Kryokonservierung von Eizellen: Mehr als "Social Freezing"
Foto: Shutterstock
Wann ist für Frauen die optimale Zeit, um schwanger zu werden und warum?
Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden und zu bleiben, also keine Fehlgeburt zu erleiden, ist grundsätzlich besser je jünger die Frauen sind. Auch die Wahrscheinlichkeit, ein chromosomal unauffälliges Kind zu bekommen, ist dann am höchsten. Gesunde Frauen mit Anfang 20 mit gesunden Männern haben pro Monatszyklus eine Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von etwa 25 Prozent, bei gleichzeitig geringem Risiko für eine Fehlgeburt oder eine Trisomie 21. Rein biologisch gesehen wäre Anfang 20 also eine optimale Zeit für eine Schwangerschaft.
Wie kommt das?
Studien mit ovulierten Eizellen von Frauen unterschiedlichen Alters zeigen, dass das Risiko in den frühen 20ern für eine Eizelle mit chromosomalen Fehlverteilungen am geringsten ist. Dennoch weisen auch junge Frauen schon verblüffend hohe Raten an Fehlverteilungen von etwa 1:10 auf. Zehn Prozent ihrer Eizellen sind also aneuploide. Mit 30 sind die meisten Frauen zwar immer noch jung und gesund, aber bereits in diesem Alter steigt die Rate der chromosomalen Fehlverteilungen: Sie liegt dann schon bei etwa 20 Prozent! Gleichzeitig sinkt die Schwangerschaftsrate langsam ab, und das Risiko für Fehlgeburten steigt, obwohl diese Frauen völlig gesund sind und keinerlei Probleme mit dem Eisprung, den Eileitern oder Hormonen haben.
In unserer Gesellschaft ist Anfang 20 für junge Frauen aber nicht gerade der optimale Zeitpunkt, um schwanger zu werden. Man muss nur junge Ärztinnen betrachten, die ja eine sehr lange Ausbildung durchlaufen...
Das ist genau das Problem: Wir haben biologische und soziologische Realitäten, die sozusagen diametral entgegengesetzt sind. Wenn ich diese Thematik mit jungen Medizinstudentinnen bespreche, haben alle noch ihr Staatsexamen und eine fünf- oder sechsjährige Facharztausbildung vor sich. Danach wollen sie womöglich noch eine Praxis gründen, sind auf Partnersuche oder haben einen Partner, der sich auch erst qualifizieren muss. Hinzu kommt der wirtschaftliche Aspekt: Junge Familien brauchen eine genügend große Wohnung, in der man Kinder großziehen kann. Das ist in München ja nicht ganz einfach. Dieser Lebensabschnitt ist meiner Meinung nach gut mit dem Begriff der „Rush Hour des Lebens“ beschrieben.
Welche Auswirkungen hat diese „Rush Hour des Lebens“?
Paare neigen dazu, den Zeitpunkt fürs Kinderkriegen immer weiter nach hinten zu verschieben. Das ist heutzutage mit nahezu perfekten Kontrazeptionsmethoden ja auch ziemlich einfach. Wir Ärztinnen und Ärzte steuern das Thema Familienplanung mit. Daher sollten wir daran denken: Selbst, wenn man die Pille schließlich absetzt oder die Spirale zieht, liegen die monatlichen Schwangerschaftsraten bei einer Frau mit Mitte 30 nur noch bei knapp 15 Prozent. Allein durch das Älterwerden hat sich die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit gegenüber Anfang 20 fast halbiert. Das übersehen auch wir Ärztinnen und Ärzte häufig. Mit Anfang 40 liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft dann nur noch im ziemlich kleinen einstelligen Prozentbereich und das Risiko einer Fehlgeburt bereits bei ca. 50 Prozent, selbst wenn die Frauen gesund und fit sind.
Inwiefern steigen die Chancen durch eine künstliche Befruchtung?
Die klassischen Möglichkeiten einer assistierten Fortpflanzung durch Inseminationen, die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) oder die In-vitro-Fertilisation sind vor allem im Rahmen von konkreten pathologischen Problemen sinnvoll – also wenn die Eileiter verschlossen sind oder der Mann keine ausreichend befruchtungsfähigen Spermien hat. Das hat zunächst nichts mit dem Altern der Frau zu tun, wobei auch die Erfolgschancen der Kinderwunschbehandlung deutlich altersabhängig sind. Mit Anfang / Mitte 20 hat die assistierte Reproduktion, also IVF/ICSI eine Schwangerschaftswahrscheinlichkeit von etwa 40 bis 45 Prozent pro Behandlungszyklus – ist also fast doppelt so hoch wie beim „romantischen Verfahren“. Das liegt vor allem daran, dass meist mehrere Eizellen pro Zyklus genutzt werden können. Bis Mitte 30 bleiben die Schwangerschaftsraten von IVF/ ICSI ziemlich konstant auf diesem hohen Niveau. Den absinkenden Effekt der einzelnen Eizelle können wir ausgleichen, indem wir eine größere Zahl entwicklungsfähiger Eizellen heranreifen und nutzen. Ab Mitte 30 wird der Alterseffekt auf die Schwangerschaftsraten dann aber auch bei Nutzung von IVF und ISCI spürbar. Das liegt daran, dass auch die Zahl der heranreifenden Eizellen abnimmt und zusätzlich die zunehmenden chromosomalen Verteilungsprobleme spürbar werden. Bei einer 40-Jährigen liegen die Schwangerschaftsraten auch mit der ICSI-Methode nur bei 20 oder 25 Prozent. Das ist im Vergleich zum Spontanzyklus zwar immer noch ganz ok, aber schon deutlich geringer als in jungen Jahren. Auch die Fehlgeburtsraten gehen dann hoch. Mit 43 oder 44 ist auch mit der assistierten Reproduktion eine maximale Schwangerschaftsrate von 10 Prozent erreichbar.
Wann raten Sie zur assistierten Reproduktion?
Ihre eigentliche Domäne ist, wenn Frauen aus medizinischen Gründen nicht schwanger werden können. Lange Zeit konnten wir nur befruchtete Eizellen einfrieren, sodass wir früher jungen onkologischen Patientinnen ohne Partner nur sehr eingeschränkt helfen konnten. Heute können wir Eizellen mit einer sehr hohen Sicherheit so schockgefrieren, dass diese dadurch und während der Gefrierlagerung praktisch keine Schäden oder Alterungseffekte haben. Die Schwangerschafts- und Fehlgeburtsraten sowie die Trisomie-Risiken sind also auch nach zehn oder 15 Jahren noch die Gleichen wie beim Einfrieren, also etwa mit 20 Jahren. Das Einfrieren von Eizellen ist also grundsätzlich umso sinnvoller, je jünger eine Frau ist.
Ist das Einfrieren eine Alternative für junge Ärztinnen und Ärzte, die sich mit um die 30 noch in der Ausbildung befinden?
Die Frage berührt mehrere Aspekte: Einige Frauen haben ein höheres Risiko, dass das Fortschreiten ihres ovariellen Alterns bzw. die Reduktion ihrer ovariellen Reserve relativ früh eintreten. Alle eben genannten Zahlen sind nur Durchschnittswerte. Diese Effekte haben aber eine sehr breite Streuung. Durchschnittlich liegt die Menopause bei 51 Jahren. Ein Prozent aller Frauen haben sie erst mit 60, ein Prozent aber bereits mit 40 oder früher. Rund fünf Prozent haben die Menopause mit 45 oder früher. Für die individuelle Frau muss man davon ausgehen, dass etwa zehn Jahre vor der Menopause die Chance einer spontanen Schwangerschaft schon gegen null geht. Wir können das Risiko einer früh- bzw. vorzeitigen Menopause heute durch hormonelle und genetische Untersuchungen konkreter eingrenzen. Mit diesen Zusatzinformationen können wir Betroffene dann rechtzeitig zu ihrer Familienplanung beraten. Eine Option ist hier sicherlich auch das Einfrieren von Eizellen.
Wie kann eine Frau erkennen, zu welcher Gruppe sie gehört?
Familiäre Aspekte spielen hier eine Rolle: Wenn eine Frau erfährt, dass die Tante die Menopause mit 43 und die Mutter sie mit 44 hatte, sollte sie aktiv werden. Auch einzelne chronische Erkrankungen können das Menopausealter beeinflussen. Frauen mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa oder mit Eisenspeichererkrankungen zum Beispiel kommen durchschnittlich früher in die Wechseljahre. Mittlerweile gibt es außerdem Verfahren, die individuelle ovarielle Reserve zu bestimmen: Junge Frauen mit vergleichsweise niedrigen Anti-Müller-Hormon(AMH)- Werten in jungen Jahren haben eine höhere Wahrscheinlichkeit einer frühzeitigen Menopause. Auch Gentests helfen, das Risiko zu spezifizieren. Und Gynäkologen können teilweise schon am Ultraschall erkennen, ob die Eierstocksreserve für das Alter zu gering ist, was auf ein erhöhtes Risiko für eine frühzeitige Menopause hinweisen kann. Neulich hatte ich eine junge Frau mit 23 Jahren in der Ambulanz. Ihrer Frauenärztin war aufgefallen, dass man bei ihr auf jeder Seite nur zwei bis drei Follikel sehen konnte. Das Anti-Müller-Hormon ergab mit 0,4ng/ml und die Kontrolle mit 0,2ng/ml sehr geringe Werte. Die niedergelassene Kollegin hat hier sehr gut reagiert und die junge Patientin zur weiteren Abklärung und Beratung an unser Zentrum überwiesen.
Würden Sie die Kryokonservierung aus diesen Gründen noch als Social Freezing bezeichnen?
Nein, denn unter „Social Freezing“ bezeichnet man eine Kryokonservierung aus „nicht-medizinischen“ Gründen. Eine sehr harte medizinische Indikation hingegen ist die Kryokonservierung vor einer geplanten Chemotherapie: Denn durch eine Chemotherapie reduziert sich die ovarielle Reserve bei den meisten Frauen ganz dramatisch. Dann ist es die medizinische Pflicht eines Arztes, diese Frauen über die Möglichkeiten einer kurzfristigen Kryokonservierung aufzuklären. Laut dem TSVG von Jens Spahn soll die Gesetzliche Krankenversicherung künftig die Kosten dafür übernehmen. Das ist bei Frauen mit einer genetisch oder krankheitsbedingten frühen Menopause leider noch nicht der Fall. Trotzdem sollten betroffene Frauen bei einer solchen Mischindikation dringend darüber informiert werden.
Wie hoch liegen die Kosten für eine Kryokonservierung in etwa?
Ein Behandlungszyklus kostet mit Medikamenten und Einfrieren zwischen 1.500 und 2.500 Euro. Je nach Alter sind zwei Behandlungszyklen oder mehr nötig. Das ist natürlich viel Geld. Die Alternative dazu wäre eine frühe Schwangerschaft: Bei der eben genannten 23-Jährigen hatten wir ein langes Gespräch, an deren Ende sie gemeinsam mit ihrem festen Freund beschloss, früh schwanger zu werden.
Was möchten Sie Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg geben?
Der Zeitpunkt von Schwangerschaften und die Zahl der Kinder ist heute nicht mehr, wie früher, reines Schicksal. Die sehr sicheren und leicht zugänglichen Möglichkeiten der Kontrazeption haben den Begriff Familienplanung erst mit Substanz erfüllt. Mit der assistierten Fortpflanzung und vor allem den modernen kryobiologischen Optionen lässt sich die reproduktive Phase von Frauen erweitern. Vor allem haben wir jetzt erstmals auch eine präventivmedizinische Dimension in der Fortpflanzungsmedizin erhalten, und diese finde ich persönlich besonders wichtig. Viel zu lange musste ich das Schicksaal von Frauen erleben, die nach einer Chemotherapie oder einer vorzeitigen Menopause keine Kinder mehr bekommen konnten und denen allenfalls die Möglichkeit einer Eizellspende im Ausland blieb. Heute geht es darum, betroffene Patientinnen rechtzeitig zu erkennen und zu beraten. Und dann zählt es zur medizinischen Sorgfaltspflicht, diese Frauen auch auf die Möglichkeit der Kryokonservierung von Eizellen hinzuweisen.