.

Was können ärztliche Kolleginnen und Kollegen tun, um Ihre Arbeit bei pro familia zu unterstützen?

Baur: Kolleg*innen können gerne mit mir Kontakt aufnehmen bzw. die Patient*innen an mich verweisen, wenn eine ausführliche Verhütungsberatung gewünscht ist (s. Email im Kasten). Als Ärztin von pro familia habe ich ausreichend Zeit, Klient*innen zu allen auf dem Markt erhältlichen Verhütungsmitteln zu informieren und deren Fragen zu beantworten. Des Weiteren passe ich auch Diaphragmen an und gebe Kurse zum Erlernen der natürlichen Familienplanung nach Sensiplan. Zudem suchen wir immer wieder fremdsprachige Gynäkolog*innen, die z.B. die Spirale legen können, damit wir auch Menschen, die kein Deutsch sprechen und keine Krankenversicherung haben, bei der Verhütung unterstützen können.

Zölch: Ärztinnen und Ärzte können gerne ihren Patient*innen den Kontakt von pro familia weitergeben. Denn ergänzend zu den bereits erwähnten Beratungsangeboten sind darüber hinaus die Themenbereiche Kinderwunsch, Pränataldiagnostik (PND), stille Geburt oder der Verlust einer Schwangerschaft nach einem Abort bei uns angesiedelt.

Was können / sollten Kolleginnen und Kollegen tun, um Frauen in Konfliktsituationen zu unterstützen?

Baur: Hin und wieder höre ich von Klient*innen, dass sie in die eine oder andere Richtung gedrängt wurden. Es wäre wünschenswert, das Thema Schwangerschaftsabbruch im Kontakt mit den Patientinnen wertfrei und ergebnisoffen zu besprechen.

Zölch: Wenn Ärztinnen und Ärzte, oder auch medizinische Fachangestellte, Fragen haben, die in unseren Beratungsbereich fallen, können sie sich gerne mit uns in Verbindung setzen. Auch die Information an uns, welche Praxis einen Schwangerschaftsabbruch durchführt, ist für uns hilfreich.

 

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 25/26 2022 vom 10.12.2022