Übung macht den Meister
Herr Prof. Thasler, wofür benötigt ein Chirurg mit langjähriger Erfahrung wie Sie einen Sportpsychologen? Sollte er nicht auch so in der Lage sein, seine Arbeit zu machen?
Thasler: In der Vergangenheit haben wir viele schwierige Situationen mit Intuition und Erfahrung kompensiert. Ich glaube aber, dass wir zu einem anderen Professionalitätsniveau kommen müssen, um uns durch eine optimalere Vorbereitung bei der Patientenbehandlung und besonders bei der chirurgisch-manuellen Ausbildung zu verbessern. Hinsichtlich der Professionalität orientieren wir uns dabei an den Beispielen der Luftfahrt und des Spitzensports. Ich glaube aber, dass wir zu einem anderen Professionalitätsniveau kommen müssen, um uns durch eine optimalere Vorbereitung bei der Patientenbehandlung und besonders bei der chirurgisch-manuellen Ausbildung zu verbessern. Hinsichtlich der Professionalität orientieren wir uns dabei an den Beispielen der Luftfahrt und des Spitzensports.
Kossak: Ich möchte Ihre Frage noch ausweiten: Warum braucht ein Sportler einen Sportpsychologen? Weil es um den Umgang mit Druck geht. Mehrere Sportler haben zu mir gesagt: „Für Chirurgen ist es viel schlimmer als für uns: Bei ihnen geht es um Leben und Tod, bei uns nur um ein gewonnenes oder verlorenes Rennen.“ Wir möchten die Chirurgen schulen, mit diesem Druck als High Performer umzugehen. Druck gesagt: „Für Chirurgen ist es viel schlimmer als für uns: Bei ihnen geht es um Leben und Tod, bei uns nur um ein gewonnenes oder verlorenes Rennen.“ Wir möchten die Chirurgen schulen, mit diesem Druck als High Performer umzugehen.
Was kann ein Sportpsychologe tun, um Operationen zu professionalisieren?
Thasler: Wir befinden uns derzeit in einem Lernprozess und gehen dabei über zwei Jahre hinweg mehrere Schritte. In einem ersten Schritt schildern wir Herrn Kossak unsere Probleme in unserer Performance- Umgebung und schauen, wo wir etwas verbessern möchten. Umgekehrt versucht Herr Kossak, Techniken, Sichtweisen und Handhabungen aus seinem Erfahrungsgebiet auf unseren beruflichen Alltag und unsere Aus- und Weiterbildung zu übertragen.
Kossak: Wenn ich mit einem Motorsportler arbeite, ist das anders als bei einem Skifahrer. Genauso ist für mich auch die Chirurgie sozusagen eine eigene sportpsychologische Disziplin. Bis jetzt gibt es dabei allerdings deutlich weniger Expertise als beim klassischen Sport. Diese aufzubauen und sie mehr und mehr in den chirurgischen Alltag zu übertragen, ist unsere Herausforderung. Dazu muss ich mich zunächst in die Chirurgie einarbeiten und erst einmal von ihr lernen.
Seit wann arbeiten Sie beide schon zusammen und was machen Sie konkret?
Thasler: Vor vier Jahren haben wir uns erstmals mit dieser Idee befasst. Seit etwa zwei Jahren arbeiten wir daran, das Projekt auf stabile Beine zu stellen. Anfang dieses Jahres haben wir mit der Umsetzung begonnen.
Kossak: Wir sind zunächst mit einem Bewegungsvorstellungstraining gestartet. Dabei stellen wir uns vor allem minimalinvasive Eingriffe zunächst im Kopf vor und gehen sie mental durch. Das tun wir anfangs bei einfachen Prozessen und Grundtechniken, also etwa beim Nähen eines Operationsschnitts. In einem nächsten Schritt möchten wir ganze Operationsprozesse durchgehen. Es gibt dazu bereits einige Forschung, aber wir möchten ein anwendungsorientiertes Projekt schaffen.
Thasler: Am Ende soll ein Leitfaden entstehen, mit dem sich meine Mitarbeiter und ich auf einen schwierigeren Eingriff vorbereiten können. Ein wichtiger Aspekt ist für uns, wie wir am besten mit Stress und schwierigen Situationen umgehen. Aktuell schauen wir zum Beispiel, welchen Einfluss Arbeitsumgebungen mit viel Lärm auf die psychologische Performance haben. Dazu nutzen wir einen hoch technisierten Simulator, mit dem wir vieles ausprobieren können. In einem Projektteil üben wir damit z.B. vergleichend einen Eingriff jeweils in einer angenehmen und einer unangenehmen Atmosphäre, so wie wir sie im OP-Saal vielleicht vorfinden. Damit können wir z.B. zeigen, dass eine laute, lärmende Atmosphäre mit Störgeräuschen die Performance beeinflusst. Nur wenn Sie dies belegen können, haben Sie die richtigen Argumente, um daran etwas zu ändern.
Wie sieht der Simulator aus?
Thasler: Wie ein Laparoskopie-Turm. Die Instrumente sind die gleichen wie in der Realität. Wie im OP haben wir einen Bildschirm, so wie ein Pilot in einem Flugsimulator einen Steuerknüppel hat. Damit können wir mithilfe von rund 600 Übungen, die ähnlich wie Computerspiele funktionieren, verschiedenste Teilschritte bis hin zu kompletten Operationen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden „durchspielen“. Auch Situationen mit Blutungen oder anderen Komplikationen simulieren wir damit als wären sie real.
Grundsätzlich ist unser Simulator auf die minimalinvasive Chirurgie ausgelegt. Denn diese hat die große Schwierigkeit, dass Sie als Chirurg dabei stets nur eine eingeschränkte taktile Rückkopplung haben. Die Kontrolle der Motorik durch Ihr Auge ist an den Bildschirm verlagert. Dort haben Sie dann auch eine andere Vergrößerung. Ihr Gehirn muss dazu eine große Rechenleistung erbringen, die Sie erst einmal üben müssen. Aus meiner Sicht ist das der Grund, warum die minimalinvasive Chirurgie bei komplexeren Eingriffen noch immer nicht flächendeckend angewendet wird. Zwar werden heute fast 100 Prozent aller Gallenblasen laparoskopisch entfernt. Onkologische Eingriffe aber, wie eine Kolon-, eine Rektum- oder auch eine Magenresektion, werden seltener minimalinvasiv durchgeführt als man sich das wünschen würde. Die Lernkurve ist bei dieser OP-Technik einfach länger.
Was für Erfahrungen oder Prinzipien aus dem Sport werden genutzt? Inwiefern profitieren davon auch Chirurgen?
Kossak: Man kann ein Bewegungsvorstellungstraining ganz gut am Beispiel eines Skifahrers erklären. Der Skifahrer muss seine Technik lernen, d.h. er geht sie mental immer wieder durch: Wie gehe ich auf den Außenski? Wie belaste ich den Ski? Wie leite ich einen Schwung ein? Ähnlich ist es auch bei der Chirurgie: Wenn ich nähen lernen will und dazu zwei Instrumente in der Hand habe, muss ich wissen, was ich jeweils mit der rechten und mit der linken Hand tun muss. Skifahrer besichtigen und befahren außerdem vor jedem Rennen die Strecke. Sie schauen, wo die Tore sind und wie das Gelände beschaffen ist, usw. Dieses Bild prägen sie sich ein, damit sie schon vor dem Start wissen, wie sie später im Rennen agieren möchten. Sich jeden Schritt in Echtzeit vorzustellen gibt Sicherheit und verbessert die Performance. Auch OP-Prozesse stellen wir uns hier in Echtzeit vor. Allerdings dauern OPs oft mehrere Stunden, sodass wir uns zunächst auf bestimmte Knotenpunkte oder Teilschritte konzentrieren.
Sind Sie bei den Simulationen dabei, Herr Kossak?
Kossak: Wir absolvieren viele Simulationen zusammen, damit wir gemeinsam immer wieder den Wechsel zwischen dem Training am Simulator und dem Lernen durch Vorstellung erleben. Beides ist wichtig: Für die Vorstellung brauchen wir das haptische Feedback durch den Simulator. Dieses unterscheidet sich zwar etwas von dem bei einer realen OP. Aber das ist nicht schlimm, weil man sich auch über Unterschiede, die man wahrnimmt, verbessern kann. Jedenfalls macht man sich so über jeden Schritt bewusst Gedanken, strukturiert ihn im Gehirn neu und kann dadurch zielgerichteter arbeiten. Indem man sich die Situation nach der Arbeit am Simulator erneut vorstellt, lernt man noch einmal. So sind wir langfristig nicht an die teuren Simulatoren gebunden, sondern können zum Schluss auch rein gedanklich trainieren.
Wie oft trainieren Sie beide zusammen?
Kossak: Zur Zeit treffe ich die Ärztegruppe von Prof. Thasler etwa alle zwei Wochen. Idealerweise sollten Chirurgen täglich trainieren, aber wir müssen erst sehen, wie praktikabel das ist und wie es in den Alltag eingebaut werden kann. Dabei kann ich als Sportpsychologe methodisch helfen. Ähnlich wie beim Sport ist es auch in der Chirurgie wichtig, Akzeptanz für neue Methoden zu schaffen. Die Ärzte sollen merken: Das Training bringt mir etwas. In jeder Sportart geht man davon aus, dass man trainieren muss, um eine gute Leistung zu bringen. Nur in der Chirurgie geht man bis jetzt in der Regel direkt in den „Wettkampf“.
Wie viele Chirurgen sind am Training beteiligt?
Thasler: Unser ganzes Team mit allen vierzehn Teammitgliedern macht mit. Ich selbst versuche, zwei- bis dreimal pro Woche an den Simulator zu gehen, auch wenn es nur für eine Viertelstunde ist. Wenn wir für unser Team irgendwann ein festes Curriculum etabliert haben, ist es mein Ziel, das Training fest in die Facharztausbildung einzubinden und dabei auch ein gewisses Leistungsergebnis für die Prüfung einzufordern. Selbst die Jüngsten, die direkt vom Studium kommen, werden in das Projekt eingebunden.
Wissen Sie, ob eine solche Zusammenarbeit auch an anderer Stelle schon praktiziert wird?
Kossak: In München kennen wir kein ähnliches Projekt. Weltweit gibt es zwar Kursprogramme. Bis jetzt haben wir allerdings noch keines entdeckt, das alle Aspekte und Bereiche abdeckt, die wir behandeln möchten. Unser ganzheitlicher Anspruch umfasst den Umgang mit Druck, ein Bewegungsvorstellungstraining und den Umgang mit Fehlern.
Herr Thasler, konnten Sie dieses Training bereits einmal in einer konkreten Situation anwenden bzw. hatten Sie schon einmal konkret das Gefühl, dass es Ihnen dabei geholfen hat?
Thasler: Soweit sind wir noch nicht. Doch es hilft schon zu wissen, dass wir uns eine Operation vorstellen müssen und können. Dass wir nicht von irgendeinem schwierigen Gespräch direkt in den OP-Saal hetzen, uns kurz waschen und dann loslegen können, sondern dass wir Vorbereitungsschritte in den Alltag integrieren müssen – auch wenn wir das komplette Portfolio noch nicht nutzen können. Allein dieser Schritt des Bewusstmachens bringt eine neue Einstellung zu meiner Tätigkeit. Nach 25 Jahren im Beruf habe ich natürlich schon einen großen Erfahrungsschatz gesammelt. Aber auch mir hilft es, mir vor der OP ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um mir die OP vorzustellen.
Inwiefern kann ein Sportpsychologe beim Umgang mit Fehlern helfen?
Kossak: Es geht insgesamt um den Umgang mit Druck. Der Chirurg hat eine große Verantwortung. Gerade für junge Ärzte ist es vielleicht das erste Mal, dass sie einen bestimmten Eingriff durchführen, und dann stehen noch viele Leute um einen herum, darunter der Chef. Wir können ihnen Methoden vermitteln, wie sie mit diesem Stress umgehen können. Außerdem geht es um Konzentration: Chirurgen müssen lernen, sich trotz Lärms immer wieder zu fokussieren. Zum Umgang mit Fehlern haben wir öfter darüber diskutiert: Wie ist die Fehlerkultur in der Chirurgie? Welche Methoden oder Techniken kann man nutzen, um einen besseren Umgang damit zu lernen? Bei schweren Fehlern oder wenn ein Patient stirbt, finden wir sicher keine hundertprozentige Lösung. Aber es hilft, wenn die betroffenen Chirurgen wissen, wo sie Ansprechpartner zur Unterstützung finden und wie sie sich im Team gegenseitig unterstützen können.
Sind im Team alle mit gleicher Begeisterung an das Thema herangetreten, oder gab es auch Vorbehalte?
Thasler: Bei uns gab es grundsätzlich keinerlei Vorbehalte. Der erfahrenste Oberarzt hat das Trainingsangebot genauso gut aufgenommen wie der jüngste PJ-Student. Die Empfänglichkeit für das Thema ist sehr groß. Natürlich stehen wir alle unter einem enormen Zeitdruck, die neuen Techniken in den Alltag zu integrieren. Aber auch das ist Teil unserer Fragestellung. Die Herausforderung ist ja gerade, Methoden zu finden, die sich gut in unserem Alltag implementieren lassen.
Kossak: Für viele Ärztinnen und Ärzte ist es ein neues Thema. Herr Thasler hat vorhin schon treffend gesagt: Zunächst geht es darum, ein Verständnis für die neue Methodik aufzubauen. Auch im Sport arbeiten Athleten mit Routinen, aber wir möchten dies in der Chirurgie, wie auch im Sport, künftig zielgerichteter tun. Dafür ist das Team aus meiner Sicht sehr offen.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler