Klimawandel und Gesundheit, Heiße Zeiten
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Ukrainekrieg, Pandemie, Klimawandel – wir befinden uns in einer Zeit der Krisen. Welche ist die wichtigste?
Böse-O’Reilly: Gegen Corona gibt es eine Impfung und Medikamente, gegen den Ukrainekrieg möglicherweise eine politische Lösung. Den Klimawandel aber können wir bereits jetzt nur noch an einem sehr unangenehmen Punkt abbremsen. Noch im Jahr 2100 wird er zu spüren sein. Man muss diese Krisen aber auch nicht priorisieren, weil wir gegen alle gleichzeitig etwas tun können. In der Klimakrise wie in der Covidkrise ist das eigene Verhalten wichtig. Wie verändere ich mein Konsum-, Ess- und Reiseverhalten, damit weniger Treibhausgase emittiert werden? Von politischer Seite braucht es endlich eine Energie-, Ernährungs- und Verkehrswende.
Jäger: Die Klimakrise betrifft uns alle weltweit. Sie nimmt an Dynamik zu. Trotzdem schieben wir die Beschäftigung damit auf die lange Bank, weil uns viele andere Krisen aktuell wichtiger erscheinen. Dabei hängen diese Krisen häufig mit einander zusammen. Durch die Klimakrise steigt zum Beispiel das Risiko künftiger Kriege, weil die Lebensbedingungen in den Tropen sehr schwierig werden. Weil Afrika immer trockener wird, ist es außerdem auf Getreide aus der Ukraine angewiesen. Und wenn Menschen in Afrika verhungern, befeuert das auch die weltweite Flüchtlingskrise. Wir müssen deshalb jeden Tag aktiver sein – auch wenn uns die vielen Krisen derzeit vielleicht nerven.
In der Pandemie ist Schutzkleidung das A und O. Mal abgesehen vom vielen Müll wird es darunter aber sehr heiß, besonders im Sommer. Was können wir tun?
Böse-O’Reilly: Mundschutz haben wir als Ärzt*innen im Sommer schon immer getragen – egal, ob es warm war oder nicht. Wenn man aber in voller Schutzkleidung auf einer Covid-Station arbeitet, auf der die Raumtemperatur bereits 35 Grad und mehr beträgt, ist das eine massive Belastung. Der Kreislauf, das subjektive Wohlbefinden und die Konzentrationsfähigkeit leiden und damit auch die Arbeitsqualität. Auch auf Verbrennungsstationen zum Beispiel ist es oft mit 35 bis 37 Grad unaushaltbar warm.
Lässt sich das irgendwie verhindern? Wir brauchen die Schutzkleidung doch.
Böse-O’Reilly: Ja, aber wenn es so heiß ist, kann man darin nur kurze Zeit arbeiten, keine volle Schicht. Es braucht dann mehr Pausenzeiten und damit auch mehr Personal. Gerade Gesundheitseinrichtungen, z.B. Krankenhäuser und Pflegeheime, brauchen möglichst klimaneutrale Kühleinrichtungen. Querlüften oder Ventilatoren können helfen, und man kann unter der medizinischen Kleidung Kühlwesten tragen. Vor der Arbeit sollte man körperlich fit sein und währenddessen viel trinken. Entscheidend aber ist, dass man im Team aufeinander achtet und auch mal zueinander sagt: „Du solltest eine Pause machen“. Dazu braucht es natürlich auch Arbeitgeber*innen, die das verstehen und achtsam mit ihren Ärzt*innen und Pflegekräften umgehen.
Was können und sollten Arbeitgeber*innen also tun?
Böse-O’Reilly: Der generelle Arbeitsschutz gilt für alle Arbeitgeber*innen im Gesundheitswesen. Ab 28 Grad etwa müssen sie Getränke zur Verfügung stellen. Ab 35 Grad ist ein Arbeiten eigentlich nicht mehr möglich, aber anders als eine Dachdeckerin kann ein Krankenpfleger oder eine Ärztin die Station nicht einfach verlassen. In Stationszimmern hatten wir vor Kurzem bereits Temperaturen von 42 Grad! In einer Studie des LMU-Klinikums messen wir daher derzeit bei Pflegekräften Werte wie Körperkerntemperatur oder Puls und fragen nach dem subjektiven Empfinden. Eine Pflegekraft hatte eine Körperkerntemperatur von 38,7 Grad! Arbeitgeber*innen müssen sich für die nächsten Jahre besser vorbereiten. Analog zu den Hygieneplänen in der Pandemie braucht es Hitzeschutz-Aktionspläne. Zur Hitze kommen ja noch die Luftfeuchtigkeit und die körperliche Belastung hinzu, gerade auf den Covidstationen. Übergewichtige Patient*innen zu drehen ist Schwerstarbeit.
Jäger: Arbeitgeber*innen müssen grundsätzlich umdenken. In unserer Praxis können wir nicht querlüften, weil es rund um unser Gebäude sehr heiß ist. Wir tragen daher lockere Kleidung und darunter teilweise auch Kühlpacks – doch das genügt nicht. Aber es braucht noch bessere Lösungen für Praxen, Krankenhäuser und Pflegeheime! Dass aktuell viel Personal durch Covidinfektionen ausfällt, verschärft die Situation noch, weil sich so weniger Menschen abwechseln können. Auf den Coronastationen bräuchte es derzeit nicht nur eine Eins-zu-Eins-Betreuung, sondern womöglich sogar zwei Pflegekräfte für einen Patienten.
Böse-O’Reilly: In Praxen können Getränke und eine Verschattung helfen, und vielleicht kann jemand bereits morgens um 6 Uhr vor Ort sein und dann querlüften. Denn auch die Patient*innen leiden unter der Hitze. Multimorbide, betagte oder stark übergewichtige Hochrisiko-Patient*innen sollten Termine möglichst früh am Vormittag bekommen, da sie auf dem Weg zur und aus der Praxis besonders gefährdet sind. Und auch wenn es unangenehm ist, abends länger zu arbeiten: Vielleicht müssen wir künftig unsere Praxen bei Hitze mittags nach südländischer Art für mehrere Stunden schließen. Mittelfristig braucht es Klimaanlagen. Und langfristig muss man womöglich aus ungeeigneten Räumen ausziehen. Das Klinikum Großhadern mit seinen schönen Südfenstern und Bergblick wird nicht umsonst „der Toaster“ genannt.
Was können Pflegende und auch Ärzt*innen tun, um ältere Menschen vor Covid und Hitze zu schützen?
Böse-O’Reilly: Für die Menschen in Pflegeeinrichtungen hat die Stadt München mit Schutzmaßnahmen begonnen: Pflegekräfte werden geschult, Aktivitäten bei Hitze in kühlere Räume zu verlegen und ältere Menschen nicht in der Wolljacke sitzen zu lassen. Bei Pflegebedürftigen, die zu Hause betreut werden, ist das etwas schwieriger. Am meisten Sorgen machen mir aber ältere Menschen, die ohne Betreuung zu Hause leben. Hausärzt*innen müssten sich darum kümmern, dass diese Menschen versorgt werden. Sie selbst können das natürlich nicht leisten. Dazu bräuchte es Freiwilligen-Initiativen wie etwa die Impf- oder Einkaufshelfer*innen bei Covid – zum Beispiel Medizinstudierende, die Mithilfe von Adressen aus den Praxen die Menschen zu Hause aufsuchen. Auf der Website des LMU-Klinikums www.klimawandelundbildung.de gibt es übrigens viele Informationen für Ärzt*innen, Pflegende und auch andere Berufsgruppen: Die dortigen Poster, Flyer und Videoanleitungen können gerne weitergegeben oder ausgedruckt werden. In einer Hitzewelle wie dieses Jahr gibt es deutschlandweit mehrere tausend Hitzetote pro Jahr, allein in München mehrere hundert. Das können wir reduzieren.
Welche Gefahren und Beschwerden drohen älteren Menschen bei Hitze?
Böse-O’Reilly: Herz-Kreislauf-Erkrankungen und etwa die Sauerstoffversorgung bei chronischen Lungenerkrankungen sind wichtige Themen. Auch die Niere und der Blutdruck spielen eine Rolle. Wir Ärzt*innen sind in dieser Zeit angehalten, die Medikamentendosierung anzupassen. Gerade an heißen Tagen verändern sich die Parameter bei uns allen. Dazu gibt es eine gute Website, die u.a. von der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit (KLUG) betrieben wird: https:// dosing.de. Auch auf der Website von KLUG selbst (www.klimawandelgesundheit.de) gibt es sehr viele sehr hilfreiche und sinnvolle Tipps.
Jäger: Ältere Leute exekieren bei Hitze zum Teil ganz massiv. Die meisten meiner Patient*innen schaffen nicht einmal einen Liter Flüssigkeit am Tag und sind dabei oft zu dick angezogen, weil sie chronisch frieren. Die meisten nehmen sehr viele Medikamente, von denen wir schon unter Normalbedingungen nicht wissen, wie sie mit einander interagieren (Polypharmazie). Eine kurzfristige Medikamentenumstellung aber ist oft nicht so einfach, weil man eine Halbierung der Blutdrucktabletten oder Diuretika täglich überwachen müsste. Viele Angehörige wiederum wissen nicht, dass ältere Menschen durch zu wenig Flüssigkeit verwirrt sein können. In der Allgemeinbevölkerung gibt es dazu einfach viel zu wenig Aufklärung.
Warum sind auch Kinder und Jugendliche bei Hitze besonders vulnerabel, und wie kann man sie schützen?
Böse-O’Reilly: Kleinere Kinder haben oft noch kein Risikobewusstsein und trocknen aufgrund der größeren Körperoberfläche zum Gewicht in der Hitze relativ schnell aus. Bei Schulkindern finden leider immer noch sehr viele Schul- und Sportfeste oder Trainings im Sommer mittags oder nachmittags statt. Wir Ärzt*innen sollten dazu mit den Lehrer*innen und Vereinen zusammenarbeiten. Bei den Jugendlichen ist es oft schick, sich in die Sonne zu legen, denn ihnen fehlt meist noch das Risikobewusstsein, dass Sonnenbrände im Kindes- und Jugendalaer das größte Risiko für späteren Hautkrebs sind.
Jäger: In vielen Schulen mangelt es an Aufklärung und Hitzeschutzplänen. An einigen gibt es sogar ein Kopfbedeckungsverbot: Kinder und Jugendliche dürfen keine Hüte und Kappen tragen und müssen aber wegen Covid selbst in der größten Hitze raus auf den Hof. Sie dürfen drinnen nicht trinken, weil sie dazu die Masken abnehmen müssten. Es gibt zu wenig Wasserspender, Spielplätze sind häufig weder begrünt noch überdacht. Wir bräuchten in den einzelnen Stadtteilen flächendeckend Wasserbrunnen mit Nachfüllstationen für Flaschen wie in Frankreich, Italien oder Spanien! Bei über 30 Grad können Kinder und Jugendliche außerdem weder eine Klausur schreiben noch sich darauf vorbereiten. Ihre kognitiven Leistungen sind bei Hitze genauso eingeschränkt wie unsere oder die von älteren Menschen.
Was müssen die Eltern wissen?
Jäger: Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass man Kinder nicht bei Hitze nach draußen schicken kann. Auch nicht nach der Schule. Es ist in Ordnung, wenn ein Kind sich bei Hitze zurückzieht und ausruht, keinen Sport macht und später ins Bett geht. Mittelfristig müssen wir die Hitzeschutz-Maßnahmen aus südlichen Ländern auch hier umsetzen und zum Beispiel auch wieder mehr hitzefrei geben.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA Nr. 18 vom 27.08.2022