Leitartikel

Planetary Health Diet in der Klinik, Gesundes Essen für kranke Menschen

In vielen Krankenhäusern ziehen sich Fleisch, Wurst und Fertiggerichte durch den Speiseplan. Dabei würden vollwertige, pflanzenbasierte Speisen nicht nur die Gesundheit der Einzelnen fördern, sondern auch die unseres Planeten, erklärte Niklas Oppenrieder von Physicians Association for Nutrition (PAN) im Gespräch mit den MÄA.
Planetary Health Diet in der Klinik, Gesundes Essen für kranke Menschen
Planetary Health Diet in der Klinik, Gesundes Essen für kranke Menschen

Foto: shutterstock

 

Herr Oppenrieder, was macht Ihre Organisation PAN?

PAN hat zwei Ziele: Zum einen, Ernährung zu einem zentralen Faktor im Gesundheitswesen zu machen – in der medizinischen Ausbildung, der ärztlichen Praxis, in Krankenhäusern. Zum anderen möchten wir als Stimme der Gesundheitsberufe dafür sorgen, dass Ernährungsumgebungen gesund und nachhaltig gestaltet werden. Daher nehmen wir am Prozess rund um die neue Ernährungsstrategie der Bundesregierung teil und haben u.a. ein Projekt zu gesunder und nachhaltiger Verpflegung im Krankenhaus gestartet. Wir möchten in verschiedene Ernährungsumgebungen hineinwirken, weil wir wissen, dass Aufklärungsarbeit alleine nur bedingt funktioniert. In der Innenstadt z.B. sollte ich nicht nur die Wahl zwischen zwei Pommesbuden, einer Brezenbude und einem Backshop mit Weißmehlprodukten haben, sondern auch gesunde, nachhaltige Einkaufsmöglichkeiten und Imbissbuden mit einfachen, günstigen und leckeren Gerichten. Die gesunde Wahl muss die einfachere Wahl sein – ob in der Kantine, im Restaurant, im Supermarkt oder eben im Krankenhaus.

Was ist der Unterschied zwischen gesunder Ernährung und Planetary Health Diet?

Es gibt keinen großen Unterschied. Gesunde Ernährung ist der Grundpfeiler der Planetary Health Diet, erweitert um den Aspekt der Nachhaltigkeit. Die Planetary Health Diet wurde von einer Wissenschaftskommission als weltweit anwendbare Ernährungsform entwickelt, die die individuelle Gesundheit fördert und gleichzeitig mit Umwelt- und Klimaschutz verträglich ist. Dabei geht es um CO2, aber z.B. auch um Land- oder Wasserverbrauch. Die aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind davon nicht allzu weit entfernt, und sie werden derzeit im Hinblick auf den Umweltaspekt überarbeitet. Viele Beteiligte erwarten, dass sie dann den Planetary-Health-Empfehlungen sehr ähnlich sind.

Wie sieht die Planetary Health Diet genau aus?

Sie ist deutlich pflanzlicher, weil dies nachweislich sowohl für die Gesundheit als auch für den Umwelt- und Klimaschutz gut ist. Zweitens werden Lebensmittel aus nachhaltiger Produktion verwendet. Drittens kann man auch durch die Reduktion von Lebensmittelabfällen CO2 sparen und andere Umweltauswirkungen reduzieren. Viele Kantinen und Krankenhäuser in Deutschland würden zudem gerne mehr regionale Lebensmittel anbieten. Das hat durchaus Vorteile wie z.B. regionale Wertschöpfungsketten. Bezüglich der Nachhaltigkeit ist es aber relativ vernachlässigbar, zumal man in der Krankenhausküche mit finanziellen und anderen Engpässen rechnen muss. Bei überwiegend regionaler Küche brauche ich z.B. womöglich mehrere Lieferanten statt einen einzigen. Der Apfel aus Bayern ist auch nicht automatisch gesünder oder nachhaltiger als der aus Italien. Ähnlich ist es bei Bio-Lebensmitteln, die leider nach wie vor sehr teuer sind. Wir empfehlen daher, zunächst den pflanzlichen Anteil zu erhöhen und Abfälle zu reduzieren und dann zu prüfen, ob man dadurch mehr finanziellen Spielraum für Bio- oder regionale Produkte hat. Wichtig ist, teure Fleisch- und tierische Produkte nicht durch hochverarbeitete Produkte zu ersetzen, sondern durch vollwertige, gesunde Grundnahrungsmittel.

Weißwurst und Schweinsbraten gehören zur bayerischen Esskultur. Möchten Sie uns alle zum Veganismus bekehren?

In der ganzen westlichen Welt ist es schwer, Gewohnheiten zu ändern, denn diese sind oft Produkt einer jahrezehntelangen Gestaltung von Ernährungsumgebungen – weniger das Ergebnis einer tiefen Vorliebe für ungesundes oder wenig umweltverträgliches Essen. Wir rufen auf wissenschaftlicher Basis zu mehr Gesundheit und Nachhaltigkeit auf. Es geht nicht darum, jemandem den Schweinsbraten zu verbieten, sondern durch Aufklärung und vor allem tolle Alternativen dafür zu sorgen, dass dieser deutlich seltener gegessen wird. Wir konsumieren deutlich zu viel Fleisch und tierische Produkte. Dies begünstigt viele chronische Krankheiten, und gleichzeitig können wir so keinesfalls unsere Klima- und Umweltziele erreichen. Laut WHO ist der Klimawandel aber die größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit. Wie viele Probleme ergeben sich in Bayern durch Hitzewellen, Starkregen oder Natur, die immer weniger wird? Das treibt viele Menschen um. In den letzten Jahren gab es eine starke Bewegung hin zu mehr pflanzenbasierter, vollwertiger Ernährung. Meine Hoffnung ist, dass dies weiter deutlich zunimmt.

Die Diskussion um einen Veggie-Day in Kantinen führte 2013 zu einem Sturm der Entrüstung. Würde dies nicht auch auf umstellungswillige Krankenhäuser zukommen?

Es geht nicht darum, Wahlfreiheit zu beschränken, sondern diese zu vergrößern. In vielen Ernährungs-Settings gibt es derzeit keine Wahlfreiheit für gesundes, nachhaltiges Essen. Denken Sie zum Beispiel an Autobahnraststätten. Mit neuen Gerichten und Lebensmitteln erhöhen wir dort Wahlfreiheit und Genuss. Wer jeden Tag seine Wurstsemmel oder seinen Burger essen möchte, kann dies ja weiterhin tun. Die ungesunde und umweltschädliche Wahl sollte aber nicht die einfachere sein. Das gilt auch und insbesondere in Kliniken. Ich glaube, wir sind inzwischen einige Schritt weiter. Bei einer Tagung der bayerischen Küchenleiter*innen hat uns ein Klinikteam von seiner Sorge vor der Einführung eines Veggie-Days berichtet. Nach dessen Einführung ist aber nichts weiter passiert. Womöglich haben die Patient*innen und Mitarbeitenden dies nicht einmal bemerkt. Denn wenn wir Gerichte auf dem Speiseplan nicht in roter Farbe als „vegane Gemüsepfanne“, sondern zum Beispiel als „mediterrane Auberginen-Cashew-Pfanne“ bezeichnen, entscheiden sich viele dafür – einfach, weil es lecker klingt und aussieht.

Ist es nicht doch einfacher und dadurch billiger, ein Schnitzel oder ein Steak in die Pfanne zu hauen?

Ich komme selbst nicht aus der Küche, aber wir hatten schon mit sehr vielen Menschen aus Großküchen Kontakt, die als Dienstleister tätig sind und solche Umstellungen begleiten. Natürlich hat man zunächst einmalig einen höheren Aufwand für das Küchenteam, denn dieses muss sich ja mit der Änderung beschäftigen. Danach sind pflanzliche Gerichte aber maximal genauso teuer, wenn nicht günstiger. Natürlich hängt dies im Einzelfall auch vom jeweiligen Haus ab: wieviel man selbst machen kann, was der Caterer liefert etc. Aber man kann die Gerichte so zusammenstellen, dass dies auf Dauer nicht mehr Aufwand ist oder mehr kostet. Für die Küchenleiter*innen auf der Tagung war dies gar kein Problem. Ich war sehr überrascht über die große Offenheit für dieses Thema und davon, wie viele Krankenhäuser schon überwiegend gute Erfahrungen damit gesammelt haben.

Wie kamen die Küchenleitungen auf dieses Thema?

Die Gemeinschaftsverpflegung ist schon lange in diese Richtung „unterwegs“. Krankenhäuser und insgesamt öffentliche Einrichtungen hinken da eher hinterher. Vor Kurzem wurden die Ergebnisse der Nestlé-Studie "So nachhaltig is(s)t Kantine und Mensa" veröffentlicht. Dabei kam heraus, wie selbstverständlich z.B. Betriebskantinen mittlerweile vegetarische und vegane Gerichte anbieten und Dienstleister den ökologischen Fußabdruck oder einen Gesundheitsindex auf die Speisen anwenden. Zudem gibt es natürlich bei vielen Mitarbeitenden in Krankenhäusern – sowohl in der Leitung als auch in der Küche – eine große intrinsische Motivation, Gesundheit und Nachhaltigkeit auch beim Essen zum Thema zu machen. Soweit ich das beurteilen kann, kommt der Anstoß auch oft aus der Klinikleitung: Der Geschäftsführer der Uniklinik Essen etwa wollte eine Transformation zum Green Hospital und wusste, dass man dabei ganz klar auch die Ernährung mit einbeziehen muss. Angesichts des Personalmangels kann es zudem ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn ich an meinem Arbeitsplatz jeden Tag lecker und gesund essen kann. Für Patient*innen gilt das natürlich genauso. Gesundes Essen kann auch Teil einer betrieblichen Gesundheitsvorsorge sein, die Ausfälle durch Krankheit verhindert. Wir merken, dass das für viele Klinikchef*innen ein Anliegen ist.

Wie viele Krankenhäuser befinden sich aktuell im Umstellungsprozess?

Es gibt in Deutschland ein paar Leuchtturmprojekte. Dazu zählen neben der Uniklinik Essen etwa die LWL Kliniken Münster, das Immanuel Krankenhaus und seit einem halben Jahr auch die Charité in Berlin. Einige Rehakliniken sind ebenfalls schon länger entsprechend aufgestellt, oder auch psychosomatische Kliniken wie die Parkklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen. Derzeit machen bestimmt auch viele andere Kliniken in Bayern erste Schritte – zum Beispiel, indem sie pflanzliche Gerichte einführen, alle drei Menülinien vegetarisch konzipieren oder Biogerichte anbieten. Leider gibt es aber keine Erhebung zur Qualität von Krankenhausverpflegung. Es wäre toll, wenn Krankenhäuser, die sich auf den Weg gemacht haben oder die dies vorhaben, bessere Möglichkeiten hätten, sich untereinander auszutauschen. Wir haben bereits damit angefangen, für mehr Vernetzung zu sorgen und werden dies weiterhin intensivieren. Wir merken, dass aktuell Bewegung in die Kliniklandschaft kommt und freuen uns über jede Klinik und jede Klinikküche, die mit uns Kontakt aufnimmt, um gemeinsam weiterzukommen.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 16 vom 29.07.2023