Delegiertenversammlung besprach ACP und Hospiz- und Palliativgesetz
Seit dem 1. Januar 2018 können sich Bewohner von dafür zugelassenen Pflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe im Hinblick auf ihre letzte Lebensphase beraten lassen. Der seitdem geltende § 132g SGB V ermöglicht eine gesundheitliche Vorausplanung für gesetzlich Versicherte in diesen Einrichtungen.
Risiko der Über- oder Unterversorgung: „In der Bevölkerung besteht ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung“, nannte Feddersen einen Grund für die Verabschiedung des Abschnitts zu ACP im Hospiz- und Palliativgesetz. Deutschlandweit verfügen laut aktuellen Zahlen aber noch immer nur rund 42 Prozent der
Bevölkerung über eine Patientenverfügung. Und in Notsituationen ist diese oft nicht auffindbar, zu lang oder nicht sinnvoll. Sätze wie „ich möchte eine Reanimation, aber nur, wenn sie erfolgreich ist“, zeigten wie absurd diese sein können, sagte Feddersen. Gesetzliche Vertreter werden oft nicht benannt oder sind
nicht über ihre Aufgabe informiert, Vorsorgevollmachten nicht vorhanden. Im Notfall führt dies zu einem Risiko der Über- oder der Unterversorgung
für die Patienten, zu ethischen Konflikten für Ärztinnen und Ärzte und zu einer starken Belastung der Angehörigen.
Nichtärztliche Berater sorgen für Qualität: Dafür qualifizierte Berater sollen dies nun in stationären Einrichtungen ändern – indem sie die Bewohner mehrfach aufsuchen, mit ihnen sprechen, die Ergebnisse der Gespräche alltagstauglich machen, sie dokumentieren und archivieren, sodass Angehörige, der Rettungsdienst
und behandelnde Ärztinnen und Ärzte im Notfall darauf Zugriff haben. Sie sollen sie aktualisieren und zunehmend konkretisieren sowie eine Qualitätssicherung
durchführen.
Schulungen für Hausärzte: Ziel ist es, die Patienten bei Bedarf so zu behandeln, wie sie das möchten – auch wenn sie sich aktuell dazu nicht äußern können. Um dies zu erreichen sind in den beteiligten Pflegeheimen mindestens zwei längere, 40 bis 95 Minuten dauernde, Gespräche vorgesehen, in denen die Einstellung der Patienten zu Leben, schwerer Krankheit und Sterben klar wird. Die Gesprächsführung übernimmt dabei ein nichtärztlicher, speziell dafür ausgebildeter Gesprächsbegleiter, z.B. aus der Sozialarbeit, der Pflege oder der Seelsorge. Vertrauenspersonen und rechtliche Vertreter werden dabei mit einbezogen, die Hausärztin oder der Hausarzt informiert.
Hausärzte sollen für offene, insbesondere medizinische Fragen zur Verfügung stehen. In einem vierstündigen Kurs werden sie geschult, die Einwilligungsfähigkeit der beratenen Patienten und die Dokumente auf Inhalt und Kongruenz zu prüfen. Regional lasse sich das Konzept am besten umsetzen, wenn es einen zentralen regionalen Projektkoordinator, zum Beispiel am Landratsamt, gebe, der zu allen an der Versorgung Beteiligten Kontakt hält und diese vernetzt, sagte Feddersen. Dazu brauche es einen Kommunikationsplan und Öffentlichkeitsarbeit.
Angehörige, Ärzte und Heime entlasten: „Die Implementierung eines Projekts ‚Behandlung im Voraus planen’ ist eine Herausforderung“, sagte Feddersen. Sie sei geeignet, eine Entlastung für alle Beteiligten zu erreichen – für die Bewohner von Heimen, Angehörige, Pflegekräfte vor Ort, den Rettungsdienst und Krankenhausmitarbeiter. Die Auswahl geeigneter Gesprächsbegleiter sei aber komplex und die Finanzierung für eine regionale Implementierung stehe noch nicht. Feddersen berichtete von seinen eigenen Kursen zur Gesprächsbegleitung bei der Christophorus Akademie und einem Pilotprojekt der Caritas zu ACP, bei dem es derzeit viele Schulungen von Gesprächsbegleitern gebe. Das Pilotprojekt sei aus dem überregionalen Projekt „Beizeiten begleiten“ hervorgegangen. München sei aber groß und brauche daher weitere Unterstützung. „ACP wird ganz viel an der Medizin in diesen Einrichtungen verändern“, schloss Feddersen.
Großteil der 85-Jährigen braucht palliative Versorgung: Im Anschluss referierte Dr. Claudia Levin über andere Aspekte des seit 2015 geltenden Hospiz- und Palliativgesetzes. Etwa 80 Prozent der über 85-Jährigen in München braucht Statistiken des Rathauses zufolge in den letzten Lebenswochen eine palliative
Versorgung. Derzeit werden aber nur zehn Prozent über die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) versorgt. Die anderen Betroffenen werden lediglich haus- und fachärztlich betreut. „Kaum jemand weiß wirklich Bescheid“, sagte Levin über den Inhalt des Hospiz- und Palliativgesetzes. „Dabei würde es eine gute Grundlage für die Versorgung bilden, wenn es mit Schwung umgesetzt würde“.
Regelungen oft nicht umsetzbar: Eine Zwischenstufe bei der hausärztlichen palliativen Versorgung bildet die im Januar 2017 in Kraft getretene Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem GKV-Spitzenverband über die „besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung“ (BQKPMV). BQKPMV soll den Bereich zwischen der hausärztlichen Standard-Versorgung und der SAPV abdecken, sagte Levin. Um sich an der BQKPMV beteiligen zu können, müssen Hausärztinnen und Hausärzte zunächst einen 40-stündigen Basiskurs besuchen. Allerdings umfasse die BQKPMV zwar „richtig gute Ideen“, aber vieles davon sei für Hausärzte nicht umsetzbar, z.B. die Sicherstellung der palliativmedizinischen Versorgung außerhalb der Sprechzeiten – also nachts, an Wochenenden und Feiertagen.
Entlass-Management funktioniert oft nicht: Levin sprach auch über das seit Oktober 2017 vorgesehene Krankenhaus-Entlassmanagement, das einen lückenlosen Übergang von der stationären zur ambulanten Versorgung vorsieht und dafür beispielsweise die Verschreibung von Arzneimitteln, Heilmitteln und häuslicher Krankenpflege ermöglicht. „Die Idee ist fantastisch – gerade für unsere vielen Single-Patienten“, sagte sie. Wenn es funktioniere, könne es sogar lebensrettend sein. Häufig funktioniere es aber noch nicht, weil das Personal dafür nicht vorhanden sei. Z.B. lasse sich eine Symptomkontrolle zu Hause über 24 Stunden hinweg durch einen Pflegedienst verordnen. „Das ist richtig gut“, sagte Levin. Noch seien aber weder die Qualitätsanforderungen klar noch, wie dies honoriert werde. „Wir müssen darauf drängen, dass das umgesetzt wird“, sagte Levin. „All das kostet Geld“.
Keine geregelte Vergütung für Hausärzte: In der anschließenden Diskussion kritisierten einige Delegierte, dass es für viele Aspekte keine geregelte Vergütung gibt. Ein Diskussionsteilnehmer gab zu bedenken, dass viele Patienten möglicherweise lieber mit ihrem Hausarzt über ihre Wünsche für ihr Lebensende sprechen würden als mit einem dafür ausgebildeten Gesprächsbegleiter. Hinzu komme, dass es insgesamt sowieso zu wenig Menschen in den Gesundheitsberufen gebe. Feddersen erwiderte, dass der Hausarzt integriert werden müsse. Die vorherigen Gespräche mit einem Gesprächsbegleiter würden ihm aber viel Zeit sparen. Die erfassten Protokolle ließen sich dann innerhalb weniger Minuten zusammen durchgehen.
Auch auf Vorsorgevollmacht achten: Dass der Patientenwille gut dokumentiert ist, sei für die Krankenhausmitarbeiter äußerst wichtig, betonte eine Diskussionsteilnehmerin. Zu häufig seien sie mit unterschriebenen Vordrucken aus dem Internet konfrontiert, mit denen sie nicht viel anfangen könnten. Ein Delegierter bemängelte, dass er in seinem langen Hausarztleben noch nie von einer Klinik wegen einer Patientenverfügung angerufen worden sei. Ein weiterer betonte, dass die Betreuungsverfügung oder Vorsorgevollmacht nicht hinter der Patientenverfügung zurückstehen dürfe und dass es zu häufig keine Schweigepflichts- Entbindung gegenüber den Betreuern gebe. „Wir haben ein Schnittstellenproblem“, sagte ein weiterer Diskussionsbeteiligter. Die Schnittstellen zwischen den Sektoren müssten beforscht werden.
Erfolg der ÄKBV-Veranstaltung „Notfall Pflege“: In einem zusätzlichen Tagesordnungspunkt berichtete Dr. Christoph Emminger als 1. Vorsitzender des ÄKBV über den großen Erfolg der ÄKBV-Diskussionsveranstaltung „Notfall Pflege“ vom 20. Juni (siehe MÄA 13 und 14/2018). „Wenn die Pflege nicht passt, wird die ärztliche
Versorgung schwierig“, sagte Emminger. Bei der Veranstaltung habe ein hochkarätiges Publikum unter Beteiligung des Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, diskutiert. Dabei sei klar geworden, dass eine gute Zusammenarbeit mit der Pflege und ihre Wertschätzung wichtig seien, dass viele Pflegende aber ihre fehlende Autonomie beklagen.
Künftig im Fokus: Medizinische Fachangestellte: Emminger kündigte an, dass sich der ÄKBV künftig weiter intensiv mit den medizinischen Assistenzberufen
befassen wird, auch mit dem der Medizinischen Fachangestellten (MFA). Derzeit würden MFAs in etwa 750 Münchner Praxen ausgebildet. Darunter befänden sich aktuell nur wenige Männer. Etwa 20 Prozent der Azubis hätten einen Migrationshintergrund. Ein Schulabschluss sei derzeit noch keine Voraussetzung für die Ausbildung, ein Großteil der Azubis verfüge aber über einen Real und Mittelschulabschluss. Dennoch gebe es in München bei der Abschlussprüfung eine hohe Durchfallquote. 63 Prozent derer, die durchfallen, hätten keinen Schulabschluss.
Andererseits lasse jedoch vielfach auch die Ausbildungsqualität zu wünschen übrig. Zu häufig würden Azubis zur MFA untertariflich bezahlt, und ihre Arbeitszeiten würden nicht eingehalten. Die überbetriebliche Ausbildung hingegen werde von den Azubis überwiegend positiv bewertet. „Die Ausbildung zur MFA muss künftig Chefsache werden“, sagte Emminger. Der ÄKBV werde weiter auf den Ausbildungsmessen präsent sein und den engen Kontakt zu den Berufsschulen pflegen. Emminger regte an, Ausbildungsberater oder -koordinatoren zu installieren. Er gab zu bedenken, dass sich zu viele Auszubildende eher für technische
Berufe, etwa bei der Bundeswehr, interessieren. Um bereits Schülern die Möglichkeit zu geben, in den Beruf „hineinzuschnuppern“, regte er an künftig vermehrt Schulpraktika für sie anzubieten.
Stephanie Hügler