Ausbildung ist Chefsache!
Herr Dr. Pilz, warum interessiert sich der ÄKBV als Ärztevertretung so für die Ausbildung der Medizinischen Fachangestellten?
Pilz: Hier in der Metropolregion München, das gilt aber auch für andere Metropolregionen, befinden Sie sich in einem starken Konkurrenzkampf um Ausbildungswillige. Über die Jahre hinweg hat sich außerdem leider Medizinische Fachangestellte: Ausbildung ist Chefsache! In vielen Praxen fehlen qualifizierte Medizinische Fachangestellte (MFAs). „Das Problem beginnt bereits bei der Ausbildung“, sagen Dr. Josef Pilz, Dermatologe und 2. Vorsitzender des ÄKBV, und Dr. Gerald Quitterer, Facharzt für Allgemeinmedizin und Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). die Qualität der Auszubildenden verschlechtert. Das zeigt auch die Tatsache, dass die Durchfallquoten bei den MFA-Prüfungen meiner Meinung nach derzeit unakzeptabel hoch sind. Wir finden leider keine ausreichend adäquaten Kandidaten für die doch sehr verantwortungsvolle und anspruchsvolle Tätigkeit der Medizinischen Fachangestellten!
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Pilz: Das liegt sicher zum einen daran, dass der Arbeitsmarkt zur Zeit relativ leer ist. Zum anderen haben auch wir Ärztinnen und Ärzte dies mitverschuldet, weil wir häufig nur negativ darstellen, wie hoch die Belastungen in diesem Beruf sind. Außerdem ist die Anspruchshaltung vieler Patienten gegenüber den MFAs in den Praxen oft grenzwertig. Ich kann meine Angestellten verstehen, wenn sie sagen, sie haben keine Lust, sich von morgens bis abends Beschimpfungen anzuhören – stellvertretend für alle Dinge, die derzeit im Gesundheitswesen nicht optimal organisiert sind. Das macht den Beruf nicht sehr „sexy“, wie man heute sagt, und so suchen sich viele MFAs über kurz oder lang andere Betätigungsfelder.
Quitterer: Ich sehe mehrere Probleme: Zum einen, dass wir weniger Auszubildende bekommen, weil das Interesse an dem Beruf abnimmt. Mit ein Grund ist eine Darstellung nach außen, die häufig die Attraktivität des Berufsbilds nicht hervorhebt. Zum anderen entscheiden sich viele junge Menschen nach Abschluss ihrer Ausbildung dann doch gegen den Beruf, weil sie zu häufig für Tätigkeiten abgestellt werden, die nicht am Patienten stattfinden und bei denen sie keinen Kontakt zum Arzt haben. Wir müssen dafür sorgen, dass wir als Chefs auch wirklich an der Seite der Auszubildenden sind und uns darum kümmern, wie es ihnen geht – in der Praxis als Ausbildungsstätte, mit den Kenntnissen, die sie hier erwerben, und in der Berufsschule. Es wäre vorbildlich, sich als Chef wöchentlich zu festen Zeiten mit diesen Themen zu beschäftigen.
Was kann der ÄKBV tun, um die Ausbildung zu fördern?
Pilz: Wir möchten in München, ähnlich wie das derzeit schon in Augsburg gemacht wird, einen Ausbildungsberater als Mediator installieren, der zum Beispiel bei Konflikten zwischen Auszubildenden und Ausbildern diese frühzeitig in Gesprächen klären kann. Durch unseren Slogan „Ausbildung ist Chefsache“ möchten wir außerdem herausstellen, dass Auszubildende nicht einfach zum Kaffee kochen abgestellt werden dürfen, sondern dass sie eine ernsthafte Ausbildung durchlaufen und ernstgenommen werden müssen. Ich möchte aber nochmal darauf zurückkommen, dass wir hier in München und in anderen Metropolregionen eine im Vergleich zum ländlichen Raum sehr hohe Durchfallquote bei den Ausbildungen haben: In Würzburg etwa lag sie im Sommer 2017 bei etwa 7,7 Prozent, während sie hier in München bei 37 Prozent lag. Es gab außerdem eine Korrelation zwischen den Zugangsvoraussetzungen bei den Auszubildenden und ihrem Ausbildungsabschluss: 63 Prozent der in München durchgefallenen MFA-Azubis hatten keinen Schulabschluss. Offenbar werden zumindest hier in der Metropolregion nicht die passenden Personen für diese Ausbildung eingestellt. Ich bin der Meinung, dass wir bestimmte Zugangsvoraussetzungen und einen Qualitätsstandard brauchen. Wie könnten diesen Zugangsvoraussetzungen aussehen? Pilz: Eine Medizinische Fachangestellte sollte meiner Meinung nach zumindest einen qualifizierten Hauptschulabschluss haben. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass jemand die Primärkriterien wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erfüllt. Es gibt keinen Bereich unseres Wirtschaftslebens oder unserer öffentlichen Ordnung, der mit einer derartigen Präzision arbeiten muss wie der medizinische Bereich. Die Probe von Frau Meier darf einfach nicht mit der Probe von Frau Müller verwechselt werden, davon hängt ein Menschenleben ab. Das Lernen und die Ausbildung an sich kann man verbessern, aber dass in der Medizin immer mit einer großen Sorgfalt gearbeitet werden muss ist nicht verhandelbar.
Quitterer: Das sehe ich auch so. Wir müssen uns aber auch fragen: Warum kommen kaum Menschen mit höherer Schulbildung, also mit mittlerer Reife, Fachhochschul- oder sogar allgemeiner Hochschulreife, zu uns? 62 Prozent aller Auszubildenden in München, über alle Berufe hinweg, haben Hochschulreife. Warum sind von diesen so wenige bei uns tätig? Wahrscheinlich erwarten sie, dass sie sich im Beruf weiter qualifizieren können und eine Perspektive bekommen. Wir sollten ihnen zeigen: Ihr könnt bei uns eine Ausbildung absolvieren, die Euer Engagement und Selbstbewusstsein, Euer Einfühlungsvermögen und Eure Fachkompetenz fordert. Ihr erlernt eine Tätigkeit, die Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Sorgfalt erfordert. Ihr arbeitet an der Seite des Arztes, zum Wohle der Patienten. Das ist ein spannender Beruf, in dem man mit anderen Menschen Kontakt hat und der sehr kommunikativ ist. Wir sollten auch darstellen, dass eine Weiterqualifizierung zur Versorgungsassistentin, zur nichtärztlichen Praxisassistentin oder sogar Betriebswirtin möglich ist, dass man sich also weiterentwickeln kann.
Was kann man noch tun, damit sich etwas verbessert?
Pilz: Jeder, der die Ausbildung abbricht, ist ein Verlust für unser System. Ein Mediator für Problemfälle kann da schon helfen. Die BLÄK und auch wir vom ÄKBV sind außerdem regelmäßig auf Ausbildungsmessen etc. präsent. Nach außen hin müssen wir sicher das Schöne und Interessante an diesem Beruf noch besser darstellen. Das ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Ärztekammer. Wir müssen aber auch der Politik klar machen, dass es an vielen Stellen im Gesundheitssystem hakt, nicht nur bei den Pflegekräften in den Kliniken, sondern auch bei den MFAs. Meiner Meinung nach wird die Unterversorgung bei der ambulanten Versorgung nirgends so deutlich wie bei den MFAs, weil wir als Ärztinnen und Ärzte nicht die gleichen Gehälter bezahlen können wie dies Unternehmen tun. Ich kenne einige MFAs, die zu großen radiologischen Praxen gegangen sind, die ganz andere Gehälter zahlen können. Aber auch die können häufig nicht mit anderen Unternehmen mithalten. Ist denn vor allem das fehlende Geld das Problem? Pilz: Hinzu kommt noch die Bürokratie in vielen Bereichen. Ein Beispiel ist etwa die europäische Krankenversicherung: Dazu haben wir kürzlich ein ca. 30-seitiges Schriftstück erhalten. Das müssen unsere MFAs durchlesen und verstehen. Bei den Allgemeinmedizinern stelle ich mir das noch schwieriger vor mit den verschiedenen Chronikerprogrammen und dem entsprechenden bürokratischen Aufwand dafür.
Quitterer: Das stimmt natürlich. Die Arbeit ist dann interessant, wenn man den MFAs die Möglichkeit gibt, breit gefächerte Tätigkeiten zu übernehmen. Josef, bei Euch im fachärztlichen Ausbildungsbereich fehlen den MFAs womöglich verschiedene Ausbildungsinhalte, die man ihnen aber durch eine überbetriebliche Ausbildung vermitteln könnte. Ihr als ÄKBV und auch wir als BLÄK könnten für eine solche überbetriebliche Ausbildung werben und entsprechende Kontakte zu anderen Praxen vermitteln.
Ist denn vor allem das fehlende Geld das Problem?
Pilz: Hinzu kommt noch die Bürokratie in vielen Bereichen. Ein Beispiel ist etwa die europäische Krankenversicherung: Dazu haben wir kürzlich ein ca. 30-seitiges Schriftstück erhalten. Das müssen unsere MFAs durchlesen und verstehen. Bei den Allgemeinmedizinern stelle ich mir das noch schwieriger vor mit den verschiedenen Chronikerprogrammen und dem entsprechenden bürokratischen Aufwand dafür.
Quitterer: Das stimmt natürlich. Die Arbeit ist dann interessant, wenn man den MFAs die Möglichkeit gibt, breit gefächerte Tätigkeiten zu übernehmen. Josef, bei Euch im fachärztlichen Ausbildungsbereich fehlen den MFAs womöglich verschiedene Ausbildungsinhalte, die man ihnen aber durch eine überbetriebliche Ausbildung vermitteln könnte. Ihr als ÄKBV und auch wir als BLÄK könnten für eine solche überbetriebliche Ausbildung werben und entsprechende Kontakte zu anderen Praxen vermitteln.
Was kann denn der bereits angesprochene Ausbildungsberater tun?
Quitterer: Den Ausbildungsberater, wie er in Schwaben existiert, halte ich für dringend nötig, weil er bei möglichen Problemen genau schauen kann, woran es liegt: Wie ist die Qualität der Ausbildung in der Praxis? Gibt es etwas, das man verbessern könnte? Könnte man zum Beispiel helfen, die Inhalte besser zu vermitteln? Wir brauchen insgesamt eine einheitliche Qualität der Ausbildung. Denn es spricht sich schnell herum, wenn jemand sagt: „In diesem Betrieb lernst Du nichts.“ Ein Berater oder Mentor, der eine Hilfestellung sowohl für die Ausbilder als auch für die Auszubildenden gibt, könnte dieses Problem lösen. Zudem wird die Ärztekammer das Berufsbild der MFA weiter bewerben. Aktuell läuft bei uns die Imagekampagne „KARRIERE #LÄUFT BEI DIR!“, auf die wir auch im Bayerischen Ärzteblatt immer wieder hinweisen. Dort stellen wir dar: Das ist ein Beruf, der Spaß macht! Und im Bayerischen Ärzteblatt veröffentlichen wir regelmäßig Prüfungsfragen für MFAs.
Pilz: Der Beruf der MFA hat Zukunft! Denn für den Umgang mit Menschen brauchen wir weiterhin auch Menschen! In vielen Bereichen wird derzeit Personal abgebaut. So gibt es z. B. an der Ärzte- und Apothekerbank ab dem 31. März nächsten Jahres keinen Schalter mehr, sondern nur noch Automaten zum Abheben und Einzahlen. Bei uns kann und wird das nicht passieren, denn ohne Menschen wie die MFAs in den Praxen oder Pflegekräfte in den Krankenhäusern funktioniert das Gesundheitswesen nicht.
Was ist Ihr Appell an Ärztinnen und Ärzte, die dieses Interview lesen?
Pilz: Es ist wichtig, das Thema „Ausbildung ist Chefsache“ wirklich ernst zu nehmen. Auch ich habe mich diesbezüglich weiter entwickelt. Heute kümmere ich mich intensiver um meine Mitarbeiter und ganz besonders um die Auszubildenden als früher. Denn diese sind wichtig, damit wir den Betrieb aufrechterhalten können!
Quitterer: Außerdem sollten Ärztinnen und Ärzte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdienen. Die MFAs und Azubis müssen wissen, dass wir sie und ihre Arbeit schätzen. Denn das spricht sich beim Nachwuchs herum. Wir müssen ihnen vermitteln: „Schön, dass Sie da sind. Wir brauchen Sie. Respekt, was Sie heute wieder alles geleistet haben.“ Das ist in einem kommunikativen und verantwortungsvollen Beruf genauso wichtig, wie ein faires Gehalt!
Das Interview führte Stephanie Hügler