78. Bayerischer Ärztetag in München: Ökonomie und Gesundheit
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„Bin ich mein Beruf?“ fragte bei der Eröffnung der Gastredner Prof. Dr. Michael Bordt, Jesuit und Professor für Philosophie und Leadership an der Hochschule für Philosophie in München. Die Antwort seines Impulsreferats lautete klar: „nein“. Im Leben nehme jeder und jede ganz verschiedene Rollen ein: als Mutter, Ehefrau, Mitglied im Sportverein, Chefärztin. In jedem dieser Bereiche sei Rollensouveränität gefragt. Wer es gewohnt ist, im Beruf schnelle Entscheidungen zu treffen, werde dieses Verhalten kaum gegenüber seinen pubertierenden Söhnen durchsetzen können.
Die Frage sei vielmehr: Bin ich in der Lage, mit den unterschiedlichen Erwartungen und dem unterschiedlichen Verhalten innerhalb meiner jeweiligen Rollen umzugehen? Manche im Beruf ausgeübten Eigenschaften seien im Privatleben nicht gefragt. Andere wiederum, wie Kritikfähigkeit, seien durchaus auch privat von Vorteil.
Die Frage „wer bin ich?“ ist laut Bordt auch für Menschen in der Lebensmitte immer wieder entscheidend. Gemäß dem langjährigen Direktor der Unternehmensberatung McKinsey, Dominic Barton, sei diese Frage sogar der Kompass, mit dem wir Menschen den Stürmen der Globalisierung trotzen könnten. Sich über die eigene Person, die eigenen Fähigkeiten, aber auch Wertvorstellungen, klar zu werden sei in allen Lebensphasen entscheidend.
Neben den beiden wichtigsten Punkten wie genügend Schlaf und Sorge für die eigene Gesundheit zähle es daher zu den fünf höchsten Prioritäten der Jesuiten, sich täglich Auszeiten für sich alleine zu nehmen. Nur wer sich seiner selbst bewusst, ausgeschlafen und gesund sei könne in den anderen wichtigen Bereichen des Lebens funktionieren: in Beziehungen und bei der Arbeit. Beziehungen müssten außerdem stets Vorrang gegenüber der Arbeit haben, denn nur dort werde man als Mensch so angenommen, wie man ist und nicht ausschließlich über seine Leistung definiert.
Die Arzt-Patienten-Beziehung sei eine Möglichkeit, beide Lebensbereiche zu erleben, sagte Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), nach Bordts Rede. In einer Zeit, in der vielfach eine 24/7-Versorgung der Patienten verlangt werde, steige die Inanspruchnahme von Ärztinnen und Ärzten sehr und der ökonomische Druck nehme immer mehr zu. Daher gelte es, die Profession Arzt immer neu auszurichten.
Auch die bayerische Gesundheitsministerin Huml nahm in ihrer Eröffnungsrede Bezug auf Bordts Vortragsthema. Obwohl sie sehr gerne Ärztin sei, würde sie sich sehr ungern nur über ihren Beruf definieren. Ärztinnen und Ärzte dürften nicht überlastet werden. Die Ministerin stellte sich ausdrücklich hinter den aus einem ÄKBV-Projekt hervorgegangenen Verein PSU-Akut e.V. Unter Leitung von Dr. Andreas Schießl kümmert sich der Verein unter dem Motto „den Helfern helfen“ (s. u.a. MÄA 25/2018 und 05/2017) um kollegiale Unterstützung bei belastenden Ereignissen in der Akutmedizin.
In Bayern gebe es außerdem zwar viele Interessenten für den ärztlichen Beruf, aber zu wenig Studienplätze. Künftig sollten daher mehr als 350 Studienplätze jährlich neu entstehen. Besonders freute sich die Ministerin über die in Bayern beschlossene Einführung der Landarztquote: 5,8 Prozent aller Studienplätze sollen im Wintersemester 2020/2021 darüber vergeben werden– ohne Berücksichtigung der Abiturnote.
Für die Stadt München sprach Dr. Constanze Söllner-Schaar vom RGU, Ärztin und Stadträtin. Obwohl die Stadt rein rechnerisch mit Ärzten überversorgt sei, gebe es in einzelnen Stadtteilen Versorgungsprobleme durch eine ungleiche Verteilung von Ärzten. Die Stadt setze sich daher für mehr Ausgewogenheit ein. Söllner-Schaar warb auch für den öffentlichen Gesundheitsdienst mit seinen Aufgaben, der u.a. besonders schutzbedürftige Personen wie etwa Kinder mit seinen Schuleingangsuntersuchungen erreiche.
„Wir brauchen mehr Ärztinnen und Ärzte in der Versorgung!“, bestätigte Quitterer am nächsten Tag bei der Eröffnung des bayerischen Ärztetags. Er sei daher für die Einführung der Landarztquote gewesen und habe das Ministerium dabei unterstützt. Auch dass die Abiturnote dabei nicht berücksichtigt werde, finde er gut. Das bedeute nicht, dass ein Studienbewerber mit einer Abiturnote von 1,0 künftig keine Chance mehr habe. Es sorge aber dafür, dass auch talentierter Nachwuchs mit einer Note von 1,6 oder 1,7 den Arztberuf ergreifen könne.
In verschiedenen Vorträgen referierten zunächst Dr. Gerald Quitterer, Dr. Andreas Botzlar und Dr. Wolfgang Rechl, Präsident und Vizepräsidenten der BLÄK, über die Tätigkeiten der Kammer. Die Vorsitzenden der vier Ausschüsse „ambulant-stationäre Versorgung“, „angestellte Ärztinnen und Ärzte“, „Hochschulfragen“ und „niedergelassene Ärztinnen und Ärzte“ berichteten von ihren Workshops.
Anschließend wandte sich das Plenum den verschiedenen Anträgen der Delegierten zu. Für unterschiedliche Meinungen sorgte das „STERN-Manifest“. In seiner Titelgeschichte vom 05.09.2019 hatte das Magazin unter der Überschrift "Rettet die Medizin! Wie Verwaltungsirrsinn und Profitdenken unsere Krankenhäuser ruinieren", unterschrieben von 215 Ärzten, eine Umkehr in der Medizin gefordert – weg vom Profitdenken. Stattdessen müsse der Patient wieder in den Mittelpunkt der Behandlung rücken.
Diskussionen lösten insbesondere diese Sätze aus: „...Aber auch manche Ärztinnen und Ärzte selbst ordnen sich zu bereitwillig ökonomischen und hierarchischen Zwängen unter. Wir rufen diese auf, sich nicht länger erpressen oder korrumpieren zu lassen.“ Während Dr. Gerald Quitterer erklärte, dass die Ärzteschaft nicht unter einen solchen Generalverdacht gestellt werden dürfe, riefen unter anderem mehrere Münchner Delegierte dazu auf, sich hinter die Erklärung zu stellen. „Das Manifest ist die bislang von der Ärzteschaft breitest getragene Positionierung gegen Fehlanreize durch die Ökonomisierung in der Gesundheitspolitik“, hieß es im Antrag. Schließlich stimmte das Plenum dafür. Darin schreiben die Antragsteller unter anderem: „Das Diktat der Ökonomie hat zu einer Enthumanisierung der Medizin an unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen“. Schließlich fordere niemand von Polizei oder Feuerwehr die Erwirtschaftung von schwarzen Nullen oder Profiten. Warum also von Krankenhäusern?
Für die Einführung eines bayernweiten Systems zur psychosozialen Unterstützung in traumatisierenden Situationen sprachen sich die Delegierten ebenfalls aus. Gemeinsam mit dem Verein PSU-Akut (s. oben) soll ein solches Netzwerk helfen, die psychische Gesundheit von bayerischen Ärztinnen und Ärzten sicherzustellen. Denn das neue Genfer Gelöbnis sieht vor, dass diese auch ihrer eigenen Gesundheit verpflichtet sind. Zudem beschloss der Ärztetag, eine Kommission zur Ärztegesundheit bei der BLÄK einzurichten.
Schließlich setzten sich die Delegierten stark für den Klimaschutz ein. Sie bekannten sich zu den Zielen, die „196 Staaten am 12. Dezember 2015 in Paris in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag beschlossen haben und dem auch die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist.“ Ein „verantwortlicher Umgang mit der Umwelt ist originäre ärztliche Aufgabe, dient dem direkten Gesundheitsschutz und sichert eine gesunde Umwelt für unsere Nachfahren“. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, sprachen sich die Tagungsteilnehmer u.a. dafür aus, dass die Kammer selbst klimafreundlicher werden solle und Vorschläge und Hilfestellung zu einer klimaneutralen Arbeit des stationären und ambulanten Sektors erarbeiten solle. Um einen eigenen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten beschlossen die Delegierten eine Änderung der Reisekostenordnung. Künftig darf jeder Delegierte der BLÄK, unabhängig vom benutzten Verkehrsmittel, nur noch 0,40 statt 0,70 Euro pro Kilometer in Rechnung stellen.
Die Impfsituation in Bayern war Thema eines weiteren Antrags. Darin forderte das Plenum Politik, ärztliche Selbstverwaltung und Krankenkassen auf, die Rahmenbedingungen für eine jährliche, ausreichend honorierte ärztliche Beratung zum Impfstatus zu schaffen. Diese dürfe nicht direkt an eine Impfleistung gekoppelt sein. Außerdem forderten die Delegierten für die Impfpraxen einen kostenlosen elektronischen Impfpass mit einem individuellem Erinnerungssystem.
Gegen gesetzliche Grundlagen für Krankenkassen, Gesundheits-Apps zu verordnen, sprach sich das Gremium beim Thema e-Health aus. Ohne dass ärztlicher Sachverstand dabei eingesetzt werde, dürften keine Versichertengelder dafür verwendet werden. Um erwachsene und kindliche Notfallpatienten u.a. mit Myokardinfarkt, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Polytrauma oder Sepsis täglich rund um die Uhr leitliniengerecht versorgen zu können, forderten die Anwesenden in einem weiteren Beschluss verbindliche Vorgaben zur Strukturqualität in bayerischen Krankenhäusern. Die Kosten für das nötige Personal und Material müssten unabhängig von anderen Entgeltsystemen erstattet werden.
Da die Zahl der Drogentoten in Bayern weiter steigt, setzte sich der bayerische Ärztetag zudem für die Schaffung von Drogenschutzräumen ein. Mit sogenannten „Fixerstuben“ hätten andere Länder die Zahl der Drogentoten stark reduzieren können. Drogenabhängige seien Kranke und dürften nicht stigmatisiert werden.
Weitere Themen waren u.a. der ärztliche Bereitschaftsdienst, die Schaffung zusätzlicher Studienplätze und Regelungen zur Facharzt-Weiterbildung.