BtM-Verordnungen, Rechtssicher gegen den Schmerz
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Frau Dr. Drubba, bereits 2015 hatten wir einen Artikel zum Fentanyl-Missbrauch unter der Überschrift „Achtung, Arzthopper“ veröffentlicht. Wie sieht es damit mittlerweile aus?
Drubba: Über die Jahre haben wir durch eine sehr umfassende Aufklärung und Bearbeitung der Fälle einen deutlichen Erfolg beim Fentanyl erzielen können und freuen uns darüber. Seit wir 2013/2014 mit den diesbezüglichen Kontrollen begonnen haben, wurde der Missbrauch kontinuierlich weniger. Das konnten wir anhand einer gemeinsamen Studie mit dem rechtsmedizinischen Institut der LMU nachweisen, das hier toxikologische Untersuchungen der an Drogen Verstorbenen vornahm. Viele Ärzt*innen haben heute aber Angst, Betäubungsmittel (BtM) zu verordnen und verordnen es unter Umständen auch denen nicht, die es bräuchten. Diese Ängste möchten wir abbauen und Wissen vermitteln, um Konfrontationen mit der Behörde zu vermeiden.
Welche Medikamente fallen unter das Betäubungsmittelgesetz und seine Anlage 3 zu verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln?
Wiseman: Das sind vor allem Opioide der WHO-Klasse 3, z.B. Fentanyl, Oxycodon, Hydromorphon, Morphin, aber auch schwach wirksame Opioide der Stufe 2, wie z.B. Tilidin in unretardierter Form. Seit einiger Zeit ist auch Cannabis verschreibungsfähig. Bei den Benzodiazepinen ist insbesondere Flunitrazepam zu erwähnen. Hinzu kommen Medikamente zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms wie Methylphenidat oder Dexamphetamin.
Wie wird der BtM-Verkehr vom GSR überwacht?
Drubba: Unsere Abteilung Kreisverwaltungsaufgaben prüft routinemäßig die Rezepte in den Apotheken. Genauer hingesehen wird etwa, wenn Methylphenidat an Erwachsene verordnet wurde oder Verordnende den gleichen Familiennamen tragen wie die Patient*innen. Bei ADHS sollte immer ein multimodaler Ansatz verfolgt und die Therapie regelmäßig von Fachärzt*innen überprüft werden. Dann ist es kein Problem, wenn z.B. ein Vater seinem Kind Methylphenidat verordnet. Wiseman: Die Kolleg*innen werden auch aufmerksam, wenn der oder die Verordnende fachfremd ist, wenn also z.B. eine Gynäkologin oder ein Orthopäde Rezepte für Methylphenidat ausstellt. Grundsätzlich dürfen sie dies zwar, aber es sollten zuvor eine Diagnose und Therapieempfehlung der passenden Fachrichtung vorliegen z.B. mittels eines aktuellen Befundberichts. Neben den Routinekontrollen gibt es auch anlassbezogene Kontrollen, etwa wenn der Kripo bei einer Personenkontrolle ein auffälliges Rezept ins Auge sticht oder wenn Apotheker*innen Auffälligkeiten bemerken. Zudem prüfen wir alle drei Jahre exemplarisch Fälle in den Substitutionspraxen.
Welche weiteren Gründe für eine genauere Prüfung kann es geben?
Wiseman: In § 2 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) werden außerdem bestimmte Höchstmengen zur Verordnung innerhalb von 30 Tagen festgelegt. Bei deutlicher Überschreitung fragen wir nach. Der Grund dafür sollte daher stets gut dokumentiert sein. Wir müssen auch nachfragen, wenn Rezepte in zu kurzen Abständen verordnet werden. Ein Rezept für zehn Fentanyl-Pflaster z.B. sollte bei einem üblicherweise dreitägigen Wechsel für 30 Tage ausreichen. Wenn die verordnete Höchstmenge innerhalb von 30 Tagen ärztlich begründet überschritten wurde, muss ein „A“ auf dem Rezept vermerkt sein, bei Substitutionsverordnungen zusätzlich ein „S“.
Auf was achtet das GSR noch bei den Kontrollen?
Drubba: Bei einer Gemeinschaftspraxis muss auf dem ärztlichen Rezept klar erkennbar sein, wer es ausgestellt hat. Dazu sollte man den Namen des /der Ausstellenden auf dem Stempel unterstreichen. Auch Anwendung und Dosierung müssen eindeutig sein. Nicht eindeutig ist z.B. „nach Bedarf“. „Gemäß schriftlicher Anweisung“ ist es nur dann, wenn diese dokumentiert vorliegt. Ein BtM darf gemäß §13 BtMG außerdem nur dann verordnet werden, wenn der beabsichtigte Zweck (z.B. der Schmerzlinderung) auf keine andere Weise erreicht werden kann, d.h. man sollte nicht gleich zur schärfsten Waffe greifen und gerade bei chronischen Schmerzen psychische Komponenten mit berücksichtigen.
Wiseman: Gerade bei chronischen Schmerzen lässt sich durch eine multimodale Schmerztherapie viel erreichen. Gemäß der aktuellen Leitlinie profitiert nur ein relativ geringer Teil aller Patient*innen mit nicht tumorbedingten Schmerzen von einer mehr als dreimonatigen Langzeit-Opioidtherapie. Offenbar werden aber, wie bei vielen chronischen Erkrankungen, auch bei Schmerzen einmal ausgestellte Rezepte einfach immer weiter ausgestellt und die Dosis dabei erhöht. Durch den Wechsel auf ein anderes Medikament kann man die Äquivalenzdosis aber oft deutlich reduzieren.
Können sich die von Ihnen befragten Ärzt*innen nicht auf ihre Schweigepflicht berufen?
Drubba: Das BtMG gibt uns trotz ärztlicher Schweigepflicht das Recht, alles für die Nachvollziehbarkeit der Verordnung Relevante einzusehen. Alle anderen Informationen kann der Arzt schwärzen. Bei einer von den Kolleg*innen entdeckten möglichen „Vorratsverschreibung“, prüfen wir aber, ob die Mehrverordnung anhand der Patientendokumentation nachvollziehbar ist. Und dann hilft es zu erfahren, wenn bei einer lange Zeit stabilen Patientin z.B. eine akute zusätzliche psychische Belastung vorliegt. Hat der Arzt oder die Ärztin nach der ärztlichen Kunst richtig gehandelt und dokumentiert, hat es keine Konsequenz, falls man von einem Arzthopper hintergangen worden ist.
Worauf sollten Ärzt*innen zusätzlich achten?
Wiseman: Der Therapieverlauf sollte grob skizziert werden. Man sollte sich dabei selbst ein Bild machen. Im Zweifelsfall sollten zusätzliche diagnostische Maßnahmen ergriffen und Patient*innen zu Fachärzt*innen überwiesen werden. Ein übliches, sorgfältiges ärztliches Vorgehen genügt. Wir empfehlen, die Reichdauer gleich bei Ausstellung des Rezepts in der Patientenakte zu dokumentieren und zur eigenen rechtlichen Absicherung eine schriftliche Aufklärung und Vereinbarung bezüglich verordneter Betäubungsmittel vorzunehmen (z.B. eingeschränkte Fahrtüchtigkeit, die kindersichere Aufbewahrung). Zwei Firmen haben bei ihren Fentanyl-Pflastern eine besonders hohe Beladung mit Fentanyl. Wenn der Patient genau nach diesen Herstellern fragt, sollte man aufhorchen, da die Beladung nur bei missbräuchlicher Anwendung, z.B. Auskochen und intravenös Injizieren, relevant ist.
Drubba: Vorbefunde sind wichtig, um zu sehen, ob die Diagnose gesichert ist und ob es eine Therapieempfehlung gibt. Wenn z.B. in einem Entlassungsbrief aus dem Krankenhaus steht, dass die Dosis innerhalb eines Zeitraumes reduziert werden sollte und das dann nicht geschieht, fragen wir nach.
Was ist das Problem beim Methylphenidat?
Wiseman: Es wird leider immer wieder zur Leistungssteigerung von Schüler*innen und Studierenden in Prüfungssituationen eingesetzt. In den USA ist das Mittel schon als „Kiddy-Koks“ bekannt.
Drubba: Es wird aber auch viel zu häufig zur Selbstausbeutung verwendet, von Menschen, die einen sehr stressigen Beruf haben, darunter auch Klinikärzt*innen. Daher sollte man davon absehen, jemandem mit der Verschreibung einen „Gefallen“ zu tun. Zugelassen ist das Medikament auch für ADHS im Erwachsenenalter und die sehr seltene Narkolepsie.
Was kann Ärzt*innen passieren, wenn sie Betäubungsmittel nicht ordnungsgemäß verordnen?
Drubba: Das A und O für uns ist der §13 BtMG. Die unbegründete Verschreibung nach §13 BtMG stellt einen Straftatbestand dar. Wir haben leider aber auch immer wieder Fälle, in denen die Patient*innen zwar eine eindeutig nachvollziehbare Diagnose haben, aber dann die Reichdauer der Rezepte nicht beachtet wird. Wenn die Mehrverordnung nicht gut ärztlich begründet ist, kann dies für einen Straftatbestand genügen. In diesem Fall sind wir von der Behörde verpflichtet, diesen Verdacht an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben, die über das weitere Vorgehen entscheidet. Bei erstmaligen Fällen wird das Verfahren häufig eingestellt.
Wiseman: Rein formale Fehler gelten meist als Ordnungswidrigkeiten. Bei einer Ordnungswidrigkeit kann der BtM-Verkehr z.B. für einen bestimmten Patienten oder einen bestimmten Wirkstoff untersagt werden. In extremen Fällen kann dies allerdings auch die komplette BtMVerschreibung einer Ärztin oder eines Arztes betreffen.
Können Patient*innen gegen ein solches Vorgehen Widerspruch einlegen?
Drubba: Nein, sie können nur zu einem anderen Arzt gehen. Es ist auch ausgesprochen selten, dass wir Ärzt*innen den BtM-Verkehr komplett untersagen und dies an die Bundesopiumstelle melden müssen. Dagegen können Ärzt*innen gegen uns vor dem Verwaltungsgericht klagen. Uns liegt vorrangig die fachlich korrekte Versorgung von Patient*innen am Herzen. Wir alle haben nichts davon, wenn Ärzt*innen komplett aufhören, BtM zu verschreiben. Durch diesen Artikel möchten wir ihnen daher viele Sorgen nehmen. Und wir beraten auch weiterhin, sogar anonym, am Telefon. Die Behörde anzurufen, bedeutet nicht, schlafende Hunde zu wecken.
Wie läuft die Substitution in München?
Drubba: Wir möchten die Ärzteschaft dafür sensibilisieren und auch motivieren. Innerhalb der nächsten fünf bis fünfzehn Jahre werden hier in München viele damit beschäftige Ärzt*innen in Rente gehen. Leider hören wir immer wieder von Kolleg*innen, dass sie trotz entsprechender Qualifikation nicht substituieren wollen. Ich gebe zu, dass es für dieses Thema eine gewisse Leidenschaft braucht. Aber auch diese Patient*innen haben Anspruch auf eine gute Versorgung wie jeder chronisch kranke Mensch. Mit zunehmendem Alter leben viele Substituierte auch in stabileren Verhältnissen. Es würde schon helfen, wenn die eine oder andere hausärztliche Praxis zehn bis zwanzig Suchtkranke substituieren würde. Die Clearingstelle von der Drogenberatung in der Paul-Heyse-Straße hat einen hervorragenden Überblick über die verschiedenen Praxen und weiß, wer wohin am besten passt. Auch wir stehen zur Beratung zur Verfügung. Die Ärzt*innen werden von uns nicht alleine gelassen.
An wen kann man sich bei Fragen wenden?
Wiseman: Unsere Kontakte sind auf muenchen.de unter „Betäubungsmittel“ gut zu finden. Bei der Bayerischen Landesärztekammer gibt es die Qualitätssicherungskommission für Substitutionsberatung. Und auch auf der Seite vom BfArM und der Bayerischen Akademie für Suchtfragen, BAS e.V., gibt es viele weitere Informationen.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler Stand: 13. Januar 2021