Psychisch Kranke als Gefährder? Geplantes PsychKHG stößt auf Kritik – auch von Ärzten
Herr Prof. Brieger, was halten Sie vom aktuellen PsychKHG-Entwurf? (Anm. der Redaktion: Entwurf vom 12.03.2018)
Es ist notwendig, dass ein neues PsychKHG in Bayern geschaffen wird, denn das Unterbringungsgesetz ist offenkundig in Teilen verfassungswidrig und auch nicht mehr zeitgemäß. Und die Idee, sich nicht nur auf ein Unterbringungsgesetz zu beschränken, sondern auch Hilfemöglichkeiten im Gesetz zu berücksichtigten, ist richtig und wichtig. Dass die Krisendienste in Bayern nun in die Regelversorgung übernommen werden sollen, ist richtig gut. Außerdem wird Psychiatrieberichterstattung festgeschrieben und Selbsthilfe gestärkt. Das ist leider aber auch fast alles, was ich an Gutem über diesen Gesetzentwurf sagen kann. Denn der Rest des Gesetzentwurfs ist eher zu einem „Gefährdergesetz“ geraten. Dahinter steht ein Menschenbild, das psychisch Kranke zunächst als gefährlich sieht und sich dementsprechend vor allem auf die Gefahrenabwehr konzentriert. Damit bleibt der Gesetzentwurf inhaltlich weit hinter den PsyKHGs anderer Bundesländer zurück.
Was kritisieren Sie konkret?
Ganz konkret äußert sich dieses Menschenbild in vielen Formulierungen und in Verweisen auf Gesetze zur Sicherungsverwahrung, zum Maßregelvollzug und auf das Strafvollstreckungsgesetz. Der kranke Mensch wird in die Nähe von Verbrechern gerückt. Die Formulierungen sind oft sehr unschön und klingen nach „Polizeigesetz“. Im Vordergrund steht dabei stets der Aspekt der Fremdgefährdung. Das zeigt sich besonders deutlich im geplanten Artikel 6, in dem als erstes steht: „Ziel der Unterbringung ist die Gefahrenabwehr“. Erst danach wird die Hilfe genannt, das Ziel, die untergebrachte Person zu heilen oder ihren Zustand zu bessern. Diese Formulierungen führen zu einer Stigmatisierung der Patienten, die uns anvertraut werden. Problematisch sind außerdem die vielen Meldeauflagen, die überhaupt nicht nachvollziehbar sind. In der aktuellen Fassung vom 12.03.2018 heißt es beispielsweise, jede Entlassung aus der Unterbringung müsse der Polizei gemeldet werden. Das halte ich für datenschutzrechtlich unverhältnismäßig, da hier überwiegend Patienten bei der Polizei gemeldet würden, bei denen wir ärztlicherseits keine Veranlassung dafür sehen. Hinzu kommt die Forderung nach einer zentralen Unterbringungsdatei für alle Untergebrachten, in der medizinische Daten, Daten des Aufenthalts und personenbezogene Daten gespeichert werden sollen und auf die die Justiz- und Sicherheitsbehörden Zugriff erhalten sollen. Aus meiner Sicht ist das völlig unakzeptabel. Außerdem sollen wir als Ärztinnen und Ärzte laut Gesetzentwurf (Art.30, Abs.5) Menschen auf dem Psychiatriegelände sozusagen „festhalten“ und „durchsuchen“. Der ganz zentrale Knackpunkt ist aber: Wann ist es überhaupt gerechtfertigt, psychisch kranke Menschen anders zu behandeln als Gesunde? Wann ist es gerechtfertigt, sie gegen ihren Willen in ein psychiatrisches Krankenhaus zu bringen, bis hin dazu, sie gegen ihren Willen zu behandeln? Das sind Menschen, die keine Straftat begangen haben. Wir möchten deshalb, dass nur solche Menschen bei uns untergebracht werden, die nicht selbstbestimmungsfähig sind. Wir wollen nicht, dass jemand, der „Herr seiner Sinne“, aber fremdgefährdend ist, in die Psychiatrie gebracht wird, um dort „verwahrt“ zu werden. Das wäre dann ein Missbrauch der Psychiatrie.
Was sollte Ihrer Ansicht nach mit Gefährdern geschehen?
Sich um sie zu kümmern ist Sache der Polizei. Jemanden gegen seinen Willen in ein Krankenhaus zu bringen, der selbstbestimmt ist, ist falsch. Ein solches Vorgehen ist für die Betroffenen und für unsere Mitarbeiter problematisch, denn in einem solchen Fall haben wir überhaupt keinen Behandlungsauftrag. Wir Ärztinnen und Ärzte dürfen nur Menschen behandeln, bei denen die Indikation zu einer Behandlung besteht. Mit einer solchen Regelung würden wir zur Verwahranstalt im Auftrag der Sicherheitsbehörden.
Ist es denn nicht nachvollziehbar, dass die Staatsregierung die Bevölkerung vor psychisch kranken Menschen schützen will, die vielleicht gefährlich werden könnten?
Die Staatsregierung will uns diesen Auftrag übertragen, weil sie davon ausgeht, dass Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung gefährlich sind, sowieso in der Regel nicht selbstbestimmungsfähig sind. Das stimmt jedoch nicht. Deswegen sagen wir, dass wir nur solche Menschen aufnehmen können, die so krank sind, dass sie nicht wissen, was sie tun. Menschen, die gezielt etwas Gesetzwidriges tun und außerdem auch noch eine psychische Erkrankung haben, können nicht gegen ihren Willen in ein Krankenhaus gebracht werden, wenn dies nicht durch die Krankheit bedingt ist. Wenn diese Menschen für ihr Tun verantwortlich sind, gehören sie in den Bereich der Justiz und der Polizei, nicht in den der Medizin. Die Grundlagen für den Gesetzentwurf wurden vorab in einer Konsensgruppe diskutiert, in der auch Sie Mitglied waren.
Wie kann es sein, dass trotzdem nun ein solcher, Ihren Ansichten widersprechender, Gesetzentwurf vorliegt?
Es gab tatsächlich vorab mehrere runde Tische. Das Problem liegt aber woanders: Federführend ist das Gesundheitsministerium für dieses Gesetz zuständig, aber das Gesundheitsministerium hat sich nur mit dem von uns ja überwiegend positiv bewerteten Hilfeteil beschäftigt. Für den Unterbringungsteil ist das Sozialministerium zuständig. Das aber war am Konsensprozess nur am Rande beteiligt. Im Hintergrund haben jedoch Justiz- und Innenministerium das letzte Wort. Diese haben mit uns im Vorfeld praktisch gar nicht gesprochen.
War es also sprichwörtlich „für die Katz“, dass Sie sich an der Vorbereitung des Gesetzentwurfs beteiligt haben?
Wenn man sich den jetzigen Unterbringungsanteil anschaut, muss man leider sagen: für diesen Bereich: ja.
Lässt sich aus Ihrer Sicht am Gesetzentwurf noch etwas ändern?
Ich denke ja. Es gibt kritische Stimmen in vielen Bereichen. Wenn ich mit Bürgern, die mit dem Thema nicht erfahren sind, über das Gesetz spreche, sage ich immer: „Stellen Sie sich vor, Sie oder ein Angehöriger entwickeln eine Depression, und Sie werden dann über das PsychKHG wegen Suizidgefahr in der Psychiatrie untergebracht.“ Das kann jedem von uns jederzeit passieren. Wir reden überwiegend ja nicht über eine kleine Gruppe extrem gefährlicher Menschen, sondern es geht hier um Krankheiten, die ständig in unserer Mitte auftreten können. Dass wir nun auf Standards zurückfallen sollen, von denen ich dachte, dass wir sie seit 40 Jahren überwunden haben, finde ich sehr bedenklich. Ich glaube, dass man mit diesem Argument auch Politiker gut erreichen kann.
Sind Ärztinnen und Ärzte denn die einzigen Kritiker an diesem Gesetz?
Nein, alle betroffenen Gruppen äußern sich kritisch: die Betroffenen, die Angehörigen, die Wohlfahrtsverbände, die Psychotherapeutenkammer, der Bezirketag, der Betreuungsgerichtstag, der öffentliche Gesundheitsdienst und viele andere. Vom bayerischen Datenschutzbeauftragten gibt es eine äußerst kritische Stellungnahme. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der Landesarbeitsgemeinschaft der leitenden Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie sehen den aktuellen Gesetzentwurf kritisch. Alle Stellungnahmen, die ich kenne, sind durchgehend skeptisch. Ich kenne für die angesprochenen Themen keine positive.
Wie sieht es aus juristischer Sicht aus? Ist dieses Gesetz so überhaupt möglich?
Wenn es im Parlament beschlossen ist, ist es zunächst verabschiedet. Ich bin mir aber sicher, dass einige der Regelungen juristisch nicht von Bestand sein können, wenn die momentane Fassung durchs Parlament geschleust würde. Die umfassende Unterbringungsdatei etwa scheint mir datenschutzrechtlich nicht machbar. Im Januar war ich als Experte beim Bundesverfassungsgericht geladen. Damals ging es um das Thema Fixierungen und Zwangsmaßnahmen. Ich war beeindruckt, wie tiefgehend sich das Bundesverfassungsgericht mit solchen Themen befasst.
Wie geht es nun im Gesetzgebungsprozess weiter?
In der Woche vor der Expertenanhörung am 24. April 2018, an der auch ich teilnehmen werde, ist meines Wissens die erste Lesung geplant. Dann werden der Entwurf und etwaige Änderungsanträge intensiv in den Ausschüssen beraten. Das Gesetz soll noch vor der Sommerpause und natürlich vor der Landtagswahl verabschiedet werden.
Angenommen das Gesetz würde, wie geplant, verabschiedet werden. Was befürchten Sie dann?
Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieses Gesetz so verabschiedet wird. Aber wenn doch, könnten zwei Dinge passieren: Entweder es wird einfach nicht umgesetzt, denn man kann psychisch Kranke ja auch nach dem Betreuungsrecht unterbringen. Bereits jetzt wird in München meist nicht mehr länger als für 24 Stunden nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht, weil das Betreuungsrecht einfacher zu handhaben ist. Oder das Gesetz wird benutzt, um Gefährder, die psychisch oder sozial auffällig sind, von der Straße wegzuholen und in die Psychiatrie zu bringen. Dann brechen erneut Zeiten an, die wir für längst vergangen hielten. Das wäre schlecht für unsere Kliniken, unsere Mitarbeiter, unser Arbeitsbedingungen, unsere Außenwirkung und vor allem verheerend für die Menschen, die bei uns in Behandlung sind.
Gibt es Punkte am Gesetz, die zu ändern Ihnen besonders wichtig ist?
Das Wichtigste ist, dass nicht die Gefährdung im Zentrum stehen soll, sondern Krankheit und Hilfe. Es muss immer klar sein, dass es hier um kranke Menschen geht. Ein leitender Beamter, ein Jurist, sagte zu mir kürzlich: „Als ich das Gesetz zum ersten Mal gelesen habe, habe ich gedacht: Das hat doch ein Polizist geschrieben.“ Man muss an Formulierungen und Inhalten arbeiten. Zudem muss klar werden, dass nur nicht selbstbestimmte Menschen bei uns untergebracht werden. Ein dritter Punkt sind die datenschutzrechtlich bedenklichen Bestimmungen, die Meldung an die Polizei und die Unterbringungsdatei.
Was kritisieren Ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie?
In der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird noch seltener nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht als bei uns. Die Kolleginnen und Kollegen fordern, dass betroffene Kinder und Jugendliche nach 24 Stunden in der Regel familiengerichtlich untergebracht werden, was ich absolut nachvollziehen kann. Sie kritisieren, dass die Rolle der Eltern und der Jugendhilfe bei minderjährigen Untergebrachten nicht sachgerecht geklärt ist. Außerdem gibt es ein Problem, wenn auffällige Jugendliche unter 18 Jahren gemäß PsychKHG in die Kinder- und Jugendpsychiatrie gebracht werden, obwohl kein Unterbringungsgrund, keine Behandlungsindikation besteht. Dann haben die Kollegen gegenüber den Jugendlichen eine Garantenstellung, sind also für sie verantwortlich, dürfen sie aber nicht weiter behalten. Sie fordern dafür eine Hilfe. Insgesamt kritisieren die Kollegen, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen im Gesetzentwurf kaum berücksichtigt werden.
Was finden Sie am Gesetz positiv? Was ist gelungen?
Gelungen ist die Regelfinanzierung der Krisendienste. Dass es bayernweit ein Netz von psychiatrischen Krisendiensten geben soll. Das ist bundesweit auch ein guter Vorstoß. Das gibt es noch in Berlin, aber nirgends sonst. Derzeit gibt es ja nur ein Modellprojekt hier in Oberbayern und eins in Mittelfranken. Auch die Stärkung der Selbsthilfe und die Psychiatrieberichterstattung, die für Planung und Steuerung essentiell sind, sind positiv zu sehen. Der Hilfeteil ist zwar insgesamt knapp geraten, aber wichtige Punkte sind aus meiner Sicht enthalten.
Was wünschen Sie sich, auf den Punkt gebracht?
Ein PsychKHG, das nicht stigmatisiert, das nicht die Gefährdung in den Vordergrund stellt. Das zwar berücksichtigt, dass es psychisch kranke Menschen gibt, die andere Menschen gefährden können, das aber die Aspekte der Hilfen und der Behandlung in den Vordergrund stellt. Ein Gesetz, das uns nur verpflichtet, diejenigen uns zugewiesenen Menschen, aufzunehmen, die tatsächlich behandlungsbedürftig sind – nicht alle, die irgendwie auffällig sind. Und ein Gesetz, das die Bürgerechte wahrt – das Datenschutzrecht, die UN-Behindertenkonvention und das Grundgesetz.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler