Corona Regeln in den Schulen, Bildung contra Gesundheit?
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Ein Ampel-System entsprechend der Corona-Inzidenz soll laut Bayerischem Unterrichts- und Kulturministerium das Verhalten von Lehrer*innen und Schüler*innen sowie die Häufigkeit des Unterrichts regeln. Dies ist aktuell (Stand: 28.9.) an die 7-Tage-Inzidenz gekoppelt. Die Delegiertenversammlung forderte in ihrer digitalen 138. Sitzung am 24. September eine Koppelung an die Auslastung des Gesundheitssystems, nicht nur an die Inzidenz, mehr Planbarkeit und Transparenz für Kinder, Eltern, Lehrer.
Der derzeitige Plan richtet sich ausschließlich nach den Infektionszahlen: Bei einer Inzidenz unter 35 (Stufe 1, grün) genügt die Beachtung des Rahmen-Hygieneplans. Bei Stufe 2 (orange, Inzidenz zwischen 35 und 50) müssen Schüler*innen ab Klasse fünf eine Maske tragen, wenn der Abstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann. Das gilt schließlich für alle Kinder im Klassenraum, wenn die Inzidenz auf 50 oder mehr steigt. In diesem Fall sollen die Klassen auch geteilt und im täglichen oder wöchentlichen Wechsel in Präsenz und Distanz unterrichtet werden. Wann welche Stufe gilt, entscheidet das örtliche Gesundheitsamt.
Das Vorgehen der Stadt München im Schulbetrieb und darüber hinaus erläuterten bei der DV Stadtdirektor und kommissarischer Leiter des Referats für Umwelt und Gesundheit (RGU), Rudolf Fuchs, sowie von ärztlicher Seite Dr. med. Elisabeth Waldeck, ebenfalls vom RGU. Die Redner versprachen Entscheidungen „mit Augenmaß“. Die Stadt werde „so verträglich wie möglich“ für Eltern und Kinder vorgehen, erklärte Fuchs. Die Ampel werde nicht automatisch ab einer Inzidenz über 50 auf Rot geschaltet. Aktuell seien allerdings bereits ca. 60 Klassen in 500 Schulen geschlossen (Stand: 24. September), und die Kinder befänden sich in Quarantäne. Von den rund 1.500 Kindergärten und Kitas seien nur 50 Gruppen geschlossen.
„Die Kitas und Schulen beschäftigen uns stark“, ergänzte Waldeck. Es gebe mittlerweile eine gute Evidenz dafür, dass Kinder bis zum zehnten Lebensjahr für das Infektionsgeschehen kaum eine Rolle spielten und auch selbst nur gering vom Virus betroffen seien: Im Gegensatz zur Grippe erkrankten sie durchschnittlich weniger schwer und verbreiteten den Infekt seltener. Oft müsse man derzeit Einrichtungen nur wegen einer einzigen infizierten Person schließen. Obwohl Eltern und Personal in diesen Fällen meist sehr besorgt seien, sei man sich in der Stadt einig, dass Kitas und Kindergärten möglichst offen bleiben sollten.
Anders sehe es aber nach dem 10. Lebensjahr aus. Denn dann gebe es offenbar zwischen den Kindern häufig engere Kontakte, auch außerhalb der Schulen. Waldeck betonte, dass aktuell vor allem 30- bis 40-Jährige infiziert seien, die sich nach Urlaubsreisen oder bei Familien- oder Geburtstagsfeiern angesteckt hätten. Im Gegensatz zum Frühjahr, als das Durchschnittsalter der Erkrankten über 60 betragen habe, seien die Kliniken daher nicht überlastet. Die Stadt habe das Ausbruchsgeschehen „sehr gut im Griff“. Es gebe kaum Ausbrüche in den Altenheimen, gute Kontakte zu den Hygieneabteilungen in den Kliniken, viel Beratung und Tests bei Ausbrüchen sowie anlasslose Reihentestungen. In den Kliniken lagen laut RGU am 24. September nur 38 Coronapatienten, elf davon auf einer Intensivstation.
Dennoch stehe das RGU vor großen Herausforderungen, sagte Fuchs. Denn das Personal sei knapp. Ein Sonderstab Corona kümmert sich aktuell mit rund 400 Kolleg*innen, darunter auch Ärzt*innen, um alle Fälle. Zusätzlich erhält das RGU Unterstützung von 52 Soldat*innen. Obwohl der öffentliche Gesundheitsdienst in Bayern zu lange „gesund geschrumpft“ worden sei, stehe man in München noch vergleichsweise gut da, sagte Fuchs. Der Referent wünschte sich weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft, auch bei den Schuleingangsuntersuchungen. Die Pandemie werde sicher noch bis ins Jahr 2021 eine Rolle spielen. Daher gelte es, Optimierungsvorschläge von Stadt- und Ärzteseite gegenseitig anzunehmen.
Insgesamt sei das Ausbruchsgeschehen aktuell sehr diffus. Das mache die Nachverfolgung der Infektionsketten schwierig: „Ein Ausbruch in einem Flüchtlingsheim lässt sich leichter lenken als solch ein diffuses Geschehen“, sagte er. Fuchs verglich die aktuelle Arbeit des RGU mit einem Marathon, bei dem man kein konkretes Ziel vor Augen habe. Um flexibel reagieren zu können brauche es „ein atmendes System“. Um den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken müsse noch Geld vom Stadtrat bewilligt werden und die Unterstützung durch das Bundesgesundheitsministerium gewährleistet sein.
Fragen der Delegierten drehten sich u.a. um eine spätere Impfstoffverteilung und eine mögliche Einflussnahme der „Wirtshaus-Wiesn“ auf die Corona-Zahlen. Ein Delegierter fragte nach Daten, die einen Vergleich zu anderen Infektionen ermöglichen: Wie viele der aktuell in München durchgeführten Tests sind positiv? Diese Bezugsgrößen könnten sie nicht liefern, antwortete Fuchs. Im Infektionsschutzgesetz sei dies nicht vorgesehen, und die Labore lieferten auch keine Zahlen über negative Tests. Aktuell werde in München außerdem von unterschiedlichen Akteuren an unterschiedlichen Stellen getestet. Aufgrund des diffusen Ausbruchsgeschehens ließen sich auch keine Aussagen zu erhöhten Zahlen in einzelnen Stadtgebieten machen.
Wie man Patienten übertriebene Ängste nehmen könne, wollte ein Delegierter wissen. Die überwältigende Mehrheit halte sich an die Verordnungen und die AHA-Regeln (Abstand – Hygiene – Alltagsmaske). Dennoch hätten viele Menschen große Angst. „Das individuelle Risiko hängt stark vom individuellen Verhalten ab“, antwortete Waldeck. Alltagssituationen wie Einkäufe mit Mund-Nasen-Schutz trügen offenbar kaum zum Infektionsrisiko bei. Auch der öffentliche Nahverkehr sei nach allem, was man derzeit wisse, nicht mit einem erhöhten Risiko verbunden. Beim aktuell verwendeten Schwellenwert von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner handele es sich um eine bundesweite Konvention, um eine exponentielle Ausbreitung zu verhindern.
Auf die wichtige Rolle der niedergelassenen Ärzteschaft bei der Bewältigung der ersten Coronawelle wies Dr. Oliver Abbushi hin, der gemeinsam mit Dr. Florian Vorderwülbecke als Corona-Versorgungsarzt für München tätig war und derzeit Koordinierender Arzt der KVB ist. Er hoffe weiterhin auf einen guten Austausch mit den Behörden. Auch Dr. Claudia Ritter-Rupp vom Vorstand der KVB betonte die wichtige Rolle der niedergelassenen Ärzteschaft. Vor allem durch deren gute Kooperation mit den Behörden sei die erste Welle der Pandemie so gut bewältigt worden. Wie die von Bundesgesundheitsminister Spahn angeregten Fieberambulanzen umgesetzt werden könnten, sei jedoch noch nicht klar. Schon vorher hätten niedergelassene Ärzt*innen Testungen im Auftrag des ÖGD durchgeführt, auch aktuell sei das möglich. Es müssten aber bald Schnelltests zugelassen und angewendet werden.
Dr. Irmgard Pfaffinger vom ÄKBV Vorstand verwies auf mögliche Probleme bei der Lagerung von möglichen Impfstoffen in Praxen. Diese müssten bei äußerst niedrigen Temperaturen gekühlt werden. Waldeck vermutete, dass Impfstoffe erst irgendwann nächstes Jahr zugelassen werden. RNA-Impfstoffe seien jedoch kompliziert in der Anwendung, bestätigte sie. Die Einrichtung einer städtischen Fieberambulanz auf der Theresienwiese sei geplant.
Nach der Verabschiedung der Referenten entspannen sich Diskussionen über den Antrag des ÄKBV zu den Schulschließungen (s. S. 10). Eine Delegierte betonte, dass sich bisher kaum jemand für die Kinder und die Eltern eingesetzt habe, die mittlerweile am Rand ihrer Kräfte seien. Und das, wo man nun relativ sicher wisse, dass Kinder ein vergleichsweise geringes Infektionsrisiko hätten. „Wir müssen die Kinder im Auge behalten!“, betonte sie. Gleichzeitig wies der erste Vorsitzende des ÄKBV Dr. Christoph Emminger darauf hin, dass Risikogruppen weiterhin geschützt werden müssten. Wenn die Krankenhäuser bereits voll gelaufen seien, sei es für eine Prävention zu spät. Der Antrag wurde schließlich mit einer Ergänzung zu den Risikogruppen verabschiedet.
In einem weiteren Antrag befasste sich die Delegiertenversammlung mit der Telematik und dem im Juli vom Bundestag verabschiedeten Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG). Die Delegierten schlossen sich darin einer Stellungnahme der KVB an, die dem PDSG vorwirft, nicht mit der Datenschutz Grundverordnung vereinbar zu sein. Volltext des Beschlusses: Siehe S. 10.
Stephanie Hügler Stand: 24. September 2020