Leitartikel

Erste Online-Delegiertenversammlung, Digital gegen die Pandemie

Erste Online-Delegiertenversammlung Digital gegen die Pandemie Wie der ÄKBV zur Bewältigung der Coronakrise beigetragen hat, war unter anderem Gegenstand der 137. Delegiertenversammlung. Die Versammlung war schon allein deshalb etwas Besonderes, weil sie erstmals per Video- Konferenz abgehalten wurde.
Erste Online-Delegiertenversammlung, Digital gegen die Pandemie
Erste Online-Delegiertenversammlung, Digital gegen die Pandemie

Bild: shutterstock

Etwa 80 Teilnehmer zur gleichen Zeit an einer digitalen Konferenz teilnehmen zu lassen, ist eine logistische Herausforderung. Nicht jeder und jede bringt die gleiche digitale Vorerfahrung mit, nicht jedes Endgerät funktioniert auf die gleiche Weise. Dass die 137. Delegiertenkonferenz am 25. Juni 2020 trotzdem so gut geklappt hat, war vor allem den vorausschauenden Vorbereitungen der Mitarbeiter in der Geschäftsstelle und des Vorstands zu verdanken, die einen technischen Leiter zur Hilfestellung hinzugezogen hatten. Immerhin rund 60 Delegierte folgten dem Aufruf und nahmen von zu Hause an der Versammlung teil. Diese drehte sich – wen wundert’s – insbesondere um die Bewältigung der Coronakrise.

„Der K-Fall ist mittlerweile beendet“, erläuterte der 3. Vorsitzendes ÄKBV, Andreas Durstewitz, in seiner Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse. Obwohl das Meldewesen etwas reduziert worden sei, habe der ÄKBV seine Türen für die Anliegen seiner Mitglieder weitgehend offengelassen. Auskünfte zum Berufsrecht seien im Home-Office erledigt, Absprachen und Abstimmungen per Videokonferenz getroffen worden. Die Zusammenarbeit mit den beiden Versorgungsärzten für München, Dr. Oliver Abbushi und Dr. Florian Vorderwülbecke, habe hervorragend geklappt. Der ÄKBV arbeitete auch als ständiges Mitglied beim „Runden Tisch Corona" im Referat für Gesundheit und Umwelt mit. 

Durstewitz würdigte alle Ärztinnen und Ärzte, die mit ihren effektiven Leistungen während des Höhepunkts der Krise mitgeholfen hatten. Auch die Labore hätten zu Spitzenzeiten statt der ursprünglich vorgesehenen 50 Proben am Tag tatsächlich 500 bis 1.000 Proben täglich bearbeitet. Insgesamt habe es unter allen Ärztinnen und Ärzten Münchens, unabhängig von der Sektorenzugehörigkeit ein „hervorragendes Zusammenwirken“ gegeben. „Wir können stolz sein“, schloss Durstewitz.

In der anschließenden Diskussion kamen aber auch kritische Stimmen zu Wort. So wies ein Delegierter auf die „erheblichen Probleme“ in Pflegeheimen hin. Bis zu 80 Ausbrüche seien allein in einem Heim zu verzeichnen gewesen. In einer weiteren Einrichtung habe sich nahezu das gesamte Pflegepersonal infiziert. Der Delegierte kritisierte insbesondere die mangelnde Schutzausrüstung in der stationären Alten- und Behindertenpflege und die zu späte Empfehlung eines Mund-Nasen-Schutzes für die dortigen Mitarbeiter. Die angeforderte Personalunterstützung durch das Gesundheitsamt habe ebenfalls erst spät geklappt. Der Delegierte wies außerdem auf die Problematik der Flüchtlingsunterkünfte hin, die noch immer nicht gelöst sei, obwohl der ÄKBV-Menschenrechtsausschuss und der ÄKBV-Vorstand bereits in seinem offenen Brief an Stadt und Staatsregierung vom 6. Mai 2020 (s. MÄA 11/2020 und ÄKBV Website) darauf hingewiesen habe. Vier Bewohner von Flüchtlingsunterkünften seien inzwischen am Coronavirus verstorben, darunter zwei ohne jegliche Vorerkrankung – einer mit 25 und einer mit 35 Jahren. Der Delegierte forderte von der Staatsregierung und von der Stadt Transparenz hinsichtlich des geplanten Vorgehens und der Zahlen.

Dr. Oliver Abbushi als einer der Versorgungsärzte lobte insbesondere die Arbeit der Niedergelassenen, die die Hauptlast der Versorgung getragen hätten. Sie hätten die Kliniken davor bewahrt, von jedem Verdachtsfall „überrannt“ zu werden. Er zeigte sich „sehr beeindruckt vom ärztlichen Engagement“, das entscheidend zur Beherrschung der Krise beigetragen habe. Auch die Ärzte in den Heimen hätten mit Koordination und Testung viel bewerkstelligt, obwohl die Lage des Personals häufig sehr schwierig gewesen sei, z.B. weil Angehörige lange Zeit die Heime nicht betreten durften. Je mehr Schutzkleidung in den Teams vorhanden gewesen sei, desto mehr Ruhe und Professionalität sei jedoch eingekehrt. Aktuell gebe es so gut wie keine Heime mit positiven Testungen mehr. „Wir müssen jetzt sehen, wie wir weiterhin eine sinnvolle Versorgung schaffen“, sagte Abbushi. Er begrüßte die mittlerweile umgesetzte Möglichkeit für bayerische Staatsbürger, sich auch unabhängig von Symptomen testen zu lassen.

„Wir haben alle dazugelernt“, resümierte das ehemalige ÄKBV-Vorstandsmitglied Dr. Siegfried Rakette seine Erfahrungen an der Notfallpraxis am Schwabinger Krankenhaus. „Zeitweise wurden wir richtiggehend überrannt“, sagte er, sodass er die Patienten irgendwann nicht mehr an die infektiologische Abteilung habe weiterleiten können. Auch die KVB Nummer 116 117 sei lange Zeit völlig überlastet gewesen. Im Hinblick auf die Zukunft und eine zweite Welle müsse man daher unbedingt vorsorgen.

Eine Delegierte, die sich als Kinderpsychiaterin besonders in Flüchtlingsunterkünften und Ankerzentren engagiert, bemängelte die schwierige Versorgung dort. Wie soll sie funktionieren, fragte sie, wenn viele Bewohner auf engstem Raum zusammenleben? Ein weiterer Sprecher kritisierte, dass ein Papier des Robert-Koch-Instituts zur Auflösung zu enger Flüchtlingsunterkünfte kaum beachtet werde. Statt die Bewohner dort zu schützen würden einfach Bauzäune um Unterkünfte gezogen und die Bewohner dort quasi „eingesperrt“.

„Keiner kann es gut heißen, dass Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht werden“, erwiderte Durstewitz auf die kritischen Stimmen. „Sie rennen bei uns offene Türen ein!“ Auch der erste Vorsitzende des ÄKBV und Mitunterzeichner des offenen Briefs vom 6. Mai, Dr. Christoph Emminger, bestätigte die Unterstützung des ÄKBV bei diesem Punkt. An manchen Stellen habe das Ministerium bereits das Verhalten gegenüber Flüchtlingen verändert. Emminger gab aber zu bedenken: „Wir sind nicht die Exekutive und müssen uns an vielen Stellen auf deren Aussagen verlassen“

Dass die Demokratie an manchen Stellen ausgesetzt gewesen sei, bemängelte ein weiterer Delegierter. Gleichzeitig lobte er das Zusammenwirken der verschiedenen Beteiligten in der Katastrophenschutzbehörde unter Leitung von Dr. Dominik Hinzmann und PD Dr. Viktoria Bogner- Flatz (s. MÄA 14/2020). Man sei mit der Zusammenarbeit mit den Münchner Behörden zufrieden gewesen, betonte Durstewitz und verwies auf andere Fälle in Bayern, in denen von Behörden bestimmte Ärzte einfach zur Arbeit „abgeordnet“ worden seien. In München sei es dem ÄKBV immerhin gelungen, auf einige Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die Krise sei auch eine gute Übung gewesen. „Jetzt sind wir auf die Zukunft besser vorbereitet“.

Eine Sprecherin forderte von der Politik, vernünftige Entscheidungen zu Schulöffnungen weiter voranzutreiben. Noch immer würden die meisten Kinder nur in Teilzeit betreut. Der ÄKBV müsse hier unbedingt selbstbewusster auftreten.

Dass anfangs manches in der Krise schleppend vorangegangen sei, bemängelte auch der 2. Vorsitzende des ÄKBV, Dr. Josef Pilz. Wenn etwas falsch laufe, werde von der Politik zu oft mit dem Finger auf die Ärzteschaft gezeigt, zum Beispiel weil die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdiensts 116 177 zu Anfang der Krise kaum erreichbar gewesen sei. Diese Nummer sei jedoch nie für derartige Notfälle konzipiert gewesen. Bereits seit 2012 habe es aber Pläne für ein Katastrophenszenario gegeben, die die Politik nicht umgesetzt habe. „Es kann nicht sein, dass immer die Ärzte für alles Negative zuständig sind“, kritisierte Pilz.

Dass die 116117 nicht für solche Fälle eingerichtet gewesen sei, bestätigte die 2. Stellvertretende Vorsitzende des KVB-Vorstands, Claudia Ritter-Rupp. „Der K-Fall hat uns überrascht. Es sollte verhindert werden, dass so etwas nochmal so passiert“, sagte sie und bemängelte gleichzeitig den teilweise bei den Behörden vorherrschenden „harten Befehlston“. Dennoch sei vieles in den Händen der Ärzte gut aufgehoben gewesen. Man müsse Strukturen schaffen, um bei einer Zunahme der Infektionsraten künftig noch schneller reagieren zu können.

Hinsichtlich der schleppenden Öffnung von Kitas und Schulen verwiesen mehrere Delegierte auf aktuelle Veröffentlichungen laut denen diese nicht für die „fires of infection“ verantwortlich seien.  Kinder seien weder besonders von Ansteckungen gefährdet noch besonders für diese verantwortlich. Mehrere Delegierte forderten daher eine schnellere Öffnung dieser Einrichtungen.

Weitere Themen der Delegiertenversammlung waren der Jahresabschluss, die Haushaltsplanung für 2020 sowie die Verlängerung der bisherigen ÄKBV-Ausschüsse.  Anträge auf Ausschuss-Verlängerung wurden von den Delegierten in allen Fällen mit großer Mehrheit beschlossen. Auch künftig wollen sich die Ausschüsse „Gesunde Umwelt und frische Luft“, „Beruf und Familie“, „Soziale und Menschenrechts- fragen“ sowie „Impfen in der Münchner Ärzteschaft“ weiter treffen und aktuelle Themen bearbeiten.

Stephanie Hügler