Hilfe bei Sexualstörungen. Let's talk about Sex
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Herr Skuban-Eiseler, wie kamen die kbo-Kliniken dazu, eine Ambulanz für Sexualstörungen einzurichten?
Die Sexualmedizin oder -therapie ist einer der Anteile an Psychiatrie, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Es geht dabei um sämtliche Irritationen oder Probleme, aber auch Störungen, im Zusammenhang mit Sexualleben. Wir gehen davon aus, dass das psychische Wohlergehen in beträchtlicher Weise von einem unbeeinträchtigten Sexualleben abhängt. Zudem bestimmt die Sexualität auch immer Selbstbild, Selbstwert, soziale Interaktionen etc. Daher kommen Sexualität und sexuelle Störungen in der Psychiatrie sehr stark vor. Auch wir Psychiater haben aber häufig Hemmnisse, das Thema anzusprechen. Zudem fehlt es deutschlandweit an kompetenten Angeboten, um Patienten mit diesen Störungen zu behandeln. Obwohl viele Kolleginnen und Kollegen segmentierte Angebote machen können, sieht es bei längerfristigen Therapien oft schlecht aus, weil es noch keine klare Weiterbildung für diesen Gegenstandsbereich gibt.
Sind Sie die einzige Ambulanz dieser Art in München?
Es gibt neben uns noch die Sprechstunde für sexuelle Störungen an der Psychiatrischen Klinik Rechts der Isar, die von Frau Dr. Büttner geleitet wird, daneben noch störungsspezifische Einrichtungen, die sich aber vor allem an einzelne Patientengruppen wenden, z.B. das Programm „Kein Täter werden“ bei Pädophilie in Regensburg/Bamberg.
Gibt es Schätzungen, wie viele Menschen bayern- oder deutschlandweit betroffen sind?
Bayerische Zahlen gibt es nicht. Auch deutschlandweit sind die vorhandenen Daten leider nicht wirklich gut, denn methodologisch gesehen sind sexuelle Störungen ja extrem schwer zu beforschen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 fragen aber fächerübergreifend nur etwa 40 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte danach. Vermutlich sind es sogar noch weniger. Auch wir Psychiater übersehen sexuelle Probleme leider immer noch sehr häufig. Dabei würden sich rund 90 Prozent der Patienten wünschen, dass sie von ihrem Arzt / ihrer Ärztin darauf angesprochen werden.
Welche Störungen behandeln Sie in der Ambulanz?
Im Wesentlichen gibt es drei Formen: Zum Einen Funktionsstörungen wie z.B. Erektionsstörungen beim Mann oder Dyspareunie und Vaginismus bei der Frau. Davon betroffene Menschen werden wahrscheinlich noch am besten versorgt, u.a. von einigen Gynäkologen oder Urologen bzw. Andrologen. Dennoch wird dabei das Augenmerk meist vorwiegend auf organologische und weniger auf sexualtherapeutische Aspekte gelegt. Es gibt außerdem sogenannte Störungen der sexuellen Entwicklung. Dazu zählen z.B. Probleme im Rahmen der sexuellen Orientierung oder der sexuellen Identität. In diesem Bereich gibt es schon weit weniger medizinisch-psychotherapeutische Hilfen. Der dritte große Bereich sind sogenannte Störungen der sexuellen Präferenz, die sog. Paraphilien.
Was ist darunter zu verstehen?
Ein Beispiel wäre die Pädophilie, wobei wir hier in der Ambulanz strafrechtlich relevante Krankheitsbilder ausschließen. Es gibt aber auch unproblematischere Formen wie die Objektophilie, Frotteurismus, also das Reiben an Gegenständen, oder andere Fetischismen. Auch diese können zu großem Leid führen. Ich hatte einmal einen Patienten, der suizidale Gedanken hatte, weil er durch das Tragen von Frauenkleidung sexuelle Erregung empfand. Eine Paraphilie kann – unabhängig von der sexuellen Orientierung oder Identität – zu großen Problemen in der Partnerschaft führen, wenn Betroffene sich nicht trauen, darüber zu reden oder glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Häufig spielen Schuldgefühle eine Rolle oder auch Probleme bezüglich strikter Moralvorstellungen. Daraus können wiederum andere Störungen wie zum Beispiel Anpassungsstörungen, Depressionen oder Abhängigkeitserkrankungen entstehen. Wenn man diese dann behandelt, kommt man nicht immer darauf, um was es eigentlich geht. Für Homosexuelle vor dem Coming out weiß man z.B. aus Studien, dass diese oft ein hohes Suizidrisiko haben, je nachdem, in welcher Kultur sie aufgewachsen sind.
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Frauen sind Umfragen zufolge vergleichsweise häufig von sexueller Lustlosigkeit, Orgasmus- oder Appentenzstörungen betroffen. Männer hingegen leiden oft unter Erektionsstörungen. Bis zum 60. Lebensjahr sind gut fünf Prozent aller Männer davon betroffen. Bis zu 20 Prozent haben einen vorzeitigen Orgasmus. Eine Erektions- oder Orgasmusstörung zu haben kann das eigene Selbstbild erheblich beeinträchtigen und so zu relevanten Problemen führen. Oft genügt es schon, Patienten mit solchen Funktionsstörungen darüber zu informieren, dass diese häufig vorkommen und mit anderen sexuellen Mythen aufzuräumen. Es hilft ihnen oft schon, zu hören, dass Sex nicht immer Spaß machen muss, und dass man auch in einer Partnerschaft nicht immer Lust darauf hat. Auch wenn dies als Bagatelle erscheint – für viele Menschen ist das ein erlösender Zuspruch. Wichtig ist jedoch: Eine sexuelle Störung ist keine Befindlichkeitsstörung. Es geht in der Sexualtherapie nicht um die Optimierung von Lust, auch nicht um ein Enhancement eigenen hedonistischen Empfindens. Betroffene können durch sexuelle Störungen auf so vielen Ebenen große Probleme bekommen, dass wir in unserer psychiatrischen Institution dafür ein guter Ansprechpartner sind.
Wer kann zu Ihnen kommen?
Als psychiatrische Institutsambulanz haben wir bestimmte Vorgaben, wen wir behandeln dürfen. Dazu zählen vor allem Patienten, die aufgrund der Schwere und Dauer ihrer Erkrankung mehr Hilfe brauchen als sie ein niedergelassener Psychiater oder Psychotherapeut anbieten kann. Patienten, auf die das zutrifft, können in unserer Ambulanz einen Termin vereinbaren, per Telefon oder – weil das Thema häufig sehr schambesetzt ist – auch per Email. Wir sind ein multiprofessionelles Team und 24 Stunden erreichbar. Nach einer ausführlichen Diagnostik können wir Patienten mit einer schweren Erkrankung auch mittel- und langfristig behandeln. Wir fühlen uns auch zuständig für Patienten, die im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung sexuelle Störungen erleben, z.B. bei einer affektiven Erkrankung oder aufgrund ihrer Medikation.
Wie sind die „Heilungschancen“?
Wie in anderen psychiatrischen Bereichen auch sind sie unterschiedlich. Ein Großteil der Störungen ist aber in übersichtlichen Zeitspannen zu behandeln. Teilweise können Patienten alleine dadurch, dass Probleme besprochen und sortiert werden, sehr schnell zu einer Entlastung kommen. Deswegen geben wir in der Regel nur die nötigste Hilfestellung. Häufig genügt schon eine Information. Erst danach würde man mit einem Patienten besprechen, ob weitere psychotherapeutische Sitzungen nötig sind oder ob z.B. begleitende Übungen, evtl. auch mit dem Partner, hilfreich sein könnten. Sehr viel kann schon durch eine gute Gesprächsatmosphäre und das Wissen, einem kompetenten Gesprächspartner gegenüberzusitzen, verbessert werden.
Wie begegnen Sie der Scham Ihrer Patienten?
Zunächst muss man als Therapeut einen guten Umgang mit sich selbst und den eigenen Schamaffekten haben. Ich kann keine sexualtherapeutische Sprechstunde anbieten, wenn ich selbst nicht über Sexualität sprechen kann oder beschämende Reaktionen zeige. Außerdem braucht es Zeit und eine angemessene Sprache, die einerseits neutral ist und mir als Therapeuten entspricht, andererseits die Dinge aber auch eindeutig benennt. Gleichzeitig darf sie nicht zu distanziert sein, sondern muss signalisieren: Wir können über alles sprechen. Man sollte die möglicherweise auftretende Scham des Patienten anerkennen und womöglich sogar vorab darüber sprechen. Ganz wichtig ist dabei natürlich die Schweigepflicht: Was wir besprechen, bleibt auch hier.
Was können Sie für Menschen tun, die vor ihrem Coming out als homo- oder transsexuell stehen?
Für beide Gruppen gibt es in München gute Netzwerke, und sicher wenden sich viele auch zu Recht dorthin. Allerdings haben manche Patienten, die Probleme mit ihrer Orientierung oder Identität haben, möglicherweise große Schwierigkeiten, z.B. ein schwules oder lesbisches Kommunikationszentrum zu betreten – obwohl etwa das Schwule Kommunikationszentrum SUB und die Beratungsstelle für Lesben LETRA in München sehr gute Angebote haben. Unsere Sprechstunde ist inhaltlich anders als das Angebot der Community. Wir bieten den Patienten über eine Beratung hinaus auch eine Behandlung in einem multiprofessionellen Setting, die auch flankierende psychiatrische Krankheitsbilder adressiert. Unser Ziel ist, den Menschen zunächst zu einem guten Gefühl gegenüber sich selbst und ihrer Sexualität zu verhelfen.
Gern verweisen wir dann an die entsprechenden Netzwerke, wenn dies ausreichend erscheint. Wichtig ist aber auch zu betonen: Eine Homo- oder Transsexualität ist keine Erkrankung, nur der Umgang damit kann problematisch sein.
Wie helfen Sie Menschen, die diskriminiert werden?
Wir können das diskriminierende Umfeld nicht verändern. Leider gibt es auch in unserer zivilisierten Gesellschaft sehr viel Unwissenheit und Unverständnis beim Thema Sexualität. Einerseits sind wir sehr aufgeklärt, und der Pornographiekonsum beginnt bereits lange vor dem 18. Lebensjahr. Andererseits sind die Vorstellungen häufig sehr konservativistisch. An dieser Realität können wir nichts ändern. Ich kann aber sehr wohl Menschen mit Normalisierungsstrategien helfen und sie informieren, was als problematisch und was als nicht problematisch anzusehen ist, damit sie es selbst für sich einordnen können.
Auch Menschen mit Depressionen werden ja oft stark stigmatisiert – wir können aber alles tun, um sie zu stärken. Für viele Problematiken gibt es außerdem gute Selbsthilfegruppen, an die wir verweisen können.