Leitartikel

Medizin im Pflegeheim

Schon Hausärztinnen und Hausärzte zahlen bei der ärztlichen Versorgung in Pflegeheimen drauf. Noch schwieriger ist es für Fachärzte, sagt Dr. Bernhard Gallenberger, HNO-Arzt und Mitglied im ÄKBV-Vorstand. Neben den Patienten seiner Praxis betreut er auch Patienten in einem Altenheim und auf einer Wachkomastation.
Medizin im Pflegeheim

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Herr Dr. Gallenberger, wo und seit wann versorgen Sie Bewohner von Altenheimen?

Schon seit Jahren betreue ich als HNO-Arzt regelmäßig ein Altenheim in Neuperlach. Unter den schätzungsweise 500 Heimbewohnern befinden sich sowohl Pflegebedürftige als auch Bewohner, die dort ihren Seniorensitz haben. Pro Monat versorge ich etwa dreißig Patienten. Dazu mache ich mit der Heimleitung feste Termine aus – zunächst einmal im Quartal, meistens am Donnerstag Nachmittag für drei bis vier Stunden. Bei Sonderfällen, also etwa akuten Ohrenschmerzen, fahre ich auch mal spontan dorthin, oder ich komme nach einem Monat zur Nachsorge.

Was sind die häufigsten Diagnosen bei den betroffenen Heimbewohnern?

In meinem Fachbereich sind das verstopfte Ohren, Gehörgangsentzündungen und Hörminderung. Auch chronische Mittelohrentzündungen sind häufig, ebenso Schwindel. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sind über 80. Es gibt sogar drei Hundertjährige dort. Und in diesem Alter klagen die Meisten irgendwann einmal über Schwindel. Ich habe eine Frenzelbrille dabei, doch in der Regel gibt es keine besonderen therapeutischen Konsequenzen. Oft stecken zerebrale Störungen aufgrund von Durchblutungsstörungen hinter den Beschwerden.

Wie einfach ist die Behandlung der Patienten?

Sie ist in der Regel sehr aufwändig. Oft beginnt es schon damit, dass der Patient sich nicht auf seinem Zimmer aufhält. Eigentlich bräuchte ich eine extra Praxishilfe. Die aber kann ich hier nicht vorhalten. Daher brauche ich die Hilfe der Pflegerinnen oder Pfleger. Denn viele Bewohnerinnen und Bewohner leiden unter einer Demenz und verstehen nicht, was passiert. Das Personal bemüht sich dabei sehr, ist allerdings meistens auch chronisch unterbesetzt. Von einer üblichen Untersuchung, wie wir sie in der Praxis mit dem Mikroskop etc. machen, kann daher keine Rede sein.

Können Sie alle wichtigen Untersuchungen vor Ort durchführen?

Das geht natürlich nicht. Allerdings sind die meisten Fälle im HNO-Bereich nicht sehr komplex und lassen sich makroskopisch abklären. Dazu haben ich ein mobiles Endoskop mit einem Xenon-Licht dabei. Oft hilft es, den Patienten das Ohrenschmalz zu entfernen oder Tropfen zu geben. Bei einer Hörminderung kann ich einen Akustiker zum Patienten schicken lassen. Im Einzelfall verschreibe ich auch mal ein Hörgerät.

Was passiert, wenn jemand weiteren Abklärungsbedarf hat?

Bei schwierigeren Fällen, etwa beim Verdacht auf einen Tumor im Rachenraum, bräuchte man einen Ultraschall, der mir dort aber nicht zur Verfügung steht. Daher prüfe ich die Sinnhaftigkeit einer weiteren Diagnostik. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sind massiv gehbehindert oder sogar im Rollstuhl und können unsere Praxis daher nicht aufsuchen.

Gibt es Kooperationen mit niedergelassenen Hausärzten vor Ort?

Die gibt es. Meist sind wir telefonisch in Kontakt, oder ich bekomme eine Überweisung. Die Zusammenarbeit mit den Hausärztinnen und Hausärzten ist sehr gut.

Lohnt sich die Behandlung für Sie?

Die Behandlung dieser Patienten ist eher unwirtschaftlich. Doch auch die Patienten und Patientinnen im Pflegeheim müssen versorgt werden.

Manche Einrichtungen stellen heute eigene Ärzte an, aber das ist bei vielen kleineren Einrichtungen finanziell nicht machbar. Obwohl sich die KVB für eine bessere Entlohnung der Arbeit in Pflegeheimen einsetzt, haben wir Fachärzte bis jetzt kaum Möglichkeiten, die Versorgung extra zu berechnen. Sie versorgen darüber hinaus Wachkomapatienten, die auf einer speziellen ambulanten  Pflegestation versorgt werden.

Wie gestaltet sich die Versorgung dort?

Es handelt sich dabei um eine Pflegeeinrichtung, die von einem ambulanten Pflegeunternehmen aus Niederbayern versorgt wird. Solche ambulanten Einrichtungen werden in der Regel von den gerichtlich bestimmten Betreuern der Patienten getragen, also von den Angehörigen oder anderweitig bestellten Betreuern. Diese mieten dafür einen Wohnkomplex für eine Wohngemeinschaft an. Ich versorge die Patienten dieser Wachkomastation fachärztlich. Dort gibt es Patienten, die wahrscheinlich ein Leben lang im Wachkoma und mit Tracheostoma leben. Sie sind minimal responsiv, zeigen keine Reaktion. Daher müssen Tag und Nacht immer Pflegekräfte vor Ort sein. Finanziell ist auch dies für mich eher defizitär. Auch dafür kann ich immer nur jeweils einen Hausbesuch abrechnen.

Warum engagieren Sie sich trotzdem in diesem Bereich?

Ich persönlich finde es wichtig, mich auch um Pflegebedürftige zu kümmern. Ich bin ein Arzt für alle. Dass der Bereich der Pflegeheime so unterfinanziert ist, ist für mich ein Spiegel unserer Gesellschaft. Es ist allerdings unfassbar, wenn eine Mitarbeiterin einer Krankenkasse am Telefon fragt, wann man die Trachealkanüle denn endlich ziehen könne. Das zeigt, wie wenig unsere Arbeit und vor allem die Arbeit der Pflegekräfte wertgeschätzt wird und wie wenig medizinisches Wissen und gesunder Menschenverstand gefragt ist.

Werden die Wachkoma-Patienten aus Ihrer Sicht derzeit optimal medizinisch versorgt?

Auf der Apallikerstation werden die Menschen sehr gut betreut, auch medizinisch. Ich bin dort einmal im Monat, bei wichtigen, akuten Problemen auch öfter. Unter anderem kommt in diese ambulante Einrichtung auch regelmäßig ein Beatmungsmediziner. Es gibt auf dieser Station zehn Wachkomapatienten mit Dysphagie bei absaugpflichtigem Tracheostoma. Insgesamt wohnen dort derzeit 20 Patienten mit schweren zerebralen Erkrankungen, darunter nach Verkehrsunfall oder Apoplex. Sie alle brauchen ständig Hilfe und Betreuung. Unter diesen Patienten sind ganz unterschiedliche Menschen, was zeigt, dass es jeden treffen kann.

Welche politischen Forderungen würden Sie aus dieser Situation ableiten?

Zum Einen gibt es zu wenig solcher Einrichtungen. Wir müssen daran denken: Es gibt viele pflegebedürftige Patienten, und aufgrund der Alterspyramide werden es immer mehr. Auch wir sind womöglich irgendwann pflegebedürftig. Um diese Patientengruppe müssen wir uns kümmern. Es braucht langfristige Konzepte für die Pflege und für eine vernünftige medizinische Versorgung.

Was würden Sie sich diesbezüglich wünschen, wenn Sie bei einer guten Fee Wünsche frei hätten?

Dann hätte ich gern einen ausreichend finanzierten Besuch in diesen Heimen einmal im Monat mit einem eigenen Zimmer, einem eigenen Mikroskop und einer eigenen Endoskopie. Ich hätte gern eine Arzthelferin, die nur dort tätig ist. Die Anfahrt eines Medizintechnikers zur Reparatur eines medizinischen Gerätes wird mit etwas 160 Euro veranschlagt, ein Schlüsseldienst kostet 200 Euro, ein Hausbesuch in einer Wachkoma-Einrichtung wird deutlich geringer   vergütet.

Wer müsste aus Ihrer Sicht in diesem Bereich tätig werden?

Es ist wichtig, dass zunächst Hausärztinnen und Hausärzte bei dieser Tätigkeit von der KVB unterstützt werden, da sie die Haupttätigkeit in diesem Bereich leisten. Doch wenn man einen Facharzt hinzuzieht, sollte auch dieser für den Aufwand ausreichend entlohnt werden. In meinem Bereich gibt es meines Wissens zu wenig Kolleginnen und Kollegen, die in die Versorgung einbezogen sind. Vielleicht wäre es möglich, auch für die Pflegeheim-Versorgung Dienste zu schaffen. Ein solches Konzept ist meines Wissens von der KV auch schon angedacht. Auch der Gesundheitsbeirat sollte sich darüber Gedanken machen. Es geht ja nicht darum, die Tätigkeit finanziell attraktiv zu machen. Aber man sollte das Engagement von Ärztinnen und Ärzten wenigstens ausreichend honorieren!

 

Das Gespräch führte Stephanie Hügler