Leitartikel

Rehabilitation nach Schlaganfall, Gute Besserung?

Viele Schlaganfallpatient*innen könnten besser wieder auf die sprichwörtlichen Beine kommen, wenn sie zeitnah eine passende Reha erhielten. In der Praxis ist das aber nicht immer so einfach. Die MÄA sprachen darüber mit Prof. Lars Kellert vom LMU-Klinikum und Dr. Jürgen Herzog von der Schön Klinik München-Schwabing

Foto: shutterstock

Wie ist die Inzidenz von Schlaganfällen, und wie profitieren die Betroffenen von einer Reha?

Kellert: Die Inzidenz in Deutschland liegt derzeit bei ca. 200 bis 250 pro 100.000 Einwohner*innen. Dazu zählen ischämische Schlaganfälle genauso wie Hirnblutungen, erste und wiederholte Ereignisse. Aufgrund der Plastizität des Gehirns können die betroffenen Gehirnfunktionen teilweise von anderen Bereichen übernommen werden. Das Gehirn erholt sich aber hauptsächlich durch Training und Reize, nicht wenn man sich nach dem Schlaganfall drei Monate lang ins Bett legt. Signifikant besser wird es nachweislich durch häufiges, stundenlanges Training durch Physiooder Ergotherapeut*innen oder auch Logopäd*innen.

Ab wann beginnt die Frühreha?

Kellert: Bei der Akutbehandlung versuchen wir, das im Gehirn verschlossene Gefäß wieder zu eröffnen. Danach sind die Patient*innen oft noch einige Tage sehr kritisch krank und müssen auf einer Stroke Unit oder Intensivstation überwacht werden, weil sich ein Schlaganfall wiederholen kann und zum Beispiel durch Schluckstörungen Lungenentzündungen drohen. In dieser Zeit starten zwar bereits bei uns rehabilitative Maßnahmen durch Therapeut*innen. Uns ist es aber sehr recht, wenn die Patient*innen sehr schnell in eine weiterbehandelnde rehabilitative Einrichtung kommen, wo sie ihre spezifischen Defizite trainieren können. Zeit ist extrem kritisch für uns, weil wir immer wieder Patient*innen mit einem akuten Schlaganfall aufnehmen müssen und daher einen gewissen „Turnover“ brauchen.

Herzog: Eine Reha sollte spätestens nach vier bis acht Tagen auf der Stroke Unit beginnen. Sie ist sinnvoll, wenn die Patientin oder der Patient rehabilitationsfähig ist. In der Sozialmedizin bezeichnet der Begriff Frühreha die sogenannte Phase B, die im Akutkrankenhaus stattfinden muss – bei denjenigen, die einen Rehabilitationsbedarf haben, aber so schwer betroffen sind, dass sie noch die Strukturen eines Krankenhauses benötigen. Dafür gibt es spezialisierte Einrichtungen wie die Schön Klinik in München-Schwabing. Weniger schwer Betroffene kommen in die klassische weiterführende Reha der Phase C und D einer Reha-Klinik, die ebenfalls früh beginnen sollte, um erfolgreich zu sein.

Wer wird wie in welche Reha-Phase eingeteilt?

Kellert: Das ist mit verschiedenen Scores geregelt, die auch Komorbiditäten berücksichtigen. Patient*innen, die nach einem Schlaganfall nur ein Kribbeln in einer Hand haben, bekommen zum Beispiel weder Phase C noch D, sondern eine Anschlussheilbehandlung, die wahlweise stationär oder ambulant erfolgen kann. Wer „nur“ nicht mehr laufen kann, bekommt in der Regel eine Phase-C-Reha. Nur wer sich gar nicht mehr selbstständig versorgen kann, also zusätzlich z.B. eine schwere Schluckstörung, eine schwere Störung der Aufmerksamkeit oder des Schlaf-Wach-Rhythmus hat, bekommt eine Frühreha der Phase B. Der Score ist allerdings nicht immer hundertprozentig geeignet. Manche Patient*innen wirken zwar relativ mobil, haben aber eine so schwere Schluckstörung, dass sie eine Magensonde und eine Phase-B-Reha bräuchten. Die meisten Schlaganfall-Patient*innen brauchen eine Phase-C-Reha.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und warum ist diese so wichtig?

Kellert: Das LMU-Klinikum hat für seine Schlaganfallpatient*innen mit zahlreichen Rehakliniken in München und Umland eine enge Zusammenarbeit. Wichtig dabei sind gegenseitiges Vertrauen, gewachsene Strukturen und räumliche Nähe. Wir möchten wissen, dass unsere Patient*innen in der Reha gut aufgehoben sind. Auch mit den Schön Kliniken haben sowohl unsere Stroke Unit als auch unsere neurologische Intensivstation an der LMU eine sehr lange Kooperation.

Herzog: Bei uns gibt es einen standardisierten Anmeldeprozess. In der Regel bekommen die Kolleginnen und Kollegen der Akutversorgung noch am gleichen Tag eine Rückmeldung. Bei den schwerer betroffenen Patient*innen gibt es zusätzlich einen ärztlichen Eins-zu-Eins-Austausch, um die Übergabe sicherer zu machen. Rund 80 Prozent der Patient*innen haben nach dem Schlaganfall noch mindestens eine weitere Komplikation wie eine Infektion, Thrombosen durch die Immobilität etc. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Die Zusammenarbeit verläuft in beide Richtungen: Wer z.B. bei uns in der Klinik einen weiteren Schlaganfall erleidet oder nach einer anderen Erkrankung oder Verletzung zusätzlich einen Schlaganfall bekommt, muss in die Akutversorgung verlegt werden.

Wie viele Reha-Plätze stehen in Deutschland bzw. in Bayern zur Verfügung?

Herzog: In ganz Deutschland gibt es ca. 5.000 Frühreha-Betten für die Phase B. Das weiß man aus den Krankenhausplänen der Länder. In Bayern sind wir diesbezüglich mit allein rund 1.300 Betten relativ gut ausgestattet. Die Zahlen zu den Phase-C- und D-Betten sind leider weniger verlässlich, weil diese Rehas meist nicht in Akutkliniken stattfinden und daher in den Krankenhausplänen nicht vor - kommen. Wir gehen aber davon aus, dass es in ganz Deutschland ca. 15.000 Phase-C- oder -D-Betten gibt. Das klingt nach einer großen Zahl, ist aber de facto viel zu wenig. Auch wir bieten eigentlich Phase-Coder Phase-D-Betten an, aber wir haben so geringe Kapazitäten dafür, dass dies nicht einmal für alle unseren internen Phase-B-Patient*innen genügt, die sich im Laufe der Behandlung verbessern und so in die nächste Reha-Phase kommen. Immer wieder müssen wir Patient*innen in externe Kliniken, teil - weise weit weg, verlegen – bis in den Bayerischen Wald oder ins Berchtes - gadener Land. Wenn Sie berücksichtigen, dass die meisten von einem Schlaganfall Betroffenen älter sind und ebenfalls ältere, nicht so mobile Lebenspartner*innen haben, kann das ein KO-Kriterium für eine Reha sein, weil die Angehörigen dies einfach nicht schaffen.

Kellert: Aber auch die Phase-B-Betten sind knapp. In München haben wir jedes Jahr schätzungsweise zwischen 6.000 und 8.000 Schlaganfälle. Meiner Erfahrung nach benötigt etwa die Hälfte der Schlaganfallpatient*innen irgendeine Reha inklusive der geriatrischen Reha. Von denjenigen, die rehabilitationsfähig sind, bekommen schätzungsweise ca. 10 bis 20 Prozent eine Phase-B-Frühreha. Da ist man schnell bei 1.000 bis 1.500 Patient*innen allein in München. Als Folge werden Patient*in - nen häufig nicht in die richtige Rehaphase oder zu spät verlegt. Nicht jeder Schlaganfallpatient, der in die Reha-Phase B verlegt werden müsste, bekommt zeitnah ein solches Bett. Leider ist auch eine Planbarkeit oft nicht gegeben, weil sich Patient*innen immer wieder kurzfristig z.B. aufgrund einer Lungenentzündung verschlechtern, obwohl sie für eine Phase-C-Reha angemeldet wären oder weil für die Phase B angemeldete Patient*innen sich unerwartet rasant bessern. Wir können bei den Betten auch nicht einfach von B auf C wechseln, weil wir dafür jeweils andere Ressourcen brauchen.

Was müsste passieren, damit die Versorgung wieder besser wird?

Herzog: Die Vergütung für die Versorgung von Phase-C- und D-Patient*innen, die ja immer noch eingeschränkt sind und einen gewissen Pflegebedarf haben, müsste besser werden. Hinzu kommt noch der bürokratische Mehraufwand für die - se Betten: Kliniken müssen Maßnahmen der Phasen C und D erst beim Kostenträger beantragen und auf eine Kostenübernahme warten. Dies verzögert nicht nur den so wichtigen Prozess der Verlegung, sondern führt auch dazu, dass wir deutlich weniger Phase-C-Betten haben als wir sie gerne hätten. Zu Pandemiezeiten wurde interessanterweise der Bewilligungsvorbehalt für eine Reha aufgehoben und wir Krankenhäuser konnten die Patient*innen direkt in eine Reha verlegen. Einige Multicenter-Auswertungen haben gezeigt, dass dies die Wartezeit auf einen Reha-Platz um etwa ein Viertel verkürzt und die Wahrscheinlichkeit, dass Schlaganfallpatient*innen überhaupt in die Neuroreha kommen, um ein Viertel erhöht hat. Die Bürokratie ist ein großer Hemmschuh.

Was für Botschaften haben Sie an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte?

Kellert: Die Zusammenarbeit funktioniert meiner Meinung nach grundsätzlich sehr gut. Insbesondere die intersektorale Versorgung bietet allerdings immer noch Potential zur Verbesserung. Hier sind der Informationsfluss und die Kommunikationskanäle noch nicht optimal und ich setze große Hoffnung in eine weitere Digitalisierung der Medizin. Leider beschäftigen sich viele unserer älteren, multimorbiden Patient*innen im Krankenhaus zum ersten Mal damit, wie sie sich ihr weiteres Leben womöglich mit einer Behinderung vorstellen – der Schlaganfall kommt ja ganz plötzlich. Die hausärztliche, fachärztliche und stationäre Versorgung müsste besser ineinandergreifen, um für diese Patient*innen ein tragbares Gesamtkonzept zu entwickeln: Wollen die Patient*innen eine Versorgung zu Hause, durch die Angehörigen oder in einem Pflegeheim? Brauchen diese Patient*innen dann noch einen wertvollen Phase-B Reha-Platz, oder nicht? Das sind Fragestellungen, die oft zusätzlich Zeit und Ressourcen kosten.

Herzog: In der Sekundärprophylaxe zur Verhinderung eines weiteren Schlaganfalls hat sich in den letzten Jahren enorm viel verändert. Man kann viel bewirken, wenn man sich etwa um die Höhe des Blutdrucks, der Cholesterinwerte, die Diabeteseinstellung oder den Nikotinverzicht etc. kümmert. In der Nachsorge von Schlaganfällen wünsche ich mir von den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich genauso als Teil der Behandlungskette sehen wie die Akut- und die Frührehakliniken. Manchmal ist das natürlich schwierig: für die Patient*innen ist es durch ihre körperlichen Einschränkungen oft sehr aufwändig, in die Praxis zu kommen und einige Patient*innen sind auch nicht sehr compliant.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 20 vom 23.09.2023