Physician Assistants: Unterstützung für Ärzte
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Milan Matko-Wehner ist zufrieden mit seiner Arbeit. Seit 2010 ist der gelernte Fachkrankenpfleger für Anästhesie in München als Physician Assistant tätig. Er war einer der ersten Absolventen in diesem Fach an der Steinbeis Hochschule in Berlin. Sechs Semester hat der gebürtige Slowene dort studiert. Währenddessen und danach arbeitete er weiter bei seinem damaligen Arbeitgeber, der Münchner Sana Klinik. Seit zwei Jahren ist Matko-Wehner einer der beiden Physician Assistants im muskuloskelettalen Zentrum am Chirurgischen Klinikum München Süd.
Durch den neuen Job als PA haben sich für ihn viele Türen geöffnet: „Ich darf sehr vieles von dem machen, was auch ein Assistenzarzt macht“, sagt Matko-Wehner. Ausgenommen sind nicht delegierbare ärztliche Tätigkeiten wie z.B. Bluttransfusionen oder die Indikation für Röntgenuntersuchungen. Ansonsten ist er voll in das ärztliche Team integriert: Zwei bis drei Tage pro Woche arbeitet er im OP, lagert die Patienten, assistiert während der OP und hilft beim Wundverschluss. Die restliche Zeit der Woche geht er auf Visite, wechselt Verbände, erledigt Dokumentation und Computerarbeit, täglich von 7 bis 16 Uhr. „Das ist natürlich viel Verantwortung und man muss viel lernen – aber wenn man etwas gerne tut, lernt man alles“, sagt er.
Dr. Martin Lucke, einer seiner Chefs, ist froh, dass er ihn hat:
„Engagierte PAs wie Milan arbeiten einfach super. Wenn Sie als Schulabgänger sechs Jahre Medizin studieren, haben sie danach zwar ein Staatsexamen und wissen sehr viel, können aber noch wenig. Ein PA wie Milan hingegen hat eine sehr breite, profunde Ausbildung und kann mittlerweile unheimlich viel“. Natürlich sei Matko-Wehner kein Arzt. Aber wenn er mit ihm zusammen operiere, wisse er einfach, dass er sich voll auf ihn verlassen kann. „Er lagert den Patienten richtig, kennt die Operationsschritte genau und ist eine hervorragende Assistenz“. Da Matko-Wehner nicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst in der Klinik teilnimmt, steht er zudem jeden Tag zur Verfügung – im Gegensatz zu den Assistenzärzten, die Dienste machen.
Immer mehr Physician Assistants arbeiten in bayerischen Krankenhäusern. Sie füllen die Lücke, die der Ärztemangel an vielen Orten reißt. Die Nachfrage nach ihnen ist riesig, weiß Prof. Dr. Dr. med. habil. Hans-Joachim Günther. Der Allgemein- und Gefäßchirurg ist Studiendekan Physician Assistance an der Münchner Carl Remigius Medical School. Die private Schule ist eine von immer mehr öffentlichen und privaten Hochschulen mit diesem Studiengang deutschlandweit. Seit 2015 können Studenten in einem sechs- bzw. achtsemestrigen Studium den „Bachelor of Science“ in Physician Assistance erwerben. In diesem Sommer werden die ersten zwölf Studenten fertig – und alle sind bereits fest an Krankenhäuser vergeben.
"Die Not ist immens – besonders auf dem Land“, sagt Günther. Als Beispiel nennt er eine niederbayerische Klinik der Schwerpunktversorgung mit 700 Betten, die er besucht hat, um mit ihr ein Konzept für die Zukunft zu erarbeiten. Ein Sechstel aller notwendigen Stellen dort war nicht besetzt – und das, obwohl die Klinik mit 26 Prozent mehr als doppelt so viele ausländische Ärztinnen und Ärzte beschäftigt wie alle Kliniken im Bundesdurchschnitt. Es wird noch viel schlimmer werden, sagt Günther, und verweist auf eine Studie von Burkhart und Oswald aus dem Jahr 2012: Demnach werden im Jahr 2030 bundesweit rund 100.000 Ärzte in Kliniken und Praxen fehlen – rund ein Drittel aller notwendigen Arztstellen.
Dagegen helfen könnte ein guter Skill-Mix aus Ärzten, Pflegekräften und Physician Assistants, meint Günther. Letztere brächten „profundes Basiswissen“ und „profunde Basisfähigkeiten“ mit – dank einer Hochschulausbildung, die quasi ein „vom Ballast befreites Medizinstudium“ zum Inhalt hat. An der Carl Remigius Medical School, die auch Niederlassungen in Frankfurt und Hamburg betreibt, absolvieren Angehörige von Gesundheitsberufen mit Berechtigung zum Hochschulstudium wie Milan Matko-Wehner dafür ein sechssemestriges berufsbegleitendes Studium. Hinterher, so Günther, sind sie gewappnet für ihre Tätigkeit im ärztlichen Dienst als „Arztassistent“, so die kaum verwendete deutsche Bezeichnung. Für den Studiengang bewerben können sich z.B. Pflegekräfte, Medizinische Fachangestellte, Sanitäter, operationstechnische Assistenten, Medizinische Fachangestellte sowie Angehörige von Therapie- oder medizinisch-technischen Gesundheitsfachberufen wie Physio- und Ergotherapeuten.
An einem Präsenztag pro Woche über zwölf Wochen pro Semester hinweg pauken sie in München Grundlagen wie Anatomie, Biologie, Chemie, Physiologie etc. und vertiefen ihr Wissen in klinischen Fächern wie Innere Medizin, Neurologie, Onkologie, Psychiatrie, Pädiatrie oder Dermatologie. Hinzu kommen operative Fächer wie Chirurgie, Orthopädie, Gynäkologie, Urologie und HNO. Auch Notfallmedizin, Arbeits- und Sozialmedizin, Prävention und Rehabilitation sowie medizinische Terminologie, Anamneseerhebung etc. stehen auf dem Stundenplan.
Ganz wichtig ist Günther der Erwerb von Kompetenzen wie Grundlagen wissenschaftliche Arbeit, medizinische Statistik, Gesprächsführung, Berufsethik und vor allem Dokumentation: „Die Kliniken legen sehr viel Wert darauf, dass unsere Studienabgänger codieren können, und das können sie richtig gut“. PAs können und sollen aber nicht nur den Bürokram erledigen – Ziel ist, dass sie Ärzte überall in ihrem Alltag unterstützen: „PAs gehören immer zum ärztlichen Team“, betont Günther. „Sie sind keine besseren Pflegekräfte und auch nicht irgendetwas zwischen Arzt und Pflege“.
Für Interessierte, die vorher keinen Gesundheitsberuf gelernt haben, gibt es an der Carl Remigius Medical School zusätzlich einen achtsemestrigen primärqualifizierenden Studiengang. Abiturienten und andere Zugangsberechtigte ohne Vorkenntnisse lernen ihren Beruf dabei an drei Vorlesungstagen pro Woche und in vielen Praktika. „Von denen, die 2018 angefangen haben, haben 40 Prozent zudem bereits Werkstudentenverträge mit Kliniken – arbeiten dort also von Anfang an mit“ – wie bei einem dualen Studium. Haben sie ihr Studium nach vier Jahren und vielen Zwischenprüfungen mit einer Bachelorarbeit abgeschlossen, besitzen auch sie den international und staatlich anerkannten Abschluss als Physician Assistant (B.Sc.). Und auch diese Absolventen werden Günther aus den Händen gerissen.
Rein rechtlich dürfen PAs fast alles tun, was auch ein Assistenzarzt darf, erklärt der Studiendekan: „Wir haben in Deutschland den Facharztstandard. Das heißt: Wenn kein Facharzt da ist, darf alles nur delegiert werden. Das gilt auch für Assistenzärzte“. Nur wenige Tätigkeiten sind laut Gesetz ausschließlich Ärzten vorbehalten. Dazu zählen unter anderem die Kernleistungen bei Operationen, die Durchführung von Blutspenden, die Entnahme von Organen, Schwangerschaftsabbrüche, die Anordnung von Röntgenstrahlung sowie die Verordnung bestimmter Medikamente und Medizinprodukte. Völlig unproblematisch hingegen ist laut Günther die Delegation von OP-Vorbereitung und Assistenz bei OPs, Anamnese und körperlichen Untersuchungen, Verlegungen und Überweisungen, Beratung von Patienten, Administration, Dokumentation und Schnittstellenkommunikation. „Die letzte Verantwortung bei all diesen Tätigkeiten hat allerdings immer der Facharzt“, betont Günther. Daher müsse man sich als solcher auch vergewissern, dass der PA kann, was man ihm aufträgt.
Günther verweist auf die vielen PAs, die bereits seit den 1960er Jahren erfolgreich in den USA und später auch in Kanada, den Niederlanden und Großbritannien eingesetzt werden. Ohne PAs, sagt Günther, wird die medizinische Versorgung auch in Deutschland bald nicht mehr zu stemmen sein. Denn obwohl er gleichzeitig die Forderung nach mehr Medizinstudienplätzen unterstütze – das alleine könne das Problem nicht lösen. „Wenn man sieht, wie lange es gedauert hat, bis die Universität Augsburg Mediziner ausbilden konnte, und wenn man dann noch berücksichtigt, dass es sechs Jahre dauert bis die ersten Absolventen fertig sind... Bis dahin ist das Kind schon in den Brunnen gefallen“, sagt Günther.
Im internationalen Vergleich gebe es zudem Hinweise, dass Krankenhäuser, die standardmäßig mit PAs arbeiten, effektiver sein könnten als Kliniken ohne PAs. Günther verweist dazu auf die Erfahrungen von Prof. Michael A. Borger, Ordinarius für Herzchirurgie an der Universität Leipzig, der die Menge an Herzoperationen seiner zweier kardiologischer Abteilungen in den USA und in Deutschland gegenüberstellte: Ein amerikanisches Chirurgenteam der Columbia University bewältigte im Jahr 2014 mit nur 12 Assistenzärzten, aber 30 PAs und „Nurse Practitioners“, insgesamt 2.200 Herzoperationen – also ca. 183 OPs pro Assistenzarzt. Im Vergleich dazu brachte es sein deutsches Team ohne PAs, aber mit 52 Assistenzärzten, auf weniger als die Hälfte, durchschnittlich 73 OPs pro Assistenzarzt (insgesamt 3.800 Herzoperationen).
Auch bei den Gehältern profitieren Kliniken vom Einsatz der neuen Berufsgruppe, sagt der Gefäßchirurg.Schließlich seien PAs wesentlich günstiger als Ärzte. Laut einer Analyse des Deutschen Krankenhausinstituts liegen Einkommen von PAs derzeit zwischen 3.300 und 4.200 Euro brutto pro Monat, während ein Assistenzarztgehalt tariflich meist darüber liegt.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings – die Nachfrage nach PAs ist derzeit weit größer als das Angebot – der Arbeitsmarkt ist weitgehend leergefegt. Denn zunehmend interessieren sich auch Labore und die Pharmaindustrie für die neue Berufsgruppe. Medizinische Versorgungszentren und Praxen erkundigten sich ebenfalls immer häufiger nach Studenten für Schnupperpraktika. Noch seien PAs im niedergelassenen Bereich allerdings unterrepräsentiert, weil deren Vergütung, im Unterschied zur Vergütung von Medizinischen Fachangestellten, von den Kassenärztlichen Vereinigungen noch nicht genau festgelegt sei.
Auf die neue Berufsgruppe setzt seit 2016 auch Prof. Dr. Stefan Breitenstein, Chefarzt der Klinik für Viszeral- und Thoraxchirurgie am Kantonsspital Winterthur in der Schweiz. Heute zählen sechzehn der insgesamt neunzehn in Winterthur angestellten PAs zu seinem Team. Mit ihnen wolle er vor allem die Attraktivität der ärztlichen Arbeitsplätze in seiner Klinik erhalten, sagt Breitenstein. Denn eine 50-Stunden-Woche, wie sie in der Schweiz für Ärzte im Krankenhaus vorgesehen ist, ließe sich ohne PAs kaum aufrecht erhalten. Außerdem müssten die vorhandenen Assistenzärzte genügend Gelegenheit haben, zu operieren, damit sie hinterher chirurgisch möglichst gut ausgebildet sind. Schließlich ließe sich die Zahl der Operationen nicht beliebig steigern.
Das Konzept ist für ihn aufgegangen: „Der Strategiewechsel hat sich für uns gelohnt. Es hat sich herumgesprochen, dass wir hier ein innovatives Umfeld haben. Bewerbungen für alle Stellen muss ich heute teil- weise ungelesen zurückschicken“, sagt Breitenstein.