Leitartikel

Tabakersatzprodukte bei Jugendlichen, cool, schmeckt, macht süchtig

Bunt, leicht verfügbar und unbemerkt konsumierbar – wer E-Zigaretten oder Pouches benutzt, verbrennt zwar keinen Tabak, kann aber trotzdem schnell süchtig werden. Mit PD Dr. Tobias Rüther von der Tabakambulanz am LMU Klinikum sprachen die MÄA über Hintergründe, Folgen und mögliche Prävention.
Tabakersatzprodukte bei Jugendlichen, cool, schmeckt, macht süchtig
Tabakersatzprodukte bei Jugendlichen, cool, schmeckt, macht süchtig

Foto: Shutterstock

Herr Rüther, wie haben sich die Zahlen beim Rauchen in den letzten Jahren entwickelt?

Durch die Tabakkontrollpolitik waren sie bis zur Coronapandemie kontinuierlich gesunken – vor allem gab es weniger Einsteiger*innen. Irgend- wann dachten wir schon, das Rauchen stirbt ganz aus, wie das ja auch die Strategie der WHO ist. Die neue DEBRA-Studie von Prof. Dr. Daniel Kotz in Düsseldorf aber besagt leider, dass die Zahl der Raucher*innen aktuell stagniert oder sogar leicht zunimmt, auch bei jungen Leuten. Die Zigarette ist mit über 127.000 Toten im Jahr in Deutschland noch immer die häufigste vermeidbare Todesursache. Im Vergleich dazu hat die gesamte Coronapandemie bislang etwa 183.000 Todesopfer gefordert. Man kann also mit der WHO sagen, dass wir noch immer eine Tabakepidemie haben. Gleichzeitig nimmt auch das Dampfen, der Konsum von E-Zigaretten, zu.

Was sind die Ursachen für die Änderungen seit der Coronapandemie?

Es ist noch ein bisschen zu früh dafür, das zu sagen. Die Papers und Untersuchungen dazu kommen noch. Es hängt sicher auch damit zusammen, dass die Tabakindustrie sehr viel mit sozialen Medien arbeitet, in denen es ja kein Werbeverbot gibt bzw. ein solches Verbot schlecht durchzusetzen ist. Dort gibt es zum Beispiel wieder Bands oder Influencer, die rauchen Bestimmte Stars, wie z.B. Montana- Black, vermarkten z.B. E-Zigaretten, auch Vapes genannt, auf Tiktok, Instagram oder Switch – mit Millionen von Followern.

Aber ist die E-Zigarette nicht besser als die Tabakzigarette?

Ich war bisher ein großer Verfechter der E-Zigarette, auch zur Risikoreduktion. Es gibt auch inzwischen gute Daten, dass man damit zu rauchen aufhören kann. Die letzte Generation von E-Zigaretten aber sind nun quietschbunte, aromatisierte Einweg- E-Zigaretten, sog. Disposables, wie Elf Bar und Co. Weltweit gibt es bei ihnen bis zu 7.000 ansprechende, oft süßliche Aromen. Allein bei der Elf Bar sind es über 20, darunter z.B. Strawberry Ice oder Pina Colada. Die Elf Bar gibt es inzwischen überall zu kaufen. Sie kostet ungefähr 10 Euro und sieht aus wie ein Stift oder Textmarker, sodass man sie jederzeit im Federmäppchen mitnehmen kann. Kein Lehrer, keine Lehrerin kann so schnell sehen, ob das ein Textmarker oder eine E-Zigarette ist. Die Hersteller haben in die Elf Bar Nikotin-salz hineingemischt, das durch seinen PH-Wert das Nikotin so abpuffert, dass es besonders schnell in den Körper gelangt. Und man weiß, dass die Suchtpotenz umso stärker ist, je schneller eine Droge nach dem Konsum im Gehirn ankommt.
Unsere ersten, noch unveröffentlichten Daten zeigen, dass etwa die Elf Bar genauso schnell anfluten wie Tabakzigaretten – sie machen also genauso stark abhängig.
Durch diese attraktiven Produkte haben wir ein großes Problem mit dem Jugendschutz. Die Strawberry-Ice-Zigarette ist für Jugendliche designt. Meine Theorie ist, dass die Tabakindustrie, alles Aktiengesellschaften, starke Angst haben, dass ihnen die Märkte für Einsteiger*innen wegbrechen könnten: Wenn wir bei den 16-Jährigen nur noch 9 Prozent Raucher*innen haben, können sie in 20 Jahren ihre Produkte nicht mehr verkaufen. Es mussten also neue Produkte erfunden werden.

Aber sind E-Zigaretten nicht trotzdem nicht ganz so schädlich wie Tabakzigaretten?

Ja, und es ist immer schlecht, andere Stoffe einzuatmen als reine Luft. E-Zigaretten enthalten z.B. Propylenglycol und geringe Dosen Schwermetalle, und man hat noch keine Ahnung von deren Langzeitfolgen. Auch sie können womöglich Lungenprobleme verursachen – bis hin zur Fibrose. Im Vergleich zur Tabakzigarette sind sie zwar wahrscheinlich immer noch deutlich risikoärmer, aber früher waren E-Zigaretten für Umsteiger*innen konzipiert. Jetzt werden Jugendliche, die vorher keine Tabakzigaretten geraucht haben, durch E-Zigaretten wie Elf Bar zu Erstkonsument*innen. Sie werden süchtig nach Nikotin und gewöhnen sich auch körperlich daran. Damit ist auch das Risiko, auf eine „normale“ Zigarette umzusteigen, ziemlich groß. Am Stachus z.B. gibt es einen Club für 16- bis 20-Jährige. Jeden Morgen sieht man dort viele Kippen und Reste von E-Zigaretten auf dem Boden. Die Daten gehen bei E-Zigaretten von etwa 30 bis 40 Prozent „jemals-Konsument*innen“ unter allen Jugendlichen aus, was sehr viel ist.

In einer aktuellen Studie haben Sie sich auch mit Pouches befasst. Was ist das, und wo liegt dort das Problem?

Das sind mit Nikotin getränkte Zellulose-Blättchen. Sie werden direkt unter die Unter- oder Oberlippe, also zwischen Zähne und Schleimhaut gelegt, sodass das Nikotin direkt durch die Mundschleimhaut aufgenommen wird. Das ist wiederum nicht ganz so schädlich wie das Tabakrauchen. In Schweden gibt es außerdem noch Snus, die genauso verwendet werden, aber Tabak enthalten. Es war damals eine Bedingung für den Beitritt von Schweden zur EU, dass dies dort nicht verboten wird, denn offenbar gibt es in Schweden durch die Snus deutlich weniger Lungenkrebs, was auch stimmt.

Trotzdem sind Snus und Pouches nicht unproblematisch. Und obwohl sie hierzulande nicht verkauft werden dürfen, sind sie doch leicht aus Schweden oder Pouches z.B. aus Österreich einzuführen, wo sie erlaubt sind. Man kann sie einfach übers Internet bestellen oder über einige Graumärkte sogar hier in Zigarettengeschäften erhalten. In Österreich und teilweise auch hierzulande verwenden das schon 14-Jährige, hören wir von besorgten Lehrer*innen und Eltern.

Was ist in Ihrer Studie zu Pouches herausgekommen?

Auch bei ihnen haben wir festgestellt, dass sie, zumindest bei höheren Konzentrationen, genauso schnell anfluten wie Tabakzigaretten und teilweise sogar höhere Konzentrationen von Nikotin im peripheren Blut auslösen. Dadurch machen sie stark abhängig. Wie gefährlich sie wirklich sind, ist noch nicht so ganz klar. Sich Pouches unter die Lippe zu schieben ist aber sehr einfach, und das bemerken die Lehrer*innen oft nicht. Nikotin ist grundsätzlich ein krasses Psychotomimetikum – besonders in jungen Jahren, in denen die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Wir wissen aus früheren Studien, dass die meisten erwachsenen abhängigen Raucher*innen zwischen dem 14. und dem 19. Lebensjahr angefangen haben. Und Nikotin ist einer der Suchtstoffe, die am meisten abhängig machen. Auch wenn die neuen Konsumformen von Nikotin nicht ganz so schädlich sind wie Tabazigaretten – das ganze Drumherum macht den Konsum wieder salonfähig. Dass man eine Droge braucht, um sich konzentrieren zu können oder cool zu sein, wollten wir bei Jugendlichen eigentlich nicht mehr haben.

Als Elternteil könnte man aber denken, dass einem das trotzdem lieber ist als eine Tabakzigarette.

Das ist die Frage. Bei abhängigen Raucher*innen gebe ich ihnen Recht. Aber bei Jugendlichen finde ich dieses Argument schwierig, weil man ja nicht weiß, ob das nicht der Einstieg für die Tabakzigarette ist. Ich will nicht sagen, dass alles eine Einstiegsdroge ist, wie das z.B. von Cannabis oft gesagt wird. Man könnte sonst auch sagen, dass Milch eine Einstiegsdroge ist – schließlich haben wir alle mal Milch getrunken.

Was kann man z.B. als Elternteil oder Lehrer*in tun, damit das nicht passiert?

Wir haben gelernt – und da kommen wir wieder in die Cannabisdiskussion – dass Verbieten und Strafen überhaupt nichts bringen. Das Einzige, was hilft, ist Aufklärung. Jugendliche haben allerdings den Mythos der Unsterblichkeit. Deshalb ziehen Gesundheitsargumente oft nicht.
Wenn man zu einem 16-Jährigen oder einer 14-Jährigen sagt: Mit 40 bist du schwer krank, dann lachen sie sich tot. Ich wollte auch nie 40 werden. Heute bin ich 55 und froh, dass ich gesund bin und nie geraucht habe. Jugendliche erreicht man eher mit Argumenten wie: Dahinter steckt die Tabakindustrie, die will dich manipulieren. Oder: Rauchen macht dich schlechter beim Sport. Oder: Sucht bedeutet, dass Du von etwas abhängig bist.
Plötzlich bestimmst nicht du, ob du ein Mittel konsumierst, sondern das Mittel bestimmt über dich. Mich wundert, dass die bayerische Staatsregierung nicht z.B. überall Plakate zur Aufklärung aufhängt. Wir wissen ja, dass wir in einer Zeit leben, in der Suchtmittel und Informationen zu ihrer Beschaffung über- all verfügbar sind.

Aber würde das wirklich etwas nützen?

Das Rauchen ist das beste Beispiel dafür, dass wir mit einer vernünftigen Informationspolitik und vernünftigen Gesetzen die Quoten sehr gut runterbringen können. Als ich 16 war, hatten wir ein Raucherquote von 50 Prozent. Aktuell sind es 24 Prozent, und bei den Jugendlichen – bis jetzt – noch weniger. Warum? Weil wir in Bayern ein tolles Nichtraucherschutzgesetz haben, durch das Rauchen zwar nicht völlig verboten, aber uncool geworden ist. Zigaretten sind insgesamt teuer geworden, auch wenn mir lieber wäre, sie würden wie in Großbritannien ca. 14 Euro oder wie in Australien sogar ca. 21 Euro kosten. Für das Rauchen gibt es von der WHO einen Maßnahmenkatalog, um es unattraktiver zu machen. Den müssen wir auch für die neuen Produkte anwenden: Warum dürfen sie so bunt und so günstig sein? Hier ist eine vernünftige Politik gefragt, ohne zu verbieten.

Was können Kinder- und Jugendärzt*innen tun?

Sie können danach fragen – ohne erhobenen Zeigefinger: Weißt du etwas darüber? Darf ich mit dir mal kurz darüber sprechen? Eine motivierende Gesprächsführung, vielleicht ohne Eltern, kann viel bewirken. Statt zu verbieten oder anzuklagen, kann man fragen: Darf ich dich darüber informieren? Viele Jugendliche sagen dazu „ja“. Kinder- und Jugendärzt*innen können klar machen, was Abhängigkeit ist und wer letztlich davon profitiert – nämlich die Industrie. Dass man durch Suchtmittel unfreier wird. Veränderung gibt es aus meiner Sicht nur durch Lob und Informationen, aber niemals durch Sanktionen.

Stephanie Hügler

MÄA 16/2024 vom 27.07.2024