Leitartikel

ÄKBV-Kurs "Fit für den Notfall". Die ersten zehn Minuten meistern

Wie reagiere ich bei einem Notfall? Das beschäftigt alle Ärzt*innen. Sicherheit bis zum Eintreffen weiterer Hilfe vermittelt der ÄKBV-Kurs „Fit für den Notfall“ (ehemals „Refresherkurs“). Ein Gespräch mit ÄKBV-Kursleiter Dr. Sebastian Streckbein sowie Dr. Wolfgang Decker und Stephanie Kraus von der Clinic Dr. Decker.
ÄKBV-Kurs "Fit für den Notfall". Die ersten zehn Minuten meistern
ÄKBV-Kurs "Fit für den Notfall". Die ersten zehn Minuten meistern

Foto: Shutterstock

Herr Dr. Streckbein, was gibt es Neues zu den „Refresherkursen“? Ist heuer alles wie immer?

In den Kursen behandeln wir nach wie vor die wesentlichen Leitsymptome in Notfallsituationen sowie die dahinter liegenden relevanten kritischen Krankheitsbilder. Wir besprechen die Herangehensweise nach dem „ABCDE-Schema“ und vermitteln praktische Fertigkeiten in Erster Hilfe und Herz-Lungen-Wiederbelebung – online und in Präsenz. Zuletzt haben wir neue Fallbeispiele zu den Leitsymptomen entwickelt, z.B. zum Thoraxschmerz, sodass der Kurs noch abwechslungsreicher und spannender ist – auch für „Wiederholungstäter“. Zudem haben wir unsere Teilnehmerstruktur analysiert und dabei festgestellt, dass derzeit überwiegend Berufserfahrene den Kurs besuchen. Um den ehemaligen „Refresher-Kurs“ auch für jüngere Kolleg*innen sichtbarer und attraktiver zu machen, heißt er jetzt „Fit für den Notfall – die ersten zehn Minuten sicher meistern“. Denn: Die vier Kursmodule sind unserer Meinung nach für Kolleg*innen aller Alters- und Erfahrungsstufen und Bereiche der Patientenversorgung interessant, nicht nur für „alte Hasen“.

Haben die Jüngeren das Meiste nicht schon im Studium gelernt?

Sicher. Dennoch, ist es ein weiter Weg bis aus theoretischen Wissen Handlungssicherheit in stressigen Notfällen entsteht. Aus unserer Sicht passt das Format gerade auch für Weiterbildungsassistent*innen, die z.B. vor ihren ersten Diensten in der Klinik stehen oder in Praxen oder MVZs angestellt sind. Zunehmend findet Weiterbildung ja auch dort statt – Stichwort Ambulantisierung der Medizin. Notfälle gibt es in allen Fachbereichen und Versorgungsstrukturen, und die Weiterbildung sollte hier für den nötigen Kenntnisstand sorgen. Für große Kliniken und Weiterbildungseinrichtungen ist das sicher kein Problem, aber in kleineren Institutionen, wie Fachkliniken oder Praxen, gibt es oft nicht ausreichend Ressourcen dafür. Unser Kursformat kann hier ergänzen: In kollegialer Atmosphäre kann man sich die relevanten Inhalte für die ersten zehn Minuten kompakt aneignen und in kleinen Gruppen praktische Fertigkeiten wie die Herz-Lungen-Wiederbelebung üben. Letztlich geht es darum, die Handlungssicherheit in stressigen Notfallsituationen zu verbessern und so für mehr Patientensicherheit zu sorgen.

Herr Dr. Decker, wie ist es in Ihrer Klinik mit der Notfallversorgung?

Wir sind eine kleine traditionsreiche Fachklinik für orthopädische Chirurgie mit Schwerpunkt Endoprothetik, versorgen aber zunehmend komplexer vorerkrankte Patient*innen. Für das innerklinische Notfallmanagement haben wir ein eigenes Konzept erstellt und implementiert. Dazu gehören interne Schulungen ebenso wie die ärztliche Fort-/Weiterbildung. Bei den Inhouse-Schulungen setzen wir z.B. auf eigene Basic-Life-Support-(BLS)-Kurse und auf die Software „eGENA“, eine Gedächtnis- und Entscheidungshilfe im anästhesiologischen Notfallmanagement. Sie ist auf all unseren Arbeitsplatzrechnern installiert, was die Handlungssicherheit – und damit die Patientensicherheit – in Notfallsituation stark verbessert.

Im Bereich der ärztlichen Weiterbildung ist unsere interne Kapazität allerdings leider begrenzt. Daher haben wir uns entschlossen, diese Lücke mit Hilfe von externen Anbietern wie dem ÄKBV zu schließen. Das Konzept „von Ärzten für Ärzte“ hat uns überzeugt. Die Qualität stimmt, genauso wie die Kosten-Nutzen- Relation. Seit Anfang des Jahres haben wir die Teilnahme unserer Weiterbildungsassistent*innen am ÄKBV-Kurs „Fit für den Notfall“ fest in unser Weiterbildungs- und Innerklinisches Notfallkonzept aufgenommen.

Frau Kraus, Sie sind eine der Weiterbildungsassistent*innen an der Clinic Dr. Decker und haben am Kurs „Fit für den Notfall“ teilgenommen. Was für Erfahrungen haben Sie gemacht?

Beim Beginn meiner Tätigkeit dort im März 2024 habe ich gleich eine Email erhalten, dass Assistenzärzt*innen und externe Dienstärzt*innen die Möglichkeit haben, an internen Schulungen und an Kursen des ÄKBV teilzunehmen. Da ich solche Angebote gerne nutze, habe ich mich sofort zeitnah angemeldet. Weil ich selbst eine kleine Tochter habe und die Kurse so gut fand habe ich z.B. auch den Pädiatriekurs vom ÄKBV (Notfälle bei Kindern) direkt noch zusätzlich dazu gebucht.

Vorher hatte ich bei einem Maximalversorger gearbeitet. Dort ist bei schwierigen Situationen immer ein Intensivteam im Hintergrund verfügbar, sodass einem die Eigenverantwortung schnell abgenommen wird. Hier ist das ein bisschen anders: Natürlich kann ich auch hier auf die Anästhesie oder das Wissen von Dr. Decker als Notfallmediziner zurückgreifen. Aber in der Nacht bin ich oft auf mich allein gestellt. Und selbst wenn ich einen Facharzt für Notfallmedizin im Hintergrund habe – die Zeit, bis ich ihn kontaktiert habe, muss ich irgendwie überbrücken. Der ÄKBV-Kurs hat mir Sicherheit gegeben, hier im Notfall richtig handeln zu können. Für die kurzen Momente, in denen man allein ist, muss man einfach gerüstet sein. Übrigens habe ich auch im Privaten schon häufiger Unfallszenarien erlebt. Meine Botschaft an meine Kolleg*innen lautet daher: Egal, in welchem Stadium Ihrer Weiterbildung oder Ihres Facharztdaseins Sie sich befinden – nutzen Sie solche Angebote! Denn viele Notfallereignisse passieren eben nicht dann, wenn man sich gerade im geschützten Rahmen einer Klinik befindet. In der U-Bahn etwa oder im Straßenverkehr kommt es noch stärker auf einen selbst an. Und da ist es wichtig, in den ersten zehn Minuten vor Eintreffen der Notärztin nicht die Nerven zu verlieren.

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Ich habe einige Jahre auf dem Oktoberfest als Bedienung gearbeitet. Als ich einmal am Ende des Tages bereits auf dem Nachhauseweg war, habe ich hinter einem Zelt einen Mann in einer großen Blutlache vorgefunden. Er hatte eine offene Schädelverletzung und war nicht ansprechbar – wahrscheinlich nach einem Schlag auf den Kopf mit einem Maßkrug. Natürlich habe ich gleich den Notruf gewählt und parallel auf seinen Zustand geachtet, damit ich eingreifen könnte, wenn er nicht mehr atmet. Ich war aber sehr erleichtert, als der Notarzt kam, da ohne jegliches medizinisches Equipment (lediglich ein paar Handschuhe), die Verantwortung für einen so Schwerverletzten massiv ist. Ein anderes Mal fuhr ich gerade auf der A9, als jemand nach einem plötzlichen Herztod unmittelbar vor mir in die Leitplanken fuhr. Leider konnte ich damals nichts mehr aktiv für diesen Menschen tun. Wenn es nur eine Synkope gewesen wäre, hätte ich z.B. die Vitalparameter, Puls und Atemfrequenz prüfen und die beim Unfall entstandene Blutung abdrücken können.

Hätten Sie das Wissen, was zu tun ist, auch vor dem Kurs parat gehabt?

Vielleicht schon, aber mir hätte die Routine gefehlt und ich hätte evtl. länger darüber nachdenken müssen. Bis jetzt musste ich z.B. noch nie jemanden reanimieren, aber irgend- wann trifft es sicher auch mal mich. Und dann bin ich bestimmt froh, dass ich es mehrfach geübt habe und durch den Kurs auch weiß, wie tief und in welcher Frequenz ich drücken muss. Natürlich haben wir das bereits im Studium durchgenommen, aber das ist schon eine Weile her. In Notsituationen haben, glaube ich, viele Kolleg*innen Angst, etwas falsch zu machen und melden sich daher z.B. im Zug oder im Flugzeug lieber nicht, wenn dort nach einem Arzt oder einer Ärztin gefragt wird. Ich aber möchte in solchen Fällen unbedingt helfen können – ich war schon immer ein prosozialer Mensch.

Was war für Sie im Kurs besonders hilfreich?

An der Uni lernt man viele spezielle Erkrankungen kennen, zum Beispiel Lepra, mit denen man im normalen Berufsalltag eher nicht zu tun hat. Im Vergleich dazu fand ich es hilfreich, mir im Kurs nochmal genau zu vergegenwärtigen: Was tue ich denn nun genau bei Atemnot? Auch wenn jeder Notfall anders ist, gibt es mir eine gewisse Sicherheit, verschiedene Notfallsituationen schon geübt zu haben.

Außerdem fand ich es spannend, beim Kurs auf ganz unterschiedliche Kolleg*innen zu treffen – von der alteingesessenen Allgemeinmedizinerin bis hin zum jüngeren Kollegen. Es waren Kolleg*innen aus dem Gesundheitsamt dabei, aus dem ärztlichen Bereitschaftsdienst und Fachärzt*innen verschiedener Fachrichtungen.

Streckbein: Unser methodisches Konzept hat einen Fokus auf dem Empowerment unserer Teilnehmer*innen. Wir geben unser Wissen weiter – niedrigschwellig und niedrig- komplex, sodass man es auch in einer Stresssituation einfach wieder abrufen kann. Auch haben wir die Kursmaterialien so weiterentwickelt, dass man sie in Notfallsituationen einfach heranziehen kann, z.B. als praktische PDFs auf einem Smartphone, Ein Notfall kann uns allen täglich begegnen – der hoch spezialisierten Dermatologin genauso wie dem unerfahrenen internistischen Weiterbildungsassistenten, der Betriebsärztin ebenso wie dem jungen Anästhesisten mit Weiterbildungsbedarf. Und in den ersten Minuten z.B. bei einem Kreislaufstillstand fallen sozusagen die Würfel für die Zukunft der Betroffenen. Wenn ich dann den Kreislaufstillstand nicht erkenne und keine suffiziente Herzdruckmassage durch- führe, kann auch der Notarzt danach oft nicht mehr viel ausrichten. Und wenn bewusstlose Patient*innen nicht in eine stabile Seitenlage gebracht werden, um weiteratmen zu können, kann auch das am Ende für sie fatal sein.

Kraus: Aus meiner Sicht ist es ein Problem unseres Medizinstudiums, dass einem vom ersten Studientag an vermittelt wird, dass man fehlerlos ist oder sein soll. Dabei stellt man meistens erst im Berufsleben fest, was man alles nicht weiß und dass man doch viel erneut nachlesen muss – auch zur Ersten Hilfe oder Notfallversorgung. Ich finde es schade, dass so viele Ärzt*innen in Notfallsituationen Angst haben, sich als Kolleg*innen zu outen. Denn wenn ich als Ärztin beim Thema Erste Hilfe nicht als Vorbild vorangehe, kann ich auch vom Rest der Gesellschaft keine Erste Hilfe erwarten.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA 25-26 vom 07.12.2024