Leitartikel

Sport und Depression, Laufend froh werden

Nicht nur Psychotherapie oder Medikamente – auch Sport und Bewegung sind ein hilfreiches und häufig unterschätztes Mittel gegen Depressionen. Dr. Isabel Maurus, Oberärztin am LMU Klinikum und Schirmherrin der Laufgruppe des Münchner Bündnisses gegen Depression, berichtete von den Vorteilen von Sport für Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Sport und Depression, Laufend froh werden
Sport und Depression, Laufend froh werden

Foto: shutterstock

Wann und warum wurde die Laufgruppe des Münchner Bündnisses gegen Depression gegründet?

Wir feiern dieses Jahr unser zehnjähriges Bestehen. Im Jahr 2013 haben sich die damalige Geschäftsführerin, ein Oberarzt unserer Klinik und eine von Depressionen betroffene Leistungssportlerin gemeinsam überlegt, wie man Betroffene besser dabei unterstützen könnte, regelmäßig Sport zu treiben. Ich bin seit April 2023 als Schirmherrin dabei und laufe auch mit, wenn ich kann. Seit ihrer Gründung findet die Laufgruppe konstant jeden Montag um 18.30 Uhr mit im Schnitt etwa 15 Läufer*innen statt. Außer während der Corona-Pandemie ist tatsächlich noch kein Training ausgefallen. Der Treffpunkt ist vor einem Gebäude der LMU (weitere Informationen s. QR-Code), in dem es auch Schließfächer zum Deponieren der Sachen nach dem Umziehen gibt. Anschließend geht die Laufstrecke meist etwa eine Stunde lang durch den Englischen Garten. Der Münchner Stadtrat fördert die Laufgruppe darüber hinaus finanziell, sodass Läufer*innen auch bei den Startgebühren für Wettkämpfe wie dem München Marathon unterstützt werden können.

Geht es bei der Laufgruppe also vor allem darum, Leistung zu bringen?

Nein, für manche kann es zwar ein Ansporn sein, einen Halbmarathon oder Marathon mitzulaufen, Ziel in der Laufgruppe ist es aber einfach, gemeinsam Sport zu machen. Abgesehen von einer gewissen Grundkondition gibt es kein Tempo, das man beherrschen muss. Da in der Regel zwei Trainer*innen mitlaufen, können sich die Läufer*innen auch in eine etwas schnellere und eine gemütlichere Gruppe aufteilen. Übrigens können auch Freunde und Angehörige mitlaufen. Zusätzlich zur Laufgruppe trifft sich jeden Dienstag von 13.30 bis 14.30 Uhr eine Gruppe zum Spazierengehen.

Wie wurden Sie Schirmherrin der Laufgruppe?

Nachdem ich einen Vortrag über die positiven Aspekte von Sport für die psychische Gesundheit im Rahmen des Max-Plank-Gesundheitsforums gehalten hatte, hat mich die Geschäftsführung hierauf angesprochen. Als Schirmherrin nehme ich z.B. an Interviews teil und unterstütze bei Fragen zu medizinischen Hintergründen des Sports. Ich sehe mich auch selbst als Sportlerin. Mit dem Ausdauersport und mit Laufwettkämpfen habe ich als Jugendliche begonnen und dann später im Studium an Triathlon-Wettkämpfen bis hin zur Ironman-Distanz teilgenommen. Seitdem ich als Ärztin arbeite mache ich keine Wettkämpfe mehr, aber gehe zum Ausgleich regelmäßig Laufen, in die Berge und fahre Rennrad.

Warum ist Laufen gut gegen Depressionen?

Die positiven Effekte von Ausdauersport für die körperliche Gesundheit waren seit den 1960ern Thema vieler Studien. Mittlerweile unumstritten ist seine gute Wirksamkeit zur Prävention und Therapie vieler körperlicher und insbesondere kardiovaskulärer Erkrankungen, weshalb die WHO mindestens 150 Minuten moderate sportliche Aktivität pro Woche empfiehlt. In den letzten zehn, zwanzig Jahren wurden zunehmend auch die Effekte von Sport auf psychischer Ebene untersucht. Mittlerweile gibt es viele randomisierte, kontrollierte Studien und Metaanalysen, die zeigen, dass Sport effektiv depressive Symptome zu verbessern vermag, meist mit moderaten Effektstärken. Neben einer Stimmungsaufhellung betrifft das zum Beispiel auch eine Besserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und von Schlafstörungen. Sport wird daher auch mehr und mehr in die Leitlinien zur Behandlung psychischer Erkrankungen integriert und ist bereits Teil der aktuellen Leitlinie bei Depressionen. Es wird dabei insbesondere Ausdauersport in professionell betreuten Gruppen empfohlen, wobei es auch für Krafttraining und Yoga gute Ergebnisse gibt. Laufen sehe ich als idealen Sport an, weil es dafür so wenige Voraussetzungen gibt. Praktisch sobald man Laufschuhe angezogen hat, kann es losgehen, ob in der Stadt oder in den Bergen, alleine oder in der Gruppe. Natürlich stellen z.B. auch Radfahren oder Schwimmen gute Ausdauertrainingsmöglichkeiten dar. Letztlich sollte aber jede*r die Sportart finden, die ihm oder ihr Freude bereitet und wie das am besten möglich ist. Nicht alle haben Spaß daran, in einer Gruppe Sport zu treiben. Manche sind lieber alleine unterwegs und hören z.B. Musik. Wichtig ist, überhaupt in die Aktivität zu kommen und aktiv zu bleiben.

Entsteht der positive Effekt beim Laufen vielleicht nur durch die Gruppe und den Austausch untereinander?

In bisherigen Studien war Sport Kontrollgruppen ohne Stoffwechselaktivierung überlegen, und es konnten zum Teil sogar vergleichbare Effekte durch Sport wie durch Psychotherapie oder Antidepressiva gezeigt werden, v.a. bei leichten Episoden. Außerdem punktet Sport im Vergleich zur Psychotherapie bei der raschen Verfügbarkeit. Ich bin jedoch dafür, diese Elemente je nach Präferenz der Patient*innen und deren Bedürfnissen möglichst zu kombinieren. Natürlich wirkt es aber ergänzend positiv, wenn man sich beim Laufen in der Gruppe austauschen kann und dort Unterstützung erfährt. Das ist das, was mich begeistert: Sport wirkt auf ganz vielen Ebenen.

Gibt es auch Fälle, in denen Sie vom Laufen abraten, z.B. weil sich Betroffene dabei zu viel Performance-Druck machen?

In solchen Fällen wäre es aus meiner Sicht wichtig, Entlastung zu schaffen und Ziele anzupassen. Bisher habe ich aber noch niemandem, bei dem keine Kontraindikationen vorlagen, vom Laufen abgeraten. Sport gibt den Betroffenen insgesamt eher ein Mittel an die Hand, sich von akutem Druck zu befreien und wieder Selbstwirksamkeit zu erfahren. Mit Laufen kann man aktiv zur eigenen Genesung beitragen und sich ein Stück weit das Gefühl zurückerobern, selbst über das eigene Leben zu bestimmen. Realistische, erreichbare Ziele sind hierzu jedoch extrem wichtig. Bei einer schweren Depression kann es schon ein großer Erfolg sein, überhaupt aus dem Haus zu gehen und ein Stück spazieren zu gehen. Eine Möglichkeit zum Einstieg und zum Erarbeiten von Zielen ist ein sportmedizinischer Gesundheitscheck. Aber auch Psychiater*innen oder Allgemeinmediziner*innen sollten wissen, wieviel Positives Sport bewirken kann und wie man Menschen bei der Umsetzung unterstützen kann.

Gibt es weitere Sportgruppen für psychisch Kranke, vergleichbar mit Herz- oder Krebssportgruppen?

Seit Kurzem gibt es zwar die Möglichkeit, Rehasport bei psychischen Erkrankungen zu verordnen. Leider sind solche ambulanten Angebote aber bei weitem noch nicht gleichermaßen etabliert. Immer wieder gibt es auch, meist zeitlich begrenzte, Initiativen von einzelnen Kliniken, z.B. im Rahmen von klinischen Studien, wie auch aktuell an der LMU für Menschen mit Schizophrenie. Ich würde mich sehr freuen, von Ange - boten zu erfahren, die ich evtl. noch nicht auf dem Schirm habe.

Haben Sie Tipps, wie Kolleg*innen die Patient*innen zu mehr Sport bewegen können?

Der wichtigste Schritt ist sicher, Bewegung als wichtigen Faktor für die körperliche und psychische Gesundheit überhaupt anzusprechen und zu erfassen, zum Beispiel auch anhand standardisierter Frage - bögen. Vielen Patient*innen hilft es dann, möglichst konkrete, auf ihre Vorerfahrungen und Leistungsfähigkeit abgestimmte Ziele gemeinsam zu erarbeiten. Anfangs kann das zum Beispiel allein schon sein, jeden Tag zehn Minuten schnell zu gehen. Wichtig ist, dann nachzufragen, wie das umgesetzt werden konnte, um zu verstärken, was funktioniert hat oder um Strategien für das zu finden, was nicht geklappt hat. Mögliche Barrieren sollte man am besten sogar schon im Vorfeld besprechen. Banales Beispiel: Wer morgens Sport machen will, aber oft sehr müde ist, könnte sich die Sportsachen schon am Abend vorher bereitlegen, um eine Hürde weniger zu haben und damit sportliche Aktivität mehr und mehr zur Gewohnheit machen zu können. Die Unterstützung von Profis aus der Ärzteschaft, aber auch der Austausch mit Freunden oder Familie, ist sehr hilfreich dabei, Verbindlichkeit zu schaffen und Ziele gemeinsam umzusetzen.

Wann würden Sie den Patient*innen zu einer sportmedizinischen Untersuchung raten?

Aus meiner Sicht kann das für alle Neu- oder Wiedereinsteiger sinnvoll sein. Auf jeden Fall aber bei kardialen oder pulmonalen Beschwerden oder Vorerkrankungen oder höherem Alter und vorheriger Inaktivität. Bei Menschen, die Antidepressiva einnehmen, sollten in der psychiatrischen oder hausärztlichen Versorgung neben Laborparametern auch regelmäßig BMI, Blutdruck und EKG kontrolliert werden und dann Veränderungen bzw. Gegenmaßnahmen auch thematisieren werden.

Können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) beim Sport unterstützen?

Vor allem für Menschen, die lieber alleine trainieren, können Wearables (also z.B. Pulsuhren oder Fitnesstracker) oder Fitness Apps eine gute Option sein. Durch sie kann man nachvollziehbar eigene Fortschritte kontrollieren und auf Ziele hinarbeiten, was anspornt. Zum Einstieg genügt oft schon ein Schrittzähler: Schaffe ich es, in der kommenden Woche, das Pensum der letzten zu erreichen oder sogar 500 Schritte mehr zu machen? Meines Wissens gibt es derzeit keine verordnungsfähigen DiGAs, die sich auf die Umsetzung von Bewegung beziehen und für Menschen mit psychischen Erkrankungen zugelassen sind, das könnte nach entsprechenden Studien in der Zukunft aber hilfreich sein.

Was wünschen Sie sich von den niedergelassenen Kolleg*innen?

Vor allem wünsche ich mir ein vermehrtes Bewusstsein dafür, wie wichtig Sport ist und was er alles bewirken kann, auf körperlicher wie psychischer Ebene, was ja zusammengehört. Menschen mit Depressionen, aber auch mit Schizophrenie oder bipolaren Erkrankungen, haben v.a. auch auf Grund von kardiovaskulären Erkrankungen eine deutlich geringere Lebenserwartung als die Allgemeinbevölkerung. Hierzu tragen auch viele der Psychopharmaka bei. Dies sollten wir nicht einfach in Kauf nehmen, sondern Risikofaktoren auch bei diesen Patientengruppen entsprechend den Leitlinien kontrollieren, präventive Maßnahmen thematisieren und weiterverfolgen. Mit regelmäßiger Bewegung können wir die Menschen dabei unterstützen, ihr kardiovaskuläres Risikoprofil zu verbessern und Depressionen zu überwinden.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 17/18 vom 12.08.2023