Leitartikel

Nachhaltigkeit in Kliniken - Schritt für Schritt zum Klimaschutz

Der enorme Verbrauch von Materialien und Energie in Kliniken ist durch die Pandemie vielfach noch gestiegen. Wie eine Klinik trotzdem langfristig nachhaltiger gestaltet werden kann, erläuterten Tabea Bickel, Nachhaltigkeitsbeauftragte, und Andreas Wolf, stellvertretender Verwaltungsleiter am Isar Klinikum in München.
Nachhaltigkeit in Kliniken - Schritt für Schritt zum Klimaschutz
Nachhaltigkeit in Kliniken - Schritt für Schritt zum Klimaschutz

Foto: shutterstock

Warum braucht es eine Nachhaltigkeitsbeauftragte und was sind ihre Aufgaben?

Wolf: Wir haben uns am Isar Klinikum sehr früh mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Seit unserer Eröffnung im Jahr 2008 arbeitet das Isar Klinikum ohne ein eigenes Zentrallager und wird von einem Logistikunternehmen mit vorkommissionierter Ware versorgt, was im Schnitt 50 Anlieferungen pro Woche einspart. Wir haben durch die intensive Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit gemerkt, wie wichtig es ist, solche Änderungen strukturiert anzugehen. Seit Frau Bickel bei uns angestellt ist, haben wir große Sprünge gemacht und nun einen detaillierten Nachhaltigkeits-Fahrplan bis weit über dieses Jahr hinaus.

Bickel: Ich recherchiere z.B. nachhaltige Produkte und Maßnahmen, prüfe Fördermöglichkeiten, kümmere mich um Bewerbungen für Zertifikate und Auszeichnungen, fülle Befragungen aus und verfasse einen wöchentlichen Newsletter für unsere Mitarbeiter*innen. Unsere Meldungen auf Social Media dürfen in einem engen Takt erscheinen und wir haben einen eigenen Bereich auf der Homepage, im QM-Portal sowie im Intranet.

Wie viel Entscheidungsspielraum haben Sie?

Bickel: Meine Stabsstelle ist direkt der Geschäftsführung unterstellt. Das Meiste stimme ich inhaltlich mit Herrn Wolf ab. Wir haben außerdem ein „Green Team“, das außer uns beiden aus elf weiteren Mitarbeiter*innen aus ganz verschiedenen Bereichen besteht. Ziel ist es, uns untereinander auszutauschen und neue Ideen zu entwickeln.

Wolf: Als stellvertretender Leiter der Verwaltung bin ich auch für den Einkauf von Leistungen wie z.B. Energie und Müllentsorgung sowie für die Steuerung von Produktumstellungen zuständig. Größere Themen stimme ich direkt mit unserem Geschäftsführer ab. Dass es uns gelungen ist, in dieser Marktphase und unter Corona-Bedingungen die Stelle von Frau Bickel zu schaffen, zeigt, wie wichtig auch ihm das Thema ist. Bisher haben wir bei unserer Geschäftsführung noch keine Nachhaltigkeitsanliegen angebracht, die nicht genehmigt wurden. Wir dürfen auch auf weitere Ressourcen an Mitarbeiter*innen zugreifen und auch mal „durchgreifen“, wenn veränderte Prozesse bzw. Regeln nicht eingehalten werden.

Wie lässt sich Abfall in einem Klinikum vermeiden, ohne dass man die in Pandemiezeiten besonders wichtigen Hygienestandards gefährdet?

Bickel: Das ist tatsächlich nicht ganz einfach. Aber wir sparen Müll ein, wo es geht. Im OP setzen wir z.B. auf Kitpacks (OP-Abdecksets) statt auf einzeln verpackte Verbrauchsartikel. Für unsere Herzkatheter haben wir ein Recyclingsystem. Und unsere Einmal-Untersuchungshandschuhe zeichnen sich durch um 17 Prozent reduzierte CO2-Emissionen und den um 12 Prozent verringerten Wasserverbrauch bei der Herstellung aus. Zudem sind sie aus hautfreundlichem Material ohne Chlor und Vulkanisationsbeschleuniger. Auch ihre Verpackung besteht aus Altpapier.

Wolf: Die Kitpacks im OP sparen rund 80 Prozent Verpackungsmüll – Plastik und beschichtetes Papier gegenüber Einzelprodukten. Wir achten bei allen Entscheidungen auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Wirtschaft und Soziales. Dass nun in der gleichen Verpackungsgröße 200 Handschuhe enthalten sind statt 100 schätzen auch unsere Mitarbeiter*innen, die die Handschuhe dadurch nur halb so oft nachbestellen und auffüllen müssen. In der Reinigungschemie arbeiten wir außerdem mit Ultrahochkonzentraten in recycelten und nach Gebrauch wieder recycelbaren 1-Liter-PET-Flaschen eines Münchner Herstellers. Unsere Mitarbeiter*innen müssen dadurch nicht mehr wie früher schwere 5-Liter-Kanister an die Dosieranlagen anschließen. Gleichzeitig werden durch die kleineren Verpackungsgrößen und kurzen Transportwege Treibstoff und CO2 eingespart. Die verbleibenden CO2- Emissionen gleichen wir im Rahmen eines Klimabündnisses zusammen mit einem Partner-Unternehmen zu 100 Prozent aus.

Einiges erreichen konnten wir auch bei Speiseresten bzw. der Lebensmittelverschwendung. Mittlerweile nehmen wir die Bestellungen der Mahlzeiten unserer Patient*innen immer erst nach der Visite auf, sodass weniger umsonst produziert wird – sofern Patient*innen früher als geplant entlassen werden. Noch letztes Jahr im September brauchten wir vier Speiserestetonnen à 120 Liter, die dreimal pro Woche geleert werden mussten. Heute wird unsere einzige 240-Liter-Tonne nur noch zweimal pro Woche geleert. Auch bei der Beschaffung versuchen wir der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken, indem wir den Großteil unseres Obstes und Gemüses über eine Firma beziehen, die Bio-Obst und Gemüse vom Feld „rettet“, das einwandfrei aber ggf. etwas schief gewachsen ist und deshalb aussortiert worden wäre.

Energie einzusparen ist heute wichtiger denn je. Was hat sich da bei Ihnen getan?

Wolf: Wir achten stark auf Details. Durch die Gerätereduktion auf den Stationen sparen wir erhebliche Mengen an Energie. Statt vorher sieben kleinen Kühlschränken für Lebensmittel mit einem Verbrauch von jeweils 173 Kilowatt pro Jahr halten wir heute noch drei große Kühl-Gefrierkombinationen mit einem Verbrauch von jeweils nur noch 119 Kilowatt pro Jahr vor.

Bickel: Wir führen regelmäßig Energieaudits durch, die die Grundlage für unsere Maßnahmen bilden. In der Regel tauschen wir noch intakte Geräte nicht prophylaktisch aus. Bei der Anschaffung neuer Geräte aber setzen wir außer auf Qualität auch auf Umweltsiegel wie „Blauer Engel“. Der Austausch der Kühlschränke von sieben auf drei brachte eine Energieeinsparung von 70 Prozent! In der Zentralsterilisation haben wir jetzt leistungsstärkere Reinigungs- und Desinfektionsgeräte, die weniger Ressourcen wie Wasser, Zeit und Energie verbrauchen. Unsere Drucker reduzieren wir nach und nach, statten z.B. Lagerräume, Toiletten, Durchgänge mit Bewegungsmeldern aus und bringen Hinweisschilder an, dass Geräte bei Nichtbenutzung ausgeschaltet werden sollen. Spürbar Energie eingespart haben wir, indem wir sukzessive unsere frühere Beleuchtung durch LEDs ersetzt haben.

Nutzen Sie auch erneuerbare Energie?

Wolf: Ja. Für unsere Fernwärmeversorgung sorgen die Stadtwerke München u.a. mit Blockheizkraftwerken und Geothermie. Auch unseren Strom beziehen wir von den Stadtwerken. 60 Prozent unseres Stroms stammt aus erneuerbaren Energien. Zudem prüfen wir, ob wir auf hundertprozentigen Ökostrom umsteigen und an das klimaneutrale Fernkältenetz der Stadtwerke München angeschlossen werden können. Wir planen außerdem die Anschaffung einer Photovoltaikanlage und von smarten Stromzählern mit passender Software, damit wir unsere Energieeinsparungen leichter ermitteln können.

Für wann ist der Bau der Photovoltaikanlage geplant?

Wolf: Sie soll planmäßig 2023 in Kooperation mit den Stadtwerken München auf den Dachflächen des Klinikums errichtet werden und rund vier Prozent des Klinikverbrauchs decken. Allerdings wissen wir natürlich nicht, was dieses Jahr noch an Verzögerungen bringt. Photovoltaikmodule sowie Montagebetriebe dafür sind aktuell knapp. Auch die Anschaffung von passenden Smart-Metern ist aktuell nicht kurzfristig umsetzbar. Eine Besonderheit haben wir auch durch den historischen Bürkleinbau. Wir müssen versuchen, Nachhaltigkeit und Denkmalschutz unter einen Hut bekommen.

Gibt es weitere Zahlen, wie viel Sie durch Ihre Maßnahmen bis jetzt sparen konnten?

Wolf: Die komplette Umrüstung auf LED-Beleuchtung bringt wertmäßige Energieeinsparungen in Höhe von knapp 40.000 Euro, gerechnet auf Basis der Strompreise von 2019. Für die Auswertung unserer anderen Maßnahmen bräuchten wir die smarten Stromzähler und eine Energiemanagementsoftware. In der zweiten Jahreshälfte können wir vielleicht das erste halbe Jahr mit dem zweiten vergleichen, aber eine Gesamtsumme können wir derzeit nur mit hohem manuellen Aufwand ermitteln.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Wolf: Wir sind ein hoch digitalisiertes Haus. Bereits seit 2014 gibt es bei uns in allen Bereichen eine digitale Patientenkurve. Wenn Sie bei uns als Patient*in aufgenommen werden, gehen unsere Mitarbeitenden mit Ihnen die Verträge an großen, gespiegelten Bildschirmen durch und Sie können mit Signaturpads die Verträge unterschreiben. Dadurch wird an allen Stellen weniger gedruckt. Es gibt aber leider keine eindeutige Studienlage, dass digitales Arbeiten per se nachhaltiger ist. Digitale Endgeräte werden ja überall auf der Welt unter unterschiedlichen Bedingungen produziert und müssen dann hierher transportiert werden. Zudem brauchen viele Geräte rund um die Uhr Strom, etwa die Laptops für die Visiten, die fast nie heruntergefahren werden. Und wir sparen zwar Papier, haben aber mehr Elektroschrott, weil die meisten Rechner nach einer gewissen Zeit z.B. wegen fehlender Updates nicht mehr sicher sind und ausgetauscht werden müssen. Hinsichtlich der Ökologie bringt Digitalisierung also nicht zwangsläufig Vorteile, auch wenn wir stark auf die Zertifizierung unserer Geräte achten und es für unsere EDV/IT-Abteilung ein eigenes Energiemanagement-Konzept gibt.

Gibt es auch Einsparungen im Bereich Verkehr?

Wolf: Neben der Tatsache, dass wir schon immer durch einen Logistiker versorgt werden, der einmal pro Woche alles gebündelt anliefert und dadurch rund 50 Einzelanlieferungen spart, haben wir auch andere Anlieferungen reduziert: Der Getränkelieferant liefert nur noch zweimal statt dreimal pro Woche, und wir haben nur noch einen Lebensmittelgroßhändler, der hier in München sein Lager hat. Auch die Zyklen der Abholung unserer Müllpressen konnten wir um 50 Prozent reduzieren.

Worauf sind Sie besonders stolz, Frau Bickel?

Bickel: Beim Abfallmanagement haben wir wirklich viel erreicht. Wir haben einen eigenen Abfallbeauftragten und mit vier weiteren Mitarbeiter*innen an dem entsprechenden Fachkundelehrgang teilgenommen, ein Konzept erstellt und alles dokumentiert, um die Inhalte in Schulungen an unsere Mitarbeiter*innen weiterzugeben. Besonders spannend finde ich Projekte, in die wir Mitarbeitende einbinden können – z.B. das Projekt KLIMARETTERLEBENSRETTER. Dabei setzen diese einfache Klimaschutzmaßnahmen am Arbeitsplatz um, dokumentieren sie und vergleichen sich mit anderen. So werden alle für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisiert.

Weitere Informationen: → www.isarklinikum.de/ueberuns/nachhaltigkeit/ oder per email: Nachhaltigkeit@isarklinikum.de

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 11 vom 21.05.2022