Klimaschutz in Krankenhäusern. Gemeinsam anpacken
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Herr Dr. Albrecht, warum müssen ausgerechnet jetzt die Kliniken klimaneutral werden? Gibt es dort nicht schon genug anderes zu tun?
Ja, durch die Krankenhausreform und andere Probleme stehen wir vor großen Herausforderungen. Aber der Gesundheitsbereich ist für fünf bis sechs Prozent des CO2-Fußabdrucks in Deutschland verantwortlich, und wenn wir hier nichts tun, werden wir die Pariser Klimaziele nicht erreichen, obwohl sich Deutschland dazu verpflichtet hat. Der Gesundheitssektor versursacht hierzulande mehr CO2-Ausstoß als Transport und Flugverkehr zusammen.
Welche Erfahrungen haben Sie als Geschäftsführer des Evangelischen Krankenhauses Hubertus in Berlin gemacht, das vom BUND zertifiziert wurde?
Bei der ersten Zertifizierung im Jahr 2001 – damals war ich noch nicht dort tätig – ging es vor allem darum, Energie und damit Geld zu sparen. Denn Energie war schon damals teuer, und schon damals gab es zu wenig Investitionsmittel. Im Rahmen eines Contractingmodells wurden Heizung und Stromerzeugung auf ein Blockheizkraftwerk umgestellt, was damals modern und innovativ war. Anschließend hat sich die technische Abteilung um Optimierung und Effizienzsteigerung bei den technischen Einrichtungen im Krankenhaus gekümmert – z.B. durch geschickte Kombinationen bei Regelung und Steuerung. Später kamen die Themen Klimaschutz und -anpassung, Hitzeschutz, das Verhalten der Mitarbeitenden und Ernährung dazu.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie für den „Einstieg“?
Technische Neuerungen wie die Einrichtung von Photovoltaikanlagen rechnen sich schnell. Manche Maß- nahmen sind nicht einmal mit großen Investitionen verbunden, z.B. der Einsatz von LED-Beleuchtung oder eine optimierte Steuerung von Wärme, Kälte und Lüftung. Große Energieverbraucher sind OPs und Intensivstationen. Es bringt schon viel, wenn ich außerhalb der OP-Zeiten konsequent die Lüftung herunterfahre. Auch bei den Funktionsbereichen wie Radiologie, CT, MRT kann man schnell die Effizienz steigern. Man muss vorher aber genau den Bestand analysieren und sich Ideen holen. Im Krankenhaus Hubertus z.B. haben wir damals einen alten Öltank zu einem Wasserspeicher umgebaut und damit den Park, die Feuerlöschanlage und die Fäkalienspülen an Regenwassersammelstellen angeschlossen. Andere Maß- nahmen mussten auch wir damals zunächst zurückstellen. Eine energetische Fassadensanierung z.B. ist der Albtraum für jede Geschäftsführung, weil es zwar viel bringt, aber auch sehr teuer ist.
Wie kann man in einer Klinik Hygiene mit Nachhaltigkeit in Einklang bringen?
Erfahrungsgemäß gibt es hier viele Mythen. Wenn man die Hygieneabteilung dann aber fragt, heißt es oft: „Doch, das könnt Ihr schon machen – Ihr müsst nur auf Folgendes achten“. Bei der Vorbereitung für künftige Patient*innen wurden z.B. Betten lange standardmäßig mit Plastik überzogen statt mit wiederverwendbaren, aufbereiteten Betttüchern.
Ein anderes Beispiel sind unsterile Einmalhandschuhe. Deren Verwendung ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Dabei ist Händedesinfektion nicht nur umwelt-, sondern auch hautfreundlicher und häufig auch hygienisch gesehen besser. Bei den HELIOS-Kliniken und bald auch bei der Berliner Charité gibt es Projekte nach dem Vorbild der Londoner Kinderklinik „Great Ormond Street Hospital“. Dort wurde die Nutzung von Einmalhandschuhen deutlich reduziert, ohne die Hygiene zu verschlechtern (s. Links).
Auch wenn Verpackung und Abfall nicht der größte Faktor beim CO2- Fußabdruck ist –bei diesem Thema gibt es noch viel zu tun. Viele Mitarbeitende verstehen es auch nicht, dass sie zu Hause Müll vermeiden und z.B. eine wiederverwendbare Einkaufstasche nutzen, während gleichzeitig in ihrer Klinik pro Herzkatheter drei Müllsäcke produziert werden.
Thema Ernährung: Gerade hier in Bayern möchten sich viele nicht vorschreiben lassen, was sie essen.
Die Fleischproduktion ist der größte Faktor für die CO2-Produktion. Indem man die tierischen Eiweiße insgesamt reduziert, kann man bis zu 30 Prozent des eigenen CO2-Fußabdrucks einsparen. Natürlich habe ich als Patient*in in einer Gesundheitseinrichtung ein Anrecht auf gutes und gesundes Essen. Aber ich habe nicht unbedingt das Recht, jeden Tag Fleisch zu essen. Auch bei den Mitarbeitenden gibt es ein enormes Einsparpotential. In einem Pflegewohnheim einer Rehaklinik können teilweise bis zu 20 Prozent des CO2-Fußabdrucks reduziert werden, indem man auf überwiegend pflanzenbasierte Kost umstellt, also z.B. auf die Planetary Health Diet. Zudem hat es auch zahlreiche gesundheitliche Benefits, wenn man weniger Fleisch isst.
Gibt es bei solchen Maßnahmen manchmal auch Widerstand unter den Mitarbeitenden?
Im Gesundheitswesen erleben wir wenig Klimaleugner*innen. Klar kann es auf Widerstand stoßen, wenn man z.B. die Zahl der Parkplätze reduzieren möchte. Und natürlich gibt es auch Fehlanreize im System. Es ist wichtig, dass man die Transformation gemeinsam angeht. Und dass man nicht eine Geschichte von Verboten erzählt, sondern die Möglichkeiten der Co-Benefits aufzeigt: Ich tue mit meinem Verhalten meiner Gesundheit und der meiner Patient*innen – und am Ende der gesamten Bevölkerung – etwas Gutes. Die allermeisten von uns haben sich schließlich für das Gesundheitswesen entschieden, um Gutes zu tun.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität in Kliniken?
Leider gibt es für Klimaschutzmaß- nahmen nach wie vor keine Anreize im System – keine Vorteile bei der Vergütung, der Investitionsförderung oder der Krankenhausplanung. Auch in der Krankenhausreform ist nichts vorgesehen. Wer sich auf den Weg macht, tut dies, weil er oder sie selbst und die Mitarbeitenden das gut finden. Das muss sich ändern. Zum Ende des Jahres soll jetzt vom Bundesgesundheitsministerium ein Klimaschutzplan für das Gesundheitswesen kommen. Wir sind alle sehr gespannt darauf. Denn letztlich ist hier die Politik gefragt: Man kann zwar vieles vor Ort durch Verhaltensänderungen erreichen, aber um klimaneutral zu werden braucht es eine europa- und weltweite Energiewende in den Bereichen Pharma, Ernährung und Mobilität. Die Lieferketten von Pharmafirmen und den Herstellern von Verbrauchsmaterialien wie Tupfer, Scheren, Nahtmaterial sind hierzulande die gleichen wie in England und den USA. Projektmäßig arbeiten wir als KLUG natürlich mit Pharma- und anderen Firmen zusammen. Aber als NGO können wir nur Treiber sein. Wir sind nicht die Entscheider.
Was für positive Rückmeldungen haben Sie bisher von Kliniken bekommen, welche Meilensteine haben Sie erlebt?
Vor einem Jahr haben wir bei KLUG das Netzwerk KliMeG (Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen) gestartet. Inzwischen beteiligen sich daran bundesweit über 300 Krankenhäuser – ohne dass sie dafür irgendwelche finanziellen Anreize haben. Es gibt inzwischen immer mehr „Greenteams“ und Beauftragte, die Projekte planen und umsetzen. Hier- zu erhalten wir viele positive Rückmeldungen, etwa zu den Bereichen Mobilität oder Ernährung. Immer wieder berichten uns z.B. Träger davon, dass sie erfolgreich auf die Planetary Health Diet umgestellt haben. Klimaschutzkonzepte wer- den zunehmend in die Strategie mit aufgenommen.
Gibt es Vorreiterprojekte, an denen man sich orientieren kann?
Es gibt viele gute Beispiele, wenn auch keine Klinik schon komplett fertig ist. Das Universitätsklinikum Essen beispielsweise hat bei der Ernährung und den Mitarbeitenden viel vorangebracht. Auch die Universitätsklinik Tübingen oder die deutschlandweit aufgestellten BG- Kliniken haben viele gute Ansätze. Bei den kleinen Krankenhäusern ist das anthroposophisch ausgerichtete Krankenhaus Havelhöhe in Berlin ein sehr gutes Beispiel. Dort steht der Klimaschutz weit oben auf der strategischen Agenda. Hier in Bayern gibt es ebenfalls Kliniken, die vorangehen, z.B. das Klinikum Nürnberg oder das Klinikum Rosenheim. Die bayerischen Staatsministerien für Umwelt und Verbraucherschutz sowie Gesundheit, Pflege und Prävention haben mit der Green-Hospital-Initiative ein wichtiges Vorhaben sozusagen „ins Schaufenster gestellt“. Bislang ist es allerdings nicht mit Geld hinterlegt. Hier bräuchte es nun zusätzliche Mittel und Anreize. In Nordrhein-Westfalen etwa erhalten Krankenhäuser bestimmte Investitionsmittel nur, wenn sie einen gewissen Anteil an Klimaschutzmaßnahmen nachweisen können. Und in Baden-Württemberg muss bei Neubauten immer eine Photovoltaikanlage aufs Dach.
Welche Tipps haben Sie für Münchner Kliniken?
Der erste Schritt ist, sich das Thema auf die Strategie-Fahnen zu schreiben und es im Management zu verankern. Der zweite ist die Vernetzung: Ich muss nicht alles selbst erfinden, sondern kann z.B. bei KliMeG oder anderen Netzwerken von anderen lernen. Meinen eigenen CO2-Fußabdruck kann ich auf der Homepage von KliMeG über einen krankenhausspezifischen Klimarechner analysieren. Danach kann ich interdisziplinäre und berufsgruppen- übergreifende Teams aufstellen, die im Alltag Verbesserungspotenzial finden können. Wichtig ist, alle Leute „mitzunehmen“. Es reicht nicht, wenn sich nur der technische Leiter darum kümmert. Ich brauche die Ärzt*innen, die Pflege und alle anderen Berufsgruppen mit an Bord.
Wie können Kliniken bei KliMeG Mitglied werden oder sich von KLUG beraten lassen?
Die Mitgliedschaft bei KliMeG kostet nichts. Man schreibt einfach einen Letter of Intent und ist dann dabei. Als Teil des Netzwerks erhalten Sie viele kostenfreie Informationen, und es gibt einen regelmäßigen Aus- tausch, Online-Fortbildungs- und andere Veranstaltungen. Zu Beratungsleistungen kommen wir auch direkt in die Häuser und unterstützen dort zum Beispiel zur neuen EU- Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)). Weil wir uns als NGO refinanzieren müssen, müssen wir dafür aber ein Beratungshonorar berechnen. Gemeinsam mit dem Deutschen Krankenhausinstitut und der Krankenhausgesellschaft Nordrhein Westfalen bieten wir zudem das ebenfalls kostenpflichtige Ausbildungs-Konzept „Plan H“ an (Planetary Health-Kurs für nachhaltige und klimaresiliente Gesundheitseinrichtungen). Dabei bilden wir Mitarbeitende innerhalb von zwölf Monaten zu Klimamanager*innen zum Thema Nachhaltigkeit und Planetary Health aus.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA 21 vom 5.10.2024