Leitartikel

Delegiertenversammlung zur (klima-)gesunden Ernährung in Kliniken

Appetit mit gutem Gewissen Krankenhäuser brauchen mehr gesundes und klimafreundliches Essen. Das war das Ergebnis der 150. Delegiertenversammlung (DV) des ÄKBV am 21. September. Theoretische und praktische Aspekte beleuchteten Dr. Peter von Philipsborn vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der LMU sowie Dr. Stefanie Haberger von der Fachklinik Gaißach.
Delegiertenversammlung zur (klima-)gesunden Ernährung in Kliniken
Delegiertenversammlung zur (klima-)gesunden Ernährung in Kliniken

Foto: shutterstock

Ernährungsbedingte Erkrankungen wie Adipositas nehmen in Deutschland kontinuierlich zu – von unter zehn Prozent im Jahr 1975 bis zu fast 25 Prozent in 2016. Deutschland befindet sich also offenbar auf dem gleichen Weg wie die USA, wo bereits 40 Prozent der Erwachsenen unter Adipositas leiden. Auch in Afrika oder etwa China sind immer mehr Menschen vom krankhaften Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen bedroht. Dr. Peter von Philipsborn schilderte in seinem Vortrag, warum Mensch und Planet gleichermaßen von einer gesunden, pflanzenbasierten Ernährung profitieren: Etwa ein Viertel bis ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen sind auf die menschliche Ernährung zurückzuführen, sagte Philipsborn. Die Landwirtschaft sei mit Abstand der größte Faktor für die weltweite Entwaldung.

Durch eine bewusste, pflanzenbasierte Ernährung ließen sich nicht nur die ernährungsbedingten Emissionen halbieren, sondern es wären auch zehn bis 20 Prozent aller Todesfälle weltweit vermeidbar – bei gleichzeitiger Verbesserung des Tierwohls. Die überwiegend pflanzenbasierte „Planetary Health Diet“ sei mittlerweile fast deckungsgleich mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sollten durch nur moderate Mengen tierischer Nahrungsmittel ergänzt werden. Hoch verarbeitete Lebensmittel hingegen sollen möglichst nicht konsumiert werden, da sie in der Regel zu viel Zucker, Salz, Zusatzstoffe und ungesunde Fette enthalten.

 Philipsborn verwies auf ein Positionspapier der Bundesärztekammer (BÄK). Darin fordert die BÄK, die Bedeutung von gesunder Ernährung für Mensch und Planet in der Medizin stärker anzuerkennen – etwa indem sie standardmäßig in der medizinischen Ausbildung gelehrt wird. Ärztinnen und Ärzte sollten eine – von den Kassen bezahlte – Ernährungsberatung von Patient*innen genauso in ihren Alltag integrieren wie eine gesunde und nachhaltige Verpflegung in den Kliniken, schreibt die BÄK. Ärztinnen und Ärzte müssten ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und sich daher in der Gesellschaft für eine Ernährungswende einsetzen. Leider seien eine gesunde Ernährung in Kliniken und eine Ernährungsberatung dazu noch zu wenig im DRG-System abgebildet, bemängelte Philipsborn. Insgesamt müsse sich das Ernährungsumfeld im Alltag ändern – auch und besonders in Kitas und Schulen sowie durch eine Regulierung des Lebensmittelmarketings bei Kindern.

Die Fachklinik Gaißach bietet unter anderem die Behandlung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Wie die Klinik dies unter anderem durch eine gesunde und gleichzeitig klimafreundliche Ernährung umsetzt, stand im Zentrum von Habergers Best-Practice-Vortrag. Wäre das Gesundheitssystem ein Land, so stünde es weltweit an fünfter Stelle bei der Emission von klimaschädlichen Stoffen, sagte die Referentin zu Beginn ihres Vortrags. Das Gesundheitssystem müsse also beim Klimaschutz vorangehen und Patient*innen dazu animieren.

Methan, das im Rahmen des Verdauungsprozesses von Rindern und Schafen entsteht, trägt stärker zur Klimaerwärmung bei als das CO2, betonte die Referentin – ein wichtiger Grund für die Fachklinik Gaißach, zwei Veggie-Days pro Woche einzuführen. Gemeinsam mit der Ernährungsberatung wurde der Speiseplan so umgestellt, dass an Dienstagen und Freitagen pflanzenbasierte Gerichte auf dem Menüplan stehen. Neben der Reduktion von Fleisch und Milchprodukten setzt die Leitung der Kinderklinik zudem auf saisonale und regionale Produkte und darauf, möglichst wenig Lebensmittel wegzuwerfen. Zusätzlich bietet sie Fortbildungen für Personal und Eltern im Rahmen einer klimasensiblen Gesundheitsberatung und gibt Praxistipps für Schulen.

Haberger stellte noch andere Maßnahmen der Fachklinik Gaißach zum Klima- und Gesundheitsschutz vor: Im Rahmen des klinikeigenen Hitzeschutzplans etwa werden die Kinder und Jugendlichen nicht nur zum Trinken animiert, sondern durch bauliche Maßnahmen auch vor starker Hitze geschützt. Dazu tragen eine Verschattung mit Bäumen und durch Belüftung geschaffene „Cooling Zones“ bei. Sommers wie Winters spart die Photovoltaikanlage auf der Turnhalle genauso CO2 ein wie die sanierte Schwimmbadtechnik, begrünte Dächer und viel natürliches Licht. Zum Händewaschen gibt es an der Klinik vorwiegend kaltes Wasser.

Dass die Klinik noch nicht mit einer eigenen Bushaltestelle an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen ist, bedauerte die Referentin. Beim Abholen von Patient*innen würde aber nach Möglichkeit das hauseigene E-Auto genutzt, und es würden Fahrgemeinschaften gebildet. Auch Mitarbeitende würden bei Fortbildungen dazu angehalten, gemeinsam und wo möglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Aushänge in verschiedenen Sprachen erinnern Patient*innen und Personal in Gaißach daran, Ressourcen zu sparen und etwa das Wasser beim Einseifen unter der Dusche auszuschalten oder die Waschmaschinen nicht halbvoll laufen zu lassen. Haberger rief insgesamt zu einem bewussteren Konsum auf. Es gelte die 5-R-Regel: Rethink, Refuse, Reduce, Reuse und Recycle. Auf Produktproben, Werbesendungen und Einwegmaterial könne man oft verzichten. Gewohnheiten müsse man hinterfragen, Prozesse optimieren und Bestellungen bündeln.

In der anschließenden Diskussions- und Fragerunde gab ein älterer Delegierter zu, dass es auch für               Ärztinnen und Ärzte schwer sein könne, das eigene Essverhalten zu ändern, wenn man mit anderen Gewohnheiten aufgewachsen sei. Gleichzeitig äußerte er seinen Unmut darüber, dass eine gesunde Ernährung in Deutschland immer noch nicht gesetzlich gefördert wird. Zahlen aus Großbritannien zeigten, dass seit der Einführung der Zuckersteuer dort sowohl der Zuckerkonsum von Kindern als auch Diabetes bei Kindern um jeweils 20 Prozent gesunken seien. Dass finanzielle Maßnahmen effektiv seien, habe schon die Abgabe auf Plastiktüten in Supermärkten gezeigt. Philipsborn antwortete, dass Essgewohnheiten in der Kindheit und Jugend geprägt würden und daher schwer zu ändern seien. Er stimmte zu, dass es in Deutschland in fast allen Bereichen Nachholbedarf zu gesunder Ernährung gebe und forderte eine Mehrwertsteuerbefreiung für Obst und Gemüse.

Eine Delegierte betonte, dass Ärztinnen und Ärzte zwar meist wüssten, welche Form der Ernährung gesund sei, aber die Nachhaltigkeit zu wenig im Blick hätten. Eine Umstellung auf drei bis vier Veggie-Days pro Woche in Kliniken könne viel bringen. Dies sei häufig sogar kostenneutral zu erreichen, da Fleisch zunehmend teuer werde. Sie fragte, wie man Kolleg*innen dazu bringen könne, ihr Wissen in die Praxis umzusetzen. Haberger antwortete, dass der Gegenwind aus den Krankenhausküchen nicht zu unter - schätzen sei, dass man aber mit den gestiegenen Fleischpreisen argumentieren könne. Philippsborn ergänzte, gesunde Ernährung könne auch bei der Außendarstellung helfen und ein Imagegewinn für die Kliniken sein. Attraktives, gesundes Essen sei wichtig für Patient*innen und Mitarbeiten - de. Arbeitsgruppen in Kliniken und eine externe Beratung könnten bei der Umsetzung helfen.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Bayerischen Ärztetag (Redaktionsschluss war am 10.10.) forderte ein Delegierter, das Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel dort zu thematisieren. Nur so könne die Adipositasrate wieder sinken. Um eine gesunde Ernährung in Gesundheitssystem und Gesellschaft politisch durchzusetzen, müsse man die Krankenkassen mit ins Boot holen. Wie der ÄKBV als ärztliche Körperschaft des öffentlichen Rechts das Thema voranbringen könne, wollte eine Delegierte wissen. Philipsborn riet dazu, klimagesunde Ernährung immer wieder in verschiedenen Gremien anzusprechen.

Eine Delegierte wollte wissen, wie Eltern und Kinder in der Fachklinik Gaißach auf die Umstellung des Speiseplans reagiert hätten. Haberger antwortete, dass es viel positives Feedback gegeben habe, dass Änderungen aber natürlich auch immer einige „Meckerer“ auf den Plan riefen. Eine Kinder- und Jugendmedizinerin ergänzte, dass sie viele Kinder und Jugendliche mit Adipositas nach Gaißach überweise, kritisierte aber, dass Adipositas als Kriterium für die Aufnahme in eine                                    psychosomatische Klinik nicht genüge und dass immer auch z.B. eine Depression diagnostiziert werden müsse. Philipsborn bestätigte, dass es in Deutschland viel Nachholbedarf bei der Bekämpfung von Adipositas gebe. Ein Delegierter betonte, dass in den städtischen Kliniken der München Klinik bereits jeden Tag ein vegetarisches Essen und ein Salatbüffet mit Kernen zur Auswahl stehe, dass also nicht nur Privatkliniken hier Vorreiter seien. Nicht umsonst hätten sie eine Auszeichnung des Freistaats als „Green Hospital“ erhalten. Eine weitere Delegierte sprach sich für eine steuerfinanzierte gesunde Ernährung in Kitas aus.

Neben dem Thema (klima-) gesunde Ernährung standen auch Berichte aus den ÄKBV-Ausschüssen auf der Tagesordnung. Aus dem Ausschuss „MFA in der Zukunft“ berichtete der Delegierte Gabriel Schmidt. Der Ausschuss plane nicht nur eine Austauschmöglichkeit zwischen Haus- und Facharztpraxen, damit die jeweiligen Azubis auch das jeweils andere Arbeiten kennenlernen. Man wolle sich auch die Ärztekammer Hessen zum Vorbild nehmen, in der Azubis zusätzliche Kurse zur Prüfungsvorbereitung besuchen und dafür freigestellt werden. Es gelte, Medizinische Fachangestellte zukunftssicher auszubilden und zu motivieren, um sie langfristig im Beruf zu halten.

Stephanie Hügler

MÄA Nr. 22 vom 21.10.2023