Leitartikel

Kommunikation in Ausbildung und Praxis; Reden ist Silber, Zuhören Gold

Kommunikation ist bis jetzt noch kaum ein Thema in den medizinischen Staatsexamen. Prof. Dr. Jana Jünger, Internistin und Direktorin des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), möchte das ändern.
Kommunikation in Ausbildung und Praxis; Reden ist Silber, Zuhören Gold

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Frau Prof. Jünger, in der aktuellen Zeit scheinen die Themen Kommunikation und sprechende Medizin sehr weit weg. Warum sollten wir uns dennoch damit beschäftigen?

Sprechende Medizin ist natürlich nicht vergleichbar mit einem neuen Gerät oder einem Impfstoff gegen das Coronavirus, auf den gerade alle warten. Aber sie ist genauso wichtig. Aktuell finden Sie in der ARD-Mediathek den Film „Hiobsbotschaft“, an dem wir beteiligt waren, über den passenden Umgang mit schlechten Nachrichten. Es berührt mich sehr, wenn ich Facebook-Reaktionen oder direkte Zuschriften lese über die Katastrophen, die manche Patient*innen erlebt haben. Zum Beispiel berichten mir Patient*innen, ihr Arzt habe ihnen vor mehreren anderen Anwesenden ungerührt gesagt: „Sie haben überall Berge von Metastasen. Den nächsten Urlaub können Sie vergessen“. Wenn ich so etwas lese, weiß ich, dass es um die Kommunikation bei uns Ärzt*innen insgesamt noch nicht besonders gut bestellt ist – auch wenn viele Kolleg*innen sich z.B. privat fortgebildet haben oder anderweitig eine gute Kommunikation gelernt haben.

Sie sind Direktorin des Instituts für Medizinische Prüfungsfragen. Warum beschäftigt Sie das Thema Kommunikation?

Weil dieses Thema in meinem eigenen Studium nicht vorkam. An der Universität Heidelberg habe ich daher Mitte der 1990er begonnen, Anamnesegruppen mit Schwerpunkt Kommunikation für Studierende anzubieten und Gruppen für die interprofessionelle Zusammenarbeit mit der Pflege zu entwickeln. Kurz vor den Staatsexamina, den IMPP Prüfungen, kam aber plötzlich keiner mehr in meine Kurse! Damals dachte ich: Wie kann es sein, dass diese Themen in den Prüfungen nicht vorkommen? Zum Glück hatten wir in Heidelberg damals einen guten Dekan, Prof. Sonntag, sodass wir ab 1999 zunächst in der inneren Medizin und später über das fächerübergreifende Programm Medi-KIT als erster medizinischer Reformstudiengang flächendeckend Kommunikationskurse verpflichtend einführen konnten. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen möchte ich gern Reformansätze aus den verschiedenen Fakultäten über den Masterplan Medizinstudium 2020 in die Staatsexamina einbringen. Zudem möchten wir die Kompetenzen und das Wissen anderer Berufsgruppen stärker für den Patienten und das Team nutzbar machen. Da ich selbst ursprünglich eine Pflegeausbildung durchlaufen habe, finde ich es toll, wie interprofessionell das IMPP schon seit vielen Jahren aufgestellt ist

Wie ist es aktuell um das Thema Kommunikation in den medizinischen Prüfungen bestellt?

Derzeit wird es nur in den schriftlichen, theoretischen Prüfungsfragen an einigen Stellen mit abgefragt. Im mündlichen Staatsexamen wird im Schnitt aber nur knapp drei Minuten direkt mit dem Patienten unter den Augen der Prüfer*innen gesprochen. Ansonsten wird immer nur über ihn gesprochen. Wir möchten, dass der Patient der primäre Ansprechpartner ist. Zuzuhören ist entscheidend, um wichtige Informationen für die Diagnostik zu erlangen. Außerdem entstehen dadurch Beziehung und Vertrauen – zwei wichtige Grundlage für jede Behandlung. Meiner Ansicht nach gehen einige Menschen vor allem deshalb zu Heilpraktikern, weil wir Ärzt*innen im Schnitt zu wenig zuhören.

 

Welche Änderungen möchten Sie im Staatsexamen vornehmen?

Aktuell planen wir 25 Minuten für das Anamnesegespräch mit dem Patienten und noch einmal 25 Minuten für die körperliche Untersuchung, in der auch parallel zur Untersuchung weiter mit dem Patienten gesprochen werden kann. Dabei ist es wichtig, dass die Studierenden den Patienten sagen, was sie gerade tun und dass sie achtsam mit ihnen umgehen. Zum Beispiel sollten sie die Patienten nicht ständig aufstehen, sich hinlegen und wieder aufstehen lassen oder sie leicht bekleidet bei offenem Fenster untersuchen. Wir möchten, dass Patienten in einer würdigen und angemessenen Art und Weise untersucht werden. Gerade der respektvolle Umgang ist noch nicht überall in der Ausbildung Thema und wird von den Studierenden oft vergessen. Auch Übungen mit Schauspielern sind noch nicht flächendeckend vorhanden. Wir möchten den engagierten Kolleg*innen, die freiwillig Kurse für Studierende anbieten, mit einer Änderung der Prüfungsordnung den Rücken stärken. Auch die Studierenden, die diese Kurse besuchen, möchten wir darin bestärken.

Warum kommt Kommunikation im praktischen Alltag vieler Ärzt*innen zu kurz?

Viele sagen: „Ich habe keine Zeit dafür“, und das stimmt teilweise auch. Aber Zeit ist nicht alles. Man kann auch in begrenzter Zeit wertschätzend sein und die Sorgen der Patient*innen anhören. Man kann auch in kurzer Zeit jemandem etwas Tröstendes sagen. Im Rahmen von Modellprojekten haben wir dazu bereits ein paar Teams vor Ort trainiert, z.B. die Weiterbildungsassistenten in der Urologie an der Universitätsklinik Düsseldorf, die auch im Film „Hiobsbotschaft“ vorkommen. Wir haben sie interprofessionell, gemeinsam mit den Pflegenden, 80 Stunden lang in Kommunikation ausgebildet und vor allem nicht nur in Workshops, sondern auch direkt am Arbeitsplatz im Gespräch mit ihren Patient*innen.

Was bringt ein solches Training Ärzt*innen, die bereits fest im Beruf stehen?

Es verbessert nicht nur die Kommunikation mit den Patient*innen, sondern auch das Miteinander im Team, die Arbeitsabläufe und Absprachen. Und davon profitiert letztlich die ganze Institution. Wer z.B. heute in der Düsseldorfer Urologie ein Gespräch mit einem Patienten über eine Tumordiagnose führen muss, gibt vorher seinen Piepser ab und wird währenddessen nicht gestört. Das vorher übliche Vorgehen wurde umstrukturiert, weil schließlich alle davon profitieren, wenn man dem Patienten eine halbe Stunde Zeit gibt, um seine Diagnose zu verstehen. Es braucht immer ein Zusammenspiel zwischen einer verbesserten Kommunikationsfähigkeit, veränderten Prozessen im Team und einer anderen Organisation.

Gibt es auch in Bayern Modellprojekte?

Ja, in Garmisch-Partenkirchen haben wir gemeinsam mit Frau Dr. Ulrike Necknig, Oberärztin an der dortigen Urologie, eine interprofessionelle Ausbildungsstation entwickelt. Sie ist die erste in der Urologie weltweit! In München haben wir noch kein Modellprojekt, aber wir sind offen für Ideen und Vorschläge. Insgesamt arbeiten wir am IMPP mit vielen Ärzt*innen in Bayern im Bereich Kommunikation zusammen, zum Beispiel mit Frau Prof. Bärbel Otto von der LMU oder dem Hausarzt Lothar Schmittdiel aus Daglfing.

Das Überbringen einer schlechten Nachricht ist eine besonders schwere Aufgabe. Warum ist gute Kommunikation auch sonst im ärztlichen Alltag wichtig?

Durch bessere Kommunikation und besseres Zuhören lassen sich Fehler, z.B. Fehlindikationen, vermeiden. Nehmen Sie zum Beispiel eine nicht indizierte Wirbelsäulenoperation: Was dafür an Anästhesie, Chirurgie und Pflege benötigt wird – angefangen von der Sterilisation der Instrumente bis hin zur Vorbereitung des Operationssaals! Wenn Sie diese Arbeitszeit zusammenrechnen, können Sie in der gleichen Zeit sehr viele Gespräche führen. Wir betreiben oft einen unglaublichen Aufwand für Behandlungen, die gar nicht indiziert sind. Das nimmt uns Zeit, die uns dafür an anderer Stelle fehlt. Häufig werden Patienten und Angehörige auch nicht richtig ernst genommen. Das kann dazu führen, dass Erkrankungen viel zu spät erkannt werden. Wir müssen lernen aufzuhorchen, wenn zum Beispiel Angehörige sagen, sie haben das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Das sind wichtige Lernquellen für uns, mit denen wir Fehler aufdecken können – nicht nur für diesen einen Patienten, sondern auch für künftige.

Welche anderen Fehler können in der Kommunikation passieren?

Zum Beispiel sollte man Fragebatterien oder Negativsuggestionen vermeiden. Stattdessen ist es wichtig, eine Vertrauensbasis zu schaffen, die Patient*innen wie ein mündiges Gegenüber zu behandeln und ihre Eigenmotivation zu nutzen. Wenn ich meinen Patien*innen etwas gut erkläre, hat das starke Auswirkungen auf ihre Therapietreue. Gleichzeitig gilt es, Worte zu wählen, die sie stärken, zum Beispiel, indem ich sage: „Es ist eine schwere Zeit, die Sie gerade durchmachen und ich bin beeindruckt, wie gut Sie damit umgehen und wie Sie üben, um körperlich wieder fit zu werden. Ich sehe, wie Ihre Leistungsfähigkeit zunimmt.“ Die Patienten sollen sich nach dem Gespräch möglichst gut fühlen. Es hilft auch, gemeinsam mit den Patienten ein Netzwerk aufzubauen, das sie stützt, denn jeder Kranke braucht ein System.

Man könnte argumentieren, dass man als Arzt oder Ärztin dafür ja nicht bezahlt wird...

Das sehe ich anders. Wir Ärzt*innen sollten die Ressourcen beim Patienten erkennen und sie darin bestärken, was sie gut machen. Natürlich muss eine positive Rückmeldung auch den Tatsachen entsprechen. Aber stellen Sie sich vor, Sie wurden zum Abendessen eingeladen und sagen dann: „Der Büffelmozzarella letztes Mal war besser“ oder „Was? Kein Tiramisu zum Nachtisch? Nur Pfannkuchen?“ Da wäre Ihr Gegenüber wohl sehr geknickt. Besser wäre es zu sagen: „Mensch, ist der Tisch toll gedeckt!“ oder „Pfannkuchen? Die hast Du selbst gebacken? Super!“. Übertragen auf die Arzt-Patienten-Beziehung bedeutet das: Statt z.B. einen Diabetiker zu schelten, weil er noch immer nicht beim Sport war, kann man sagen: „Dafür, dass Sie im Schichtdienst arbeiten und Kinder haben, klappt es mit dem Blutzucker schon ganz gut. Toll, dass Sie angefangen haben, regelmäßig zu messen. Jetzt schauen wir mal, ob wir noch etwas verbessern können“.

Was wären Ihre Botschaften an bereits praktizierende Ärzt*innen?

Kommunikation hilft – sie hilft dem Patienten, aber auch mir und meinem Team. Man kann sie lernen, und es lohnt sich, sie zu üben, auch wenn man schon länger im Beruf ist. Dazu müssen wir als Ärzt*innen der Kommerzialisierung in der Medizin stärker entgegentreten und uns dafür einsetzen, dass wir für das Gespräch als Grundlage jeder Behandlung auch die nötige Zeit bekommen. Wir Ärzt*innen müssen wieder stärker die soziale Verantwortung für die Prozesse im Gesundheitssystem übernehmen.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler