Refresher-Kurse, Helfen bis der Notarzt kommt
Foto: shutterstock
Herr Dr. Streckbein, seit wann gibt es die Refresher-Kurse, und für wen wurden sie konzipiert?
Sie existieren seit 1998 und wurden damals aus einer gewissen Not heraus geboren. Der Rettungsdienst bzw. wir Notärzt*innen haben damals festgestellt, dass Kolleginnen und Kollegen im ärztlichen Bereitschaftsdienst die eine oder andere Notfallsituation nicht so optimal lösen konnten wie gewünscht. Daraus entstand die Idee, eine Fortbildung für diejenigen Ärztinnen und Ärzte zu entwickeln, die weniger nah an der Notarztmedizin „dran“ waren. Es ging um einen Wissenstransfer an die niedergelassenen Bereitschaftsärzt*innen. Unsere Kurse waren von vornherein interdisziplinär und praxisorientiert konzipiert. Schon damals hatten wir das Alleinstellungsmerkmal, dass wir die Schulungen immer gemeinsam mit einem Hausarzt und mindestens einem Kliniker durchgeführt haben und einen Schwerpunkt auf die Vermittlung von praktischen Fertigkeiten gelegt haben, z.B. der leitliniengerechten Reanimation.
Und heute?
Auch nach unserer Reform machen wir so weiter. Unser Kursformat besteht derzeit aus drei Modulen, drei Abenden, mit in der Regel drei Referent*innen: zwei Klinikern und einem Hausarzt oder einer Hausärztin. Dabei arbeiten wir leitsymptomzentriert die wichtigsten notfallmedizinisch Differenzialdiagnosen ab. In den Praxisteilen können unsere Teilnehmer dann von der stabilen Seitenlage über die leitliniengerechte Behandlung eines Herz-Kreislauf-Stillstands bis hin zum Atemwegsmanagement alles üben. Es geht um die Frage: Wie überbrücke ich die ersten fünf oder zehn Minuten, bis der Rettungsdienst, bzw. eine Notärztin oder ein Notarzt kommt?
Was hat sich gegenüber früher verändert?
Auch diese Reform wurde wieder aus einer konkreten Not heraus geboren, nämlich aus der Coronakrise. Der ÄKBV-Vorstand hatte damals zu Anfang der Krise entschieden, dass keine Fortbildungen mehr stattfinden sollten. Damit habe ich mich allerdings sehr unwohl gefühlt, denn es steht ja in unserer Satzung als ÄKBV, dass wir Fortbildungen anbieten müssen. Außerdem ging es nicht um „Töpfern in der Toskana“, sondern um Patientensicherheit. Daher habe ich in der ersten Lockdown-Welle darauf gedrungen, eine erste Online-Fortbildung als Pilotprojekt zu starten – beim Kurs „Ärztliche Erste Hilfe in lebensbedrohlichen Einsatzlagen“. Unsere Mitglieder haben dies sofort positiv wahr- und angenommen. Auf Anregung des Vorstands haben wir dann noch die Inhalte geprüft – ob alles noch up to date ist, oder ob es ein Weiterentwicklungspotential gibt. Beim Auswerten der Evaluationsbögen haben wir festgestellt, dass sich der Kreis unserer Teilnehmer*innen verändert hat: Neben Teilnehmenden am ärztlichen Bereitschaftsdienst, interessieren sich mittlerweile auch viele jüngere Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik für unsere Kurse, zum Beispiel Assistenzärzt*innen vor ihrem ersten Dienst oder ihrer ersten Dienstverantwortung. Diese Gruppe interessiert sich vor allem für die effiziente Überbrückung von Notfallsituationen, bis weitere Hilfe eintrifft.
Was hat sich inhaltlich verändert?
Wir wenden nun stringent bewährte Konzepte aus der Notfallmedizin an, z.B. das cABCDE-Untersuchungschema. Zudem arbeiten wir noch stärker als früher leitsymptom-orientiert, d.h. wir beschäftigen uns nicht mehr primär mit Krankheitsbildern wie z.B. dem Asthma bronchiale, sondern nehmen das dazugehörige Leitsymptom „Luftnot“ in den Fokus. Methodisch nutzen wir immer ein Fallbeispiel, z.B. den Asthma-Patienten, besprechen dann aber alles praktisch Wichtige zu den relevanten Differenzialdiagnosen zu diesem Leitsymptom, in dem Beispiel also die akute Herzinsuffizienz, die Sepsis oder den allergischen Schock. Im Präsenzformat besprechen wir so an jedem Abend zwei Leitsymptome mit jeweils drei bis fünf Differentialdiagnosen. Zur Erfolgskontrolle stellen wir dazu auch einige Fragen, deren Beantwortung u.a. für die Vergabe der Fortbildungspunkte durch die Bayerische Landesärztekammer wichtig ist. Aktuell ist jeder Kursabend mit 7 CME-Punkten akkreditiert. Als dritte Neuerung haben wir Interaktivität über eine digitale Plattform eingeführt – im Online- wie im Präsenzformat. Erfahrungsgemäß leidet die Interaktivität bei Online-Formaten, weil viele sich dort eher nicht aktiv zu Wort melden. Mit dem Abstimmungs-Tool „Online-TED“ aber können wir leicht Fragen an alle zum diagnostisch oder therapeutischen Vorgehen stellen. Jede*r kann diese schnell und anonym per Handy beantworten und sieht dort gleich die statistische Verteilung der verschiedenen Antworten. Dieses Vorgehen kommt auch im Präsenzformat sehr gut an, vor allem bei jüngeren Teilnehmer*innen. Unsere Neuerungen haben wir zunächst für das Präsenzformat entwickelt. Das interaktive Tool ließ sich auch gut online nutzen. Schwieriger war es bei den praktischen Teilen. Ein Reanimationstraining funktioniert nun einmal leider nur in Präsenz. Daher vermitteln wir beim Onlineformat alle theoretischen Inhalte, also die Leitsymptomblöcke, an zwei Abenden online. Die Praxisteile haben wir an einem dritten Präsenz-Tag zusammengezogen.
Wann bieten Sie Onlineformate an, wann Präsenzformate?
Wir befinden uns noch in der Testphase. Heuer gab es zwei Testläufe des Onlineformats. Für 2023 planen wir bedarfsorientiert. Das Präsenzformat ist natürlich höherwertig, aber auch das Onlineformat hat seinen Stellenwert. Wir nutzen es vor allem dann sehr gerne, wenn die Nachfrage nach Präsenzformaten erfahrungsgemäß eher niedrig ist – zum Beispiel in den Sommerferien oder um die Wiesn. Wir denken, dass auch im Winter der eine oder die andere das Online-Format vorzieht, wenn die Coronazahlen noch stärker ansteigen.
Welche Kolleginnen profitieren von dem Kurs, und was können sie danach?
Das Lernziel ist, Notfälle – egal ob in der Notaufnahme einer Klinik oder im ärztlichen Bereitschaftsdienst – sicher zu erkennen und sogenannte „gefährliche Verläufe“ abzuwenden. Im Grunde profitieren ausnahmslos alle in der Akutmedizin tätigen Ärztinnen und Ärzte – auch niedergelassene Fachärzt*innen. Nicht selten übernehmen wir Notärztinnen und Notärzte genau diese Patienten aus den Praxen zur Weiterversorgung. Das bei uns gelernte Handwerkszeug können die Kursteilnehmer*innen in allen Notfallsituationen anwenden. Daher passt der Kurs auch so gut zum ÄKBV – schließlich vertreten wir alle Ärztinnen und Ärzte Münchens.
Was würden Sie einem Psychiater, einer Hautärztin oder einem Augenarzt sagen, die davon ausgehen, dass es in ihrer Praxis keine Notfälle geben wird?
Der Psychiater ist ein schlechtes Beispiel, denn eine sehr große Zahl an Notfällen kommt aus dem psychiatrischen Bereich. Die Hautärztin kann einen Patienten mit einem allergischen Schock in ihrer Praxis haben, und das akute Glaukom ist ein zeitkritischer Notfall für den Augenarzt. Es gibt praktisch keine klinische Disziplin, in der keine Notfälle vorkommen. Und unsere Patient*innen erwarten zu Recht, dass wir Ärztinnen und Ärzte kompetent und effizient damit umgehen können. Aber: Gerade denjenigen, die wenig Routine mit Notfällen haben, fehlt oft das praktische Handwerkszeug dafür.
Muss ich mich als Teilnehmer*in schämen, wenn ich zu wenig über Notfälle weiß?
Es wäre ein ganz falscher Ansatz, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. Wir sind ein kollegialer Kreis, eher im Sinne eines Qualitätszirkels, bei dem es um Patientensicherheit geht. Früher sind wir teilweise sehr tief auf pathophysiologische Phänomene oder weiterführende therapeutische Ansätze eingegangen. Wir haben aber festgestellt, dass unsere Zielgruppe vor allem Hilfestellung auf praktischer Ebene benötigt: Was sollte sich in meinem Arztkoffer befinden? Welche Medikamente haben in den ersten zehn oder fünfzehn Minuten einen wichtigen Stellenwert? Welche Untersuchungsstrategien wende ich an? Für die Kolleginnen und Kollegen haben wir auch ein Handout mit wesentlichen Notfall-Algorithmen und praktischen Hilfestellungen entwickelt. Wir gestalten alles sehr kollegial. Noch nie haben wir die Rückmeldung bekommen, dass sich jemand bloßgestellt gefühlt hat. Es geht uns vielmehr darum, gemeinsam Lösungen zu erörtern und voneinander zu lernen.
Gibt es anschließend noch einen Aufbau-Kurs?
Für Menschen, die sich vertieft in die Notfallmedizin einarbeiten möchten, gibt es diese natürlich – aber nicht bei uns. Wir verweisen gerne auf etablierte Formate wie ACLS®- oder ATLS®-Kurse. Wir maßen uns aber nicht an, aus unseren Teilnehmern waschechte Notfallmediziner*innen zu machen, sondern möchten unseren Kolleg*innen nützliche Handwerkszeuge für Notfälle an die Hand zu geben. Bei anderen Interessensschwerpunkten verweisen wir auch sehr gerne auf das darüberhinausgehende Fortbildungsangebot beim ÄKBV – zum Beispiel den beliebten „Refresher Pädiatrie“ oder unsere „Skills-Kurse“. Bei letzterem geben wir praktische Antworten auf „Wie gehe ich mit einem starken Nasenbluten um?“ oder „Was tun, wenn ein Blasendauerkatheter verstopft ist?“ Ein besonderes Kursangebot gibt es auch für Kolleginnen und Kollegen, die sich mit „Ärztlicher Erster Hilfe in lebensbedrohlichen Einsatzlagen“, mit „Leichenschau“ oder mit „Palliativmedizin“ beschäftigen möchten.
Wie viele Termine pro Jahr werden angeboten, und wie melde ich mich an?
In der Regel planen wir fünf Zyklen pro Jahr, mit jeweils drei Modulen pro Zyklus, sodass man etwa alle zwei Monate einen Zyklus oder auch nur einzelne Module buchen kann. Die Kurse bauen beim theoretischen Teil nicht aufeinander auf, beim praktischen Teil allerdings schon. Viele Mitglieder werden durch die Münchner Ärztlichen Anzeigen (MÄA), S. 2 auf die Kurse aufmerksam. Das Anmeldeprocedere läuft digital ab über unsere Homepage (s. Kasten). Zusätzlich findet man die Refresher-Kurse im digitalen Fortbildungskalender der MÄA (ebd.). Ich bin dem ÄKBV und insbesondere dem Vorstand sehr dankbar dafür, dass er unsere Fortbildungskurse seit Jahren aktiv unterstützt. Das gesamte Fortbildungsprogram des ÄKBV München sind ein Alleinstellungsmerkmal, um das wir von vielen ärztlichen Kreis- und Bezirksverbänden in Bayern beneidet werden. Mein Dank gilt den aktiven Mitgliedern der Vorstandskommission für ihr Engagement zur Aktualisierung der Kurse in den letzten 1,5 Jahren, aber auch den Referent*innen, die sich seit Jahren in ihrer Freizeit für Patientensicherheit und ärztliche Versorgungsqualität einsetzen.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA Nr. 24 vom 19.11.2022