Tarifverhandlungen bei MFA, Kein Geld für Fachkräfte?
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Frau König, wie ist die derzeitige Stimmung bei den MFA und warum?
Sie sind nach wie vor sehr frustriert, weil sie in der Pandemie beim Thema Coronabonus dreimal bewusst vergessen wurden und unsere Bundesregierung auch aktuell zu einer Inflationsausgleichsprämie kein Signal sendet, dass sie die Leistungen der MFA sieht. Natürlich ist die Belastung in den Praxen derzeit nicht mehr ganz so hoch wie während der Pandemie, aber inzwischen greift der Fachkräftemangel. Bereits 2022 haben wir eine Online-Umfrage unter rund 3.000 MFA zu ihrer Berufszufriedenheit gemacht. Den Ergebnissen zufolge hatte mit 46 Prozent fast die Hälfte der Befragten innerhalb eines Jahrs mindestens mehrere Male im Monat darüber nachgedacht, aus ihrem Beruf auszusteigen. Im Juni / Juli dieses Jahres waren es immerhin noch rund 39 Prozent. Das ist ein Alarmzeichen und sollte nicht nur ärztliche Arbeitgeber*innen wachrütteln, sondern auch die Politik.
Was müsste sich ändern, damit MFA zufriedener sind?
Die Hauptstellschraube ist das Gehalt. Aktuell beträgt das Einstiegsgehalt in Arztpraxen 13,22 Euro pro Stunde. An einem Gesundheitsamt oder in einer Klinik des öffentlichen Diensts sind es 15,26 Euro, also über zwei Euro mehr. Im März 2024 werden diese Gehälter erneut um mehr als zwei Euro auf 17,34 Euro steigen. Und wenn sich der Mindestlohn für qualifizierte Pflegehilfskräfte mit einjähriger Ausbildung ab dem 1. Mai 2024 auf 16,50 Euro erhöht, frage ich mich, wie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre MFA in den Praxen halten sollen. Die Konkurrenzsituation der niedergelassenen Arztpraxen ist derzeit schon schwierig, wird sich aber im nächsten Jahr erneut dramatisch verschlechtern. In den aktuellen Tarifverhandlungen (Anm. der Redaktion: Redaktionsschluss am 28.11.23) müssen wir daher versuchen, das Gehalt der MFA so weit wie möglich zu steigern, damit wir nicht noch mehr Beschäftigte an andere Branchen verlieren. Bei einer ärztlichen Honorarsteigerung von lediglich 3,85 Prozentpunkten wird uns das allerdings ohne politische Unterstützung kaum gelingen. 30 Jahre Budgetierung hinterlassen natürlich auch in Münchner Arztpraxen ihre Spuren. Die Abschaffung der Neupatientenregelung ist für viele Praxen ein weiterer Honorarverlust.
Wie könnte eine Gehaltssteigerung gegenfinanziert werden?
Sozialversicherungsfachangestellte der Krankenkassen erhalten beim Berufseinstieg, z.B. bei der IKK 17,74 Euro und für dieses Jahr noch eine Inflationsausgleichsprämie. Bei ihnen hat niemand darüber diskutiert, woher das Geld dafür kommen soll, sondern dies wird ganz selbstverständlich aus dem SGB gegenfinanziert. Auch die Tarifsteigerungen für Pflegekräfte und -helfer*innen in den Kliniken um mindestens 340 Euro pro Monat ab März 2024 werden sofort gegenfinanziert. Die Forderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung nach 300 Euro mehr für MFA hingegen ist gescheitert. Die Politik muss endlich ein deutliches Signal senden und den MFA wenigstens eine staatliche Inflationsausgleichsprämie anbieten. Oder man könnte MFA von steuerlicher Seite mehr Netto vom Brutto zahlen, etwa über einen Sondersteuertarif. Da mittlerweile viele MFA in Teilzeit beschäftigt und in einer hohen Lohnsteuerklasse sind, haben viele sehr hohe Abgaben.
Langfristig wäre die Entbudgetierung eine wichtige Stellschraube. Wir brauchen außerdem eine Honorarreform, die die Einnahmensituation im niedergelassenen Bereich endlich stabilisiert. Im Krankenhauszukunftsgesetz wird über Versorgungspauschalen von 60 Prozent nachgedacht. Warum sichert man nicht auch die Einnahmen der Arztpraxen über Versorgungspauschalen ab? Dadurch könnten auch neu niedergelassene Ärztinnen und Ärzte die Personalkosten stemmen. Wir müssen weg von der Unterfinanzierung der Leistungen im ambulanten Bereich! Diese Quadratur des Kreises funktioniert nach 30 Jahren Budgetierung einfach nicht mehr.
Geht es den MFA also nur ums Geld?
Nein. Auch Stressbelastung und Wertschätzung sind grundsätzliche Themen. Bereits 2017 wurde dies von der Universität Düsseldorf intensiv erforscht. Schon damals wünschten sich MFA nicht nur eine bessere Bezahlung, sondern auch weniger Dokumentation, mehr Anerkennung durch die Gesellschaft, weniger Multitasking, eine bessere Organisation des Praxisablaufs und mehr Fortbildungen für sich selbst und ihre Arbeitgeber*innen, z.B. zum Thema Personalführung.
Bei unserer Umfrage gaben 82 Prozent an, ihnen sei Stressprävention wichtig bis sehr wichtig. Wenn niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre Mitarbeiter*innen halten möchten, sollten sie hier ansetzen. Das Gleiche gilt für flexible Arbeitsmodelle: 99 Prozent der MFA sind Frauen. Viele haben eine Doppelbelastung durch Familie oder pflegebedürftige Angehörige. MFA wünschen sich mehr Verständnis und eine höhere Akzeptanz ihrer Leistungen, z.B. durch einen zusätzlichen freien Tag. Auch ein gutes Betriebsklima spielt eine wichtige Rolle für die Berufszufriedenheit – dass ich gehört werde und mitgestalten kann.
Seit der Pandemie ist das fordernde Verhalten der Patient*innen ein weiteres, sehr großes Problem. Jede fünfte MFA hat in den letzten drei Jahren Erfahrungen mit Gewalt am Arbeitsplatz gemacht. Doch in den Medien wird leider fast immer nur von Polizei, Feuerwehr, Pflegekräften und evtl. noch von Ärztinnen und Ärzten gesprochen.
Wie könnte die Ärzteschaft Ihnen und den MFA den Rücken stärken?
Echte Wertschätzung und echtes Lob sind genauso wichtig wie regelmäßige Gespräche. Die Arbeitgeber*innen sollten ihren Angestellten etwas zutrauen, Aufgaben an sie delegieren und ihnen Fortbildungen anbieten. Den größten Schaden hat allerdings die Politik durch das permanente Vergessen der Leistungen der MFA in der Pandemie angerichtet. Ich hoffe auf konstruktive Tarifverhandlungen mit der Ärzteschaft. Wir werden weiterhin auch politisch eine vollumfängliche und zeitnahe Gegenfinanzierung der Tarifsteigerungen fordern. Arbeitgeber*innen können uns unterstützen, indem sie mehr MFA ausbilden und so ihre eigenen Fachkräfte sichern. In der Befragung vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung gab nur knapp die Hälfte der Arbeitgeber*innen an, dass sie MFA ausbilden. Für die Ausbildung müssen die Arbeitgeber*innen ihren ausbildenden Fachkräften allerdings auch entsprechende Zeitfenster zur Verfügung stellen. Natürlich ist das in Zeiten des Fachkräftemangels schwierig. Doch auch die Zahl der Bewerber*innen um einen Ausbildungsplatz geht zurück. Insgesamt ist sie bundesweit im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozent gesunken. Ärztinnen und Ärzte müssen daher früher anfangen, Auszubildende zu suchen. Sie sollten junge Menschen für diesen Beruf sensibilisieren, sie einladen, mal „reinzuschnuppern“, sich für Schulpraktika anbieten. Wir möchten für die Notwendigkeit der Fachkräftesicherung sensibilisieren. Da gibt es bei der Ärzteschaft aus meiner Sicht noch Luft nach oben.
Ist MFA trotzdem noch ein Beruf mit Zukunft, oder würden Sie jungen Menschen eher davon abraten?
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir MFA auch angesichts des Ärztemangels in der ambulanten medizinischen Versorgung brauchen. Schon heute übernehmen viele MFA in Delegation ärztliche Aufgaben. Viele würden sich gerne noch weiterqualifizieren oder vielleicht sogar einen Bachelorstudiengang absolvieren, um als Physician Assistant oder in der Primärversorgung noch mehr ärztliche Aufgaben zu übernehmen. Das Schöne an unserem Beruf ist der Umgang mit Menschen, die vielfältige medizinische Tätigkeit gekoppelt mit den verwaltenden Aufgaben. Ich würde den Beruf nach wie vor jungen Menschen empfehlen und werde mich weiter dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden.
Haben Sie auch eine spezielle Botschaft an uns in Bayern?
Wir brauchen die aktive Unterstützung durch die bayerische Landesregierung. Ich hoffe, dass die bereits im Landtag diskutierten und genehmigten Vorschläge zur Stärkung der MFA zügig umgesetzt werden. Auch die Kommunen können etwas tun, etwa durch flexible Kinderbetreuungszeiten – wie in München, aber auch im ländlichen Raum. Finanziell können Kommunen ebenfalls unter - stützen: Aufgrund des Fachkräfte - mangels auch bei den MFA in unserem Klinikum in Stade ist zum Bei - spiel der Landkreis auch finanziell eingesprungen. MFA erhalten dort ab dem 1. Januar 2024 eine Höhergruppierung und eine weitere Gehaltssteigerung ab dem 1. Juli 2024. Wenn ihnen eine wohnortnahe ambulante Versorgung wichtig ist, brauchen Länder und Kommunen Medizinische Fachangestellte! Im vergangenen Jahr musste ein Gastroenterologe in München mehr als 500 Krebsvorsorgen absagen, weil er kein Personal hatte.
Was passiert, wenn die Probleme nicht angegangen werden?
Die Patient*innen werden in den Arztpraxen nicht mehr ihre gewohnten Ansprechpartner*innen finden. Die Wartezeiten werden länger werden. Sie werden vor den Arztpraxen lange Warteschlangen wie in der Pandemie finden. Termine zur Diagnostik und Therapie werden permanent verschoben werden müssen, denn die MFA werden mit den Füßen abstimmen und sich Arbeitgeber*innen suchen, die ihre Arbeit adäquat honorieren. Aus meiner Sicht wäre das eine große Gefahr für die ambulante wohnortnahe medizinische Versorgung. Die Leidtragenden wer - den die Patientinnen und Patienten sein. Ob Digitalisierung oder künstliche Intelligenz die Aufgaben von MFA ersetzen können, bezweifle ich stark. Eine funktionierende Digitalisierung, weniger Bürokratie und Dokumentationspflichten würden die Prozesse optimieren und Zeit für die wichtigen Aufgaben in der ambulanten Versorgung schaffen.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA Nr. 25/26 2023