Ökologische Krankenhäuser, Bauen für das Klima
Foto: shutterstock
„Bauen wir heutzutage ökologische Krankenhäuser?“ Das war die provokante Frage zu Anfang seines Vortrags. Die Antwort am Schluss seines Vortrags lautete: „Bisher leider nein“! Das Architekturbüro Nickl & Partner ist dafür aber bereits auf einem guten Weg: Mehrere Kliniken, Gesundheitszentren und andere Gebäude in Bayern, Europa und der ganzen Welt hat das Unternehmen nach Umweltgesichtspunkten geplant, darunter das Krankenhaus Agatharied in Miesbach oder das GALILEO Zentrum auf dem Uni Campus in Garching. Das Münchenstift Seniorenzentrum in Allach wird derzeit genauso von den Architekt*innen gebaut wie das neue Hauner’- sche Kinderspital auf dem Campus Großhadern. Für das geplante neue Children’s Hospital in Shenzen / China erhielt die Firma 2020 den ersten Preis beim Wettbewerb dazu.
Knackpunkt in der Vergangenheit waren häufig die Genehmigungsverfahren, die zum Beispiel dazu führten, dass das Klinikum in Agatharied lediglich eine Holzverkleidung an der Fassade erhielt, statt überwiegend aus Holz gebaut zu werden, sagte Nickl. Trotzdem schafften es das Architekturbüro und der Träger, ein relativ ökologisches Krankenhaus zu schaffen: mit begrünten Innenhöfen, Wasserflächen am Vorplatz und aus weitgehend natürlichen Baustoffen. Um ein möglichst freundliches Krankenhaus zu schaffen, sollten Patient*innen die Möglichkeit erhalten, durch viele Fenster und funktionelle Fassaden auf die Natur hinauszuschauen. Gleichzeitig wurde der Energieeintrag nach draußen aber durch Lüftungsklappen und -boxen statt geöffneter Fenster reduziert. Die verwendeten Baustoffe wurden so gewählt, dass sie sich später zum Recyceln gut wieder trennen lassen.
Zweites Beispiel: der Gesundheitscampus am Klinikum Memmingen. Dort nutzte die Firma ein Restgrundstück an einem Autobahndreieck für den Neubau. Was zunächst wenig umweltfreundlich klingt, entpuppte sich schließlich zu einem nachhaltigen Projekt: Zum einen waren die Zugänge durch die gute Anbindung an einen Verkehrsknotenpunkt und die Nähe zu anderen Einrichtungen wie einem MVZ und einer Psychiatrie bereits erschlossen. Zum anderen wurde die durch das Klinikum und weitere Gebäude überbaute Fläche der Natur wiedergegeben – durch eine Fassaden- sowie extensive wie intensive Dachbegrünung. In Memmingen sollen zudem eine Photovoltaikanlage sowie ein effektiver Sonnenschutz den klimatischen Fußabdruck reduzieren. Zur Kühlung des Geländes dienen außerdem ein Becken zur Regenwasserrückhaltung, die Entsiegelung von Teilen des Grundstücks und verschattete Aufenthaltsflächen. Durch die Decken gepumptes Brunnenwasser hält das Gebäude im Sommer ebenso kühl wie ein Wintereisspeicher, mit dem in den Boden geleitete Kälte das ganze Jahr über Temperaturen in Innenräumen senken kann.
Tatsächlich spielt die Kühlung in Zeiten der Erderwärmung eine immer stärkere Rolle beim Energieverbrauch in Gebäuden, wie Nickl am Beispiel des Krankenhauses in Agatharied darstellte: Zwar betrug der dortige Energiebedarf für die Heizung nur ca. 2.000 Megawatt statt der ursprünglich kalkulierten 5.000 Megawatt. Der Bedarf für die Kühlung erhöhte sich aber auf das Zehnfache des zunächst berechneten Werts. Bereits in ihrem Einführungsvortrag hatte die Vorsitzenden des ÄKBV-Umweltausschusses, Dr. Katharina Jäger, auf die Rolle von Klimaanlagen als Energieverbraucher hingewiesen: Diese seien weltweit für etwa zehn Prozent des Stromverbrauchs verantwortlich – und damit für etwa 2.000 Terrawattstunden Energie. Durch die Erderwärmung rechnen Expert*innen mit einer Verdreifachung dieses Werts bis 2050. Gebäude sind in Deutschland für etwa 30 Prozent aller CO2-Emissionen und für 35 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich, sagte Jäger. Wer jemals im 1977 in Großhadern erbauten umgangssprachlich sogenannten „Toaster“-Gebäude gearbeitet hat, wisse: „Es wird dort sehr heiß!“
In ihrem Vortrag forderte Jäger eine Überarbeitung von Bauplänen für neue Kliniken in München im Hinblick auf mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Es brauche mehr recycelbar und natürliche Baustoffe wie Holz oder klimafreundlichen Vertua Beton, Photovoltaikanlagen auf allen Krankenhausdächern und eine Elektrothermobeschichtung der Fensterfronten. Zum Sonnenschutz könne man verstärkt in die Tiefe bauen. Notfalls müsse Klimaschutz über den Erwerb von Zertifikaten gefördert werden. Architekten müssten klären, was möglich und was noch Utopie sei. Häufige Aussagen wie „Wir unterstützen Sie in Ihren Bemühungen nach Nachhaltigkeit, aber sie darf nichts kosten“, dürften jedoch nicht mehr als Ausreden herhalten.
Auch die Stadt München hat große Pläne für mehr Klimaschutz im Gesundheitssektor. In einer Video-Grußbotschaft erklärte die für Krankenhausneubauten verantwortliche Bürgermeisterin, Dr. Verena Dietl, die Stadt plane, bis 2035 klimaneutral zu werden, die Stadtverwaltung bis 2030. Es brauche ein Umdenken bei den Kosten: „Kein Verschieben, kein Debattieren, sondern Handeln ist jetzt gefragt – und zwar sofort“, sagte sie. Eine gesunde Umwelt sei eine Voraussetzung für die Gesundheit der Münchner Bürger*innen. Entscheidungen dürften nicht mehr einseitig zu Lasten der Umwelt gefällt werden, auch wenn die Finanzierbarkeit natürlich weiter eine Rolle spiele. Der Energieverbrauch von Gebäuden sei bereits in der Planung angelegt. Daher seien im Labor in Neuperlach bereits Wasserleitungen in die Betondecken eingebaut worden, in Harlaching werde der Wärmeeintrag bei den Fensterfronten berücksichtigt. Nur durch einen ganzen Maßnahmenverbund könne Klimaneutralität erreicht werden. Neue, jetzt womöglich noch utopisch erscheinende, Ideen könnten dabei helfen.
Für das Zulassen von zunächst utopisch erscheinenden Ideen und eine ganzheitliche Betrachtung von Krankenhausarchitektur warb auch Nickl in der anschließenden Diskussion: „Wir müssen erst Utopien entwickeln, um dann in die Realität zu blicken, was sich dort umsetzen lässt“. Natürlich spielten immer auch politische Rahmenbedingungen eine Rolle. Man müsse sich aber stets fragen, was der Mehrwert einer ökologischen Bauweise sei: Mit welchen Maßnahmen lassen sich spätere Kosten vermeiden und langfristige Entwicklungen steuern? Auch der soziale Aspekt einer ökologischen Bauweise sei wichtig. „Nachhaltigkeit ist auch Nachhaltigkeit am Menschen“.
Bei der Frage nach Sanierung kontra Neubau, etwa bei denkmalgeschützten Gebäuden, müsse stets abgewogen werden. Gesundheitsschädliche, asbesthaltige Mauern etwa könnten aber niemals nachhaltig sein.
Ob ein Herzkatheterlabor oder ein OP durch entsprechende Architektur grundsätzlich auch ohne Klimaanlage denkbar seien, etwa in Memmingen, wollte ein Anwesender bei der anschließenden Diskussion wissen. Nein, sagte Nickl, aber die Nutzung von Verdunstungskälte und des Eisspeichers reduziere den Energiebedarf stark, indem die Kälte über einen Kältetauscher an ein Kühlmedium weiter geleitet werde. Aktive und passive Kühlsysteme könnten insgesamt viel bewirken. Zum Schutz vor Starkregenfällen regte ein Delegierter an, Kliniken wie in vielen tropischen Regionen üblich, quasi auf Stelzen zu positionieren, um Katastrophen wie beim Krankenhaus in Eschweiler zu verhindern. Dies könne allerdings die Barrierefreiheit negativ beeinflussen, argumentierte Nickl. Beim Krankenhaus in Shenzen habe man dies durch Rampen gelöst. Der „Keller“ befinde sich dort im Erdgeschoss, der Eingang im 1. Stock. Es sei in Eschweiler allerdings zu einer Potenzierung von Umständen gekommen. Kliniken in Senken neben Flüssen zu platzieren sei grundsätzlich nicht empfehlenswert. In der Vergangenheit seien Hospitäler daher häufig auf Hügeln platziert worden, wie etwa in Passau.
Ob aktuell neu zu bauende Kliniken auch im Hinblick auf womöglich später geltende Grenzwerte gebaut würden, wollte ein weiterer Teilnehmer wissen. Die gesetzlichen Grenzwerte von durch die öffentliche Hand finanzierte Kliniken müssten in der Regel um etwa 30 bis 40 Prozent unterschritten werden, sagte Nickl. Klimaneutral arbeitende Kliniken gebe es aktuell zwar nicht, eine nachhaltige Bauweise sei jedoch in der Regel auch finanziell nachhaltig – durch eine Einsparung der Betriebskosten.
Denn in der Regel beliefen sich die Betriebskosten eines Gebäudes – ohne Personal – bei einer herkömmlichen Bauweise innerhalb von fünf Jahren auf eine ebenso so hohe Summe wie die ursprünglichen Baukosten. Gelinge es, diesen Zeitraum der Kostenenverdopplung durch eine ökologische Bauweise auf acht oder zehn Jahre zu steigern, spare man damit ein Vielfaches an Kosten, rechnete Nickl vor. Bei einer üblichen Betriebsdauer eines Gebäudes ohne weitere Sanierung von 30 Jahren sei somit eine beträchtliche Einsparung möglich.
Ein Delegierter bemängelte, dass die hehren Ziele der Politik oft nicht umgesetzt würden. So führe die vom Stadtrat für die München Klinik beschlossene Kostendeckelung im Nachhinein zu Umplanungen nach dem Motto „Wir sparen, egal, was es uns kostet“. Um sich nicht vor der Öffentlichkeit verantworten zu müssen, werde dann eben doch bei den Baukosten gespart, auch wenn dadurch die langfristigen Betriebskosten stiegen. Nickl bestätigte, dass das Problem häufig schon in der Planungsphase beginne. Wenn das Ziel aufgrund einer unrealistischen Baukostenschätzung im Vorfeld nicht mehr zu den tatsächlichen Kosten passe, werde häufig das Ziel geändert statt die vorgesehenen Kosten anzupassen. Alternativ würden häufig die Planer*innen entlassen. Dadurch verzögere sich aber der Bau immer weiter, während die Baukosten von Jahr zu Jahr steigen. Insgesamt plädierte Nickl für einen ganzheitlichen Ansatz in der Krankenhausplanung, der die Bedürfnisse von Patient*innen und Mitarbeiter*innen ebenso berücksichtige wie die finanzielle und ökologische Nachhaltigkeit.
Stephanie Hügler
MÄA Nr. 24 vom 19.11.2021