Mehr Planbarkeit für alle!
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Frau Dr. Lauchart, was hat Sie dazu bewogen, Mitglied des Ausschusses „Beruf und Familie“ beim ÄKBV zu werden?
Lauchart: Die persönliche Betroffenheit. Ich war damals selbst gerade Mutter geworden und habe bei mir und meinen Kolleginnen festgestellt, dass es dadurch Schwierigkeiten im beruflichen Alltag gab. Als ich dann im Rahmen unserer Ausschussarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen eine Studie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf durchgeführt habe s. Kasten), hat sich aber schnell gezeigt, dass dies nicht nur ein Thema für Mütter mit kleinen Kindern ist. Betroffen sind vielmehr alle. Unsere Daten zeigen, dass besonders Ärztinnen und Ärzte ohne Kinder und Männer mit ihrer aktuellen Situation unzufrieden sind.
Wie interpretieren Sie diese Ergebnisse?
Lauchart: Die von uns befragten Frauen mit Kindern hatten überwiegend ihre Arbeitszeit nach der Geburt reduziert. Die meisten Männer und die Frauen ohne Kinder hatten das nicht getan. Frauen mit Kindern dürfen oft früher gehen. Männer mit Familie hingegen müssen meist alles machen: Arbeiten bis die Arbeit erledigt ist und gleichzeitig dem neuen Familienbild entsprechen. Das unter einen Hut zu bekommen ist schwierig. Bei kinderlosen Frauen und Männern könnte es so sein, dass sie sozusagen die Zeche zahlen, weil sie meist die ungünstigen Dienste haben.
Gleichzeitig ist Familie ja auch mehr als Kinder...
Lauchart: Das ist richtig. Wir haben auch gefragt, ob Angehörige gepflegt werden. Wir wissen um diese Thematik, sind darauf bei der Befragung aber nicht näher eingegangen. Aber selbstverständlich zählen auch Eltern und Partner, die gepflegt werden müssen, zur Familie und machen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf manchmal schwer.
Was waren für Sie die wichtigsten Ergebnisse der Befragung?
Lauchart: Den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen fehlen flexible Vertretungsmöglichkeiten, wenn z. B. ein Kind krank ist. Oder es plötzlich schlechte Schulnoten hat und man sich für einen gewissen Zeitraum auch mal nachmittags kümmern muss. Zwar gibt es mittlerweile einige Möglichkeiten der Vertretung über die KVB, aber sie sind oft nicht spontan und flexibel genug. Den angestellten Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus wiederum ist eine Mitsprache bei der Planung der Arbeitszeiten sehr wichtig. Außerdem haben sie noch zu selten die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung. Hinzu kommt, dass sich Frauen mit Kindern oft durch die Familie an ihrem beruflichen Fortkommen gehindert fühlen. Grundsätzlich wurde das Krankenhaus von den Befragten als sehr negativ hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wahrgenommen, während die Selbständigen mit eigener Praxis überwiegend zufriedener sind.
Warum fühlen sich Frauen mit Kindern am beruflichen Fortkommen gehindert?
Lauchart: 55 Prozent der von uns befragten Ärztinnen haben in der Studie angegeben, dass sie ihre Karriere wegen der Kinder zurückgestellt haben. Und ebenfalls 55 Prozent gaben an, sie seien wegen der Kinder in ihrem beruflichen Fortkommen beeinträchtigt worden. Das Gleiche gaben jeweils nur 21 bzw. 25 Prozent der Männer an. Wir haben die Frage nicht mehr weiter aufgeschlüsselt, aber es liegt die Vermutung nahe, dass eine Teilzeitarbeit für die Karriere eine Falle darstellt.
Was bedeuten diese Ergebnisse für Ihre zukünftige Arbeit im Ausschuss „Beruf und Familie“?
Lauchart: Bei vielen Arbeitgebern in den Kliniken gibt es mittlerweile ein Bewusstsein dafür, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig ist. Doch häufig gibt es noch keine oder zu wenig konkrete Umsetzung im Alltag. Wir als Ausschuss haben uns daher ein paar Themen ausgesucht, die wir aktuell bearbeiten. Dazu gehören etwa familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle im Krankenhaus: Wie kann man die Dienstplanung entsprechend gestalten? Ein weiteres Thema ist die Weiterbildung in Teilzeit. Dazu gibt es zwar schon Regelungen, aber es herrscht noch immer Unzufriedenheit. Denn zunächst braucht man einen „Weiterbilder“, der einem dies auch ermöglicht. Wir suchen daher nach Möglichkeiten, dies praktisch besser umzusetzen. Außerdem beschäftigen wir uns weiter mit den Herausforderungen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte, die Eltern sind.
Haben Sie schon Kontakte zu Politikern und Entscheidungsträgern?
Lauchart: Wir haben unsere Studie in verschiedenen großen Kliniken vorgestellt und stehen im Kontakt zur KVB. Außerdem durften wir sie im Gesundheitsausschuss des bayerischen Landtags präsentieren. Die Abgeordneten waren sehr interessiert. Es hat sich aber gezeigt, dass die Probleme im ländlichen Raum noch viel ausgeprägter sind. Dort gibt es nämlich oft gar nicht mehr genügend Ärztinnen und Ärzte, die unter den jetzigen Bedingungen arbeiten möchten.
Wenn Sie persönlich ein paar Wünsche frei hätten, was würden Sie dann der Politik mit auf den Weg geben?
Lauchart: Ein großes Problem ist aus meiner Sicht die zunehmende Ökonomisierung der Medizin. Wenn Operationssäle bis spät abends laufen müssen, um sich zu rechnen, dann ist das nicht familienfreundlich. Natürlich sind wir alle in dem Wissen Ärztinnen und Ärzte geworden, dass dies kein Nine-to-five-Job ist. Wochenend- und Nachtdienste gehören dazu, für alle. Aber durch den gesellschaftlichen Wandel arbeiten heute eben meist beide Elternteile, und dadurch ist einfach nicht immer alles zu jeder Zeit von allen machbar. Auch wenn wir nicht mehr bereit sind, unsere ärztliche Tätigkeit rund um die Uhr über andere Verpflichtungen und Interessen zu stellen, so sind wir dennoch mit Leib und Seele Ärztinnen oder Ärzte. Wir haben aber nicht nur eine Verantwortung gegenüber unseren Patienten, sondern auch gegenüber unseren Familien. Das gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Gleichzeitig sollte man auch an die Kinderlosen denken, die nicht alle unangenehmen Dienste alleine tragen können und sollen. Wäre es eine Lösung, mehr Kinderbetreuungseinrichtungen an Kliniken zu schaffen? Im Kleinen würde das helfen, denn dadurch hätte man nicht den Stress, für sein Kind einen Kindergartenplatz zu suchen. Auch eine Möglichkeit der Kinderbetreuung vor 8 Uhr wäre für Krankenhausärztinnen und -ärzte wichtig. Aber das ist aus meiner Sicht nicht das Wichtigste. Bedeutend ist vielmehr, dass bereits bestehende Regelungen zur Teilzeitarbeit auch umgesetzt werden. Außerdem ist die Planbarkeit der Arbeitszeit oft entscheidend. Dass man auch um 16.30 Uhr gehen kann, wenn man um 16.30 Uhr Feierabend hat. Das ist für die meisten Menschen, die Kinder haben, extrem wichtig.
Warum werden bestehende Regelungen zur Teilzeitarbeit oft nicht umgesetzt?
Lauchart: Vor allem bei Frauen ist die Angst vor einem Karriereknick oder -abbruch durch Teilzeitbeschäftigung groß. Wir Ärztinnen und Ärzte an Unikliniken haben z.B. oft befristete Verträge und sind dadurch in einem Abhängigkeitsverhältnis. Da ist die Befürchtung berechtigt, dass ein Arbeitsvertrag einfach ausläuft und nicht verlängert wird, wenn Teilzeit beantragt wird. Dies kann ohne Angabe von Gründen geschehen. Stattdessen werden dann neue Ärztinnen und Ärzte in Vollzeit angestellt. Das ist nicht in allen Kliniken so. An meiner Klinik etwa ist dies nicht der Fall. Aber wenn der Chef sagt, dass Teilzeitarbeit aus organisatorischen Gründen nicht möglich sei, geben viele Frauen auf. Natürlich ist es schwieriger, die Arbeit mit mehreren Teilzeitkräften zu organisieren. Aber in den meisten Fällen wäre es durchaus möglich. Ein Ergebnis der Studie war, dass viele Ärztinnen und Ärzte unzufrieden mit der mangelnden Mitsprachemöglichkeit bei den Diensten sind.
Was könnte man tun, um dies zu verbessern?
Lauchart: Wichtig ist, mit den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reden und die Planung gemeinsam zu machen. Es bräuchte mehr flexible Lösungen für den Einzelfall. Ich zum Beispiel darf morgens um 7.45 Uhr mit meiner Arbeit anfangen statt um 7.30 Uhr, und das erleichtert mein Leben ungemein. Sonst könnte ich meine Tochter nicht in den Kindergarten bringen. Das Gleiche gilt für das Arbeitsende. Ich finde, die deutsche Pünktlichkeit sollte nicht nur für den Arbeitsbeginn, sondern auch für das Arbeitsende gelten. Wenn in einigen Abteilungen die Oberarztvisite erst um 17 Uhr beginnt, ist es schwierig, um 16.30 Uhr zu gehen. Ich denke aber, dass es mit der Zeit einen Umbruch in diesem Bereich geben wird, denn ich sehe bei vielen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, dass es ihnen auch ohne Kinder sehr wichtig ist, pünktlich nach Hause gehen zu können. Lassen sich Ihre Ergebnisse auf den Rest Bayerns übertragen? Teilweise sicher schon, aber zum Einen ist die Kinderbetreuungssituation in München anders als auf dem Land, und zum Anderen haben wir auch eine ganz andere Mischung zwischen Krankenhaus- und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Drittens gibt es in München im Verhältnis sehr viele Beschäftigte an Unikliniken. Grundsätzlich kann man aber sagen: Wir wissen, dass es künftig noch einen höheren Anteil an Frauen unter den Ärztinnen und Ärzten geben wird. Wenn das klassische Rollenmodell weiter betrieben wird, bei dem die Frau wegen der Kinder ihre Arbeitszeit reduziert und der Mann weiter in Vollzeit arbeitet, wird dies schließlich zu Schwierigkeiten in der medizinischen Versorgung führen.
Was für Schritte plant der Ausschuss als Nächstes?
Lauchart: Wir möchten uns mit der KVB austauschen, was man im niedergelassenen Bereich noch verbessern kann, und wir stehen mit weiteren Kliniken in Kontakt, um ihnen unsere Studie und unsere Ideen vorzustellen.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler