Leitartikel

Immuntherapie gegen Krebs

Krebs bedeutet schon lange kein sofortiges Todesurteil mehr. Im Gegenteil: Immer mehr neue Therapieoptionen stehen zur Verfügung. Im Nachgang zum Weltkrebstag am 4. Februar erläuterte Prof. Dr. Angela Krackhardt vom Klinikum rechts der Isar im Interview Chancen und Risiken dieser Therapien
Immuntherapie gegen Krebs
Immuntherapie gegen Krebs: Kampf mit den eigenen Waffen

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Was versteht man aktuell unter Immuntherapie?

Immuntherapie ist ein Sammelbegriff für Therapien, die immunologische Mechanismen nutzen, um Krebs zu behandeln. In den letzten sechs bis acht Jahren gab es einen Durchbruch auf verschiedenen Ebenen: Man versucht, das Immunsystem der Patienten z.B. durch Antikörper zu aktivieren, etwa durch sogenannte Immun-Checkpoint-Inhibitoren – Medikamente, die blockierende Signale von Tumoren wiederum blockieren können

Denn Tumoren exprimieren häufig Liganden, wie beispielsweise den PD-L1-Liganden, der die T-Zellen lahmlegt, die den Tumor sonst zerstören würden. PD steht für “Programmed Death“, also für den programmierten Zelltod. Mit einer doppelten Blockierung können wir Immunzellen dazu bringen, den Tumor trotzdem anzugreifen.

Bei welchen Erkrankungen funktioniert dieser Mechanismus?

Bei einigen Tumorerkrankungen funktioniert er sehr effektiv, etwa beim Merkelzellkarzinom oder beim Hodgkin-Lymphom. Beim Hodgkin-Lymphom werden diese Medikamente derzeit aber erst am hinteren Ende der Therapielinien genutzt, weil es dafür schon gute Standardtherapien mit hohen Ansprechraten von bis zu über 90 Prozent gibt. Beim metastasierten Merkelzellkarzinom hingegen hatte man früher nur sehr wenige Therapiemöglichkeiten. Mit den Immun-Checkpoint-Inhibitoren gibt es jetzt neue Medikamente mit hohen Ansprechraten, die auch Langzeitwirkung gezeigt haben. Andere Tumorformen sprechen auch gut an, wenn auch mit niedrigeren Ansprechraten. Dazu zählt beispielsweise das Melanom, das bei der Monotherapie eine Ansprechrate von 40 Prozent und in der Kombinationstherapie mit einem anderen Immun-Checkpoint-Inhibitor, dem Anti-CTLA-4-Antiköprer Ipilimumab, von 60 Prozent hat.

Welche weiteren Tumoren werden damit behandelt?

Eine Reihe von soliden Tumoren hat Ansprechraten zwischen 20 und 30 Prozent, z.B. das Lungenkarzinom und andere Tumorformen, bei denen die Chemotherapie häufig nur eine begrenzte Wirksamkeit hat. Beim Lungenkarzinom werden die Immun-Checkpoint-Inhibitoren auch schon in Kombination mit Chemotherapien angewendet. Insbesondere beim Melanom und Merkelzellkarzinom, aber auch beim Lungenkarzinom, haben die Immun-Check-point-Inhibitoren zu einer deutlichen Verbesserung der Prognose geführt. Dort kann man inzwischen wirklich von einem Paradigmenwechsel sprechen. Für Blasen- und Nierenzellkarzinome sowie für Kopf-Hals-Tumoren gibt es ebenfalls eine Zulassung.

Ermutigende Daten gibt es auch schon zum Leberzellkarzinom, Mam-makarzinom und Ovarialkarzinom, wobei die Ansprechraten bei diesen Erkrankungen bislang insgesamt nicht so hoch liegen.

Gibt es auch Nebenwirkungen?

Die gibt es. Bei der Monotherapie mit PD-1- oder PD-L1-Antikörpern sind diese meist gering ausgeprägt und nur bei weniger als fünf Prozent der Patienten schwerer ausgeprägt. Sie können in seltenen Fällen aber lebensbedrohliche Folgen haben - wie eine akute Leber- oder Darmentzündung, auf die man schnell reagieren muss. Sehr selten gibt es auch lang anhaltende Nebenwirkungen, die z.B. das Nervensystem betreffen können. Da sich Nerven nur schlecht erholen, kann es bei einer Neuritis zu einem chronischen Nervenschaden oder zu Muskellähmungen kommen. Wenn die Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse angegriffen werden, kann in seltenen Fällen ein Diabetes entstehen. Solche Nebenwirkungen können die Lebensqualität der Patienten schon stark einschränken. Daher muss dies vorher mit den Patienten besprochen werden.

Warum kommt es zu diesen Nebenwirkungen?

Die Immunzelle hat in der Embryonalentwicklung gelernt, fremd von eigen zu unterscheiden. Die normale Zelle zeigt an der Oberfläche nur normale unveränderte Peptide, auf die die Immunzelle in der Regel nicht reagiert. Bei einer Tumorzelle hingegen werden beispielsweise Mutationen als Fremdantigene an der Oberfläche präsentiert. Die Immunzellen erkennen sie in der Regel und zerstören dann die Tumorzelle. Diesen Mechanismus, der bei einer fortgeschrittenen Krebserkrankung häufig schlecht oder nicht mehr funktioniert, versuchen wir mit Medikamenten zu fördern. Wenn man das Immunsystem aber zu stark ankurbelt, kommt das Gleichgewicht der Unterscheidung zwischen fremd und eigen aus dem Lot, sodass die Immunzellen auch gesunde Zellen angreifen.

Wie spezifisch sind die Medikamente?

Sie sind derzeit nur wenig spezifisch und funktionieren eher als Hilfe zur Selbsthilfe für das Immunsystem. Die Medikamente unterbinden nur den Blockierungsmechanismus der Tumorzellen, z.B. die PD-L1-Expression. Dadurch wird die Ermüdung und Erschöpfung der Immunzellen verhindert. Wir gehen ja davon aus, dass wir alle im Laufe unseres Lebens Krebszellen entwickeln, dass diese aber meistens frühzeitig durch unser Immunsystem abgefangen werden, sodass es nicht zu einer Krebserkrankung kommt.

Gibt es noch andere Formen der Immuntherapie?

Eine zweite wichtige Strategie, die jetzt mehr und mehr in die Klinik kommt, ist die zelluläre Therapie. Traditionell gibt es ja schon lange die allogene Stammzelltransplantation insbesondere bei Leukämien. Diese hat zwei effektive Wirkmechanismen: Zum Einen zerstört man mit einer sehr starken Chemotherapie die Leukämiezellen, zum Anderen überträgt man zusammen mit den Stammzellen auch Immunzellen, die dann einen Graft-versus-Leukemia-Effect auslösen können, d.h. die vom Spender transplantierten T-Zellen können die fremden Leukämiezellen erkennen und abstoßen. Neuerdings versucht man, dem Patienten genetisch modifizierte Zellen zu übertragen, die die Tumorzellen spezifischer angreifen können, so dass man in Zukunft möglicherweise irgendwann auf die allogene Stammzelltransplantation, die häufig lang anhaltende und auch lebensbedrohliche Nebenwirkungen hat, verzichten kann.

Wie kann das funktionieren?

Dabei werden entweder die eigenen T-Zellen oder die eines Spenders mit einem sogenannten Chimären Antigen-Rezeptor (CAR) im Labor genetisch modifiziert: CARs sind auf Oberflächenantigene gerichtet – funktionieren in der Erkennung also wie Antikörper. Durch eine Verankerung und Verbindung mit Signal-Proteinen der T-Zelle, die in der Aktivierung dieser essentiell sind, kommt es zur Stimulation der T-Zellen und entsprechend gerichteter Tumorreaktivität. Beispiele sind die CD19- CARs. Sie werden bei Leukämien und Lymphomen insbesondere bei solchen Patienten angewendet, die nach einem Rezidiv keine Therapieoption mehr haben.

Wie spezifisch ist dabei die Behandlung?

Sie ist sehr spezifisch. Nebenwirkungen gibt es aber trotzdem. Akute Nebenwirkungen kommen zum Teil durch eine Überstimulation des Immunsystems zustande. Beispielsweise das „Zytokinsturm-Syndrom“: Bei der Rückgabe der Immunzellen an den Patienten werden viele Zytokine freigesetzt. Das kann zu einem sehr akuten, lebensbedrohlichen Zustand mit Blutdruckabfall führen, ähnlich wie bei einem anaphylaktischen Schock. Patienten, die diese Nebenwirkungen entwickeln, müssen zum Teil auf Intensivstationen behandelt werden. In der Regel sind die Symptome jedoch gut zu beherrschen und klingen schnell wieder ab, ohne dass etwas zurückbleibt. Zudem kann es auch akute neurologische Nebenwirkungen geben, die durch Wesens- und Verhaltensänderungen auffallen, auf die man schnell reagieren muss. Auch können eine B-Zell-Aplasie und ein Antikörpermangel aufreten, die zu einer erheblichen Gefährdung durch Infektionen führen können. Die Patienten müssen daher durch Antikörper substituiert werden.

Wie oft werden CAR-Medikamente derzeit eingesetzt?

Derzeit sind zwei Produkte von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA genehmigt worden, aber sie sind wegen der enormen Herstellungskosten unglaublich teuer. Daher muss jedes Mal vorher mit der Krankenkasse verhandelt werden. Das ist sehr schade, denn mit diesen Medikamenten könnten Leukämie- und auch Lymphom-Patienten, die vorher kaum Heilungschancen hatten, längerfristig überleben und zum Teil sogar in komplette Remissionen kommen. Man versucht, CARs jetzt auch für andere maligne Erkrankungen zu entwickeln, z.B für das multiple Myelom, aber auch für solide Tumoren.

Außerdem gibt es eine dritte Gruppe, die Immunimpfung...

Diese Option ist im Moment noch nicht zugelassen, aber es gibt viele interessante Studien dazu. Im letzten Jahr wurden zwei in der Zeitschrift „Nature“ publiziert – von einer Gruppe aus Mainz und einer aus Boston. Auch hier sind Neoantigene, also mutierte Peptide, wieder die Zielstrukturen. Man kann entweder einen RNA- oder DNA-Impfstoff herstellen, bei dem die genetischen Informationen über Nukleinsäuren aus den Tumorzellen von antigenpräsentierenden Zellen, z.B. dendritischen Zellen, aufgenommen und an der Oberfläche präsentiert werden und so das Immunsystem stimulieren. Eine andere Möglichkeit ist eine Peptid-Impfung, bei der man Peptide chemisch herstellt und dann zur Impfung verwendet. Beides scheint zu funktionieren. Dafür muss man den Tumor des Patienten sequenzieren, also die Mutation feststellen. Dadurch sind diese Medikamente sehr spezifisch und personalisiert auf die Patienten zugeschnitten.

Ist eine Impfung eher prophylaktisch oder therapeutisch?

Es gibt beides. Häufig beginnt man zunächst mit einer therapeutischen Impfung. Aktuell bieten wir eine Studie an, bei der Patienten, die einen Immun-Checkpoint-Inhibitor bekommen, zusätzlich noch einen Impfstoff erhalten. Man kann sich aber auch eine adjuvante Impfung vorstellen. Das ist in meinen Augen eine sehr zukunftsträchtige Anwendung. Dabei könnten wir Patienten nach einer operativen Entfernung des Tumors direkt mit einem aus diesem Tumor entwickelten Impfstoff behandeln, um zu verhindern, dass der Tumor wiederkommt.

Gibt es auch Nebenwirkungen der Impfung?

Es gibt sie, aber wir befinden uns bei den Studien erst in frühen Phasen, sodass wir dazu noch nicht viel sagen können. Die Impfstoffe werden natürlich so gestaltet, dass deren Peptide sehr spezifisch sind, damit sie möglichst wenig Nebenwirkungen auslösen. Aktuell fangen wir mit der Impfung der ersten Patienten an. Bis jetzt sind es noch wenige. Wir testen die Impfung an Patienten mit Melanom, Brochialkarzinom, Kopf-Hals-Tumoren oder Blasen- bzw. Nierenkarzinom.

Wie sehen Sie die Zukunft dieser drei Therapiestrategien?

Die Impfung ist wahrscheinlich vor allem bei frühen Erkrankungsstadien sinnvoll. Bei fortgeschrittenen Tumoren sehe ich den adoptiven T-Zell-Transfer stark im Kommen, und es sind derzeit viele neue Immun-Checkpoint-Inhibitoren in der Pipeline, mit denen man das Immunsystem z.B. auch metabolisch unterstützen kann. Es gibt auch Strategien, die regulatorischen T-Zellen zu vermindern oder die Granulozyten und myeloischen Zellen anzugreifen, um eine besser Wirksamkeit zu erreichen. Meine Vision ist, dass man alle immunrelevanten Aspekte des Tumors individuell betrachtet, um zu prüfen, wo man das Immunsystem des einzelnen Patienten im Kampf gegen den Krebs unterstützen muss, damit es gut wirkt.