Leitartikel

Chronische Rückenschmerzen, Linderung per Knopfdruck

Rückenschmerzen sind einer der häufigsten Gründe für eine Krankschreibung und können die Lebensqualität massiv einschränken. Die Implantation eines Schmerzschrittmachers verspricht in vielen Fällen Linderung. Ein Gespräch mit der Neurochirurgin Dr. Andrea Prescher von der München Klinik Bogenhausen.
Die Implantation eines Schmerzschrittmachers kann Schmerzpatient*innen helfen.
Die Implantation eines Schmerzschrittmachers kann Schmerzpatient*innen helfen.

Foto; München Klinik

Frau Dr. Prescher, wie neu sind Schmerzschrittmacher, und wie werden sie eingesetzt?

Es gibt sie schon seit vielen Jahren, aber die Technologie wird immer besser. Anfangs waren sie fast ausschließlich für Schmerzen in den Beinen geeignet und haben meistens ein Kribbeln verursacht. Inzwischen gibt es aber neuere, vor allem für den Rückenschmerz bestimmte, Modelle, die tatsächlich überhaupt keine sensiblen Defizite oder Veränderungen hervorrufen. Das ist leider noch nicht so bekannt.

Bei welchen Diagnosen kommen diese Geräte zum Einsatz?

Das Klassische sind chronische Lumboischialgien – Menschen mit Rückenschmerzen, die auch in die Beine ausstrahlen. Wer von uns mit einem Schmerzschrittmacher behandelt wird, hat meist schon einige Operationen hinter sich und ist manchmal auch schon an der Wirbelsäule stabilisiert. Obwohl man bildgebend keine Pathologie mehr sieht, haben trotzdem einige noch ein chronisches Schmerzsyndrom. Wer zu mir kommt, sagt oft: „Ich nehme schon so viele Medikamente, habe schon alles versucht.“ Viele klagen sehr über deren Nebenwirkungen. Andere können keine Medikamente mehr nehmen, weil Niere oder Leber das nicht mehr mitmachen. All diese Patient*innen brauchen Therapiealternativen. Wenn sie allerdings bildgebend wirklich eine Ursache für die Beschwerden haben – etwa eine Einengung des Spinalkanals, einen Bandscheibenvorfall oder eine Instabilität– sollte man operieren, und keinen Schmerzschrittmacher einsetzen.

Wie ist es bei anderen Schmerzen, also z.B. bei Kopfschmerzen?

Tatsächlich gibt es auch dafür inzwischen schon gute Verfahren. Man kann dafür Elektroden z.B. in den Okzipitalbereich legen. Ich selbst mache das aber nicht. Solche Patient*innen werden am besten in speziellen Schmerzpraxen oder -zentren versorgt. Wir hier benutzen sogenannte SCS-Systeme. SCS steht für Spinal Cord Stimulation.
Dazu werden ein oder zwei Elektro- den in den Spinalkanal eingebracht und liegen dann auf der Rückenmarkshaut. Über einen Stimulator und elektrische Impulse an den Elektroden wird der Schmerz in Richtung Gehirn quasi blockiert und moduliert.

Wie funktioniert das Einsetzen des Schrittmachers?

Bei den älteren Systemen werden die vorher sedierten Patient*innen während der OP kurz geweckt. Dann wird anhand der Elektroden getestet, ob das Kribbeln an der Stelle auftritt, wo vorher der Schmerz war. Diese Systeme wer- den weiterhin vor allem für den isolierten Beinschmerz genutzt, verursachen aber ein Kribbeln in dem Bereich, wo zuvor der Schmerz lokalisiert war. Für den Rückenschmerz verwenden wir inzwischen in der Regel die neueren Systeme. Bei ihnen müssen die Patient*innen während der Operation nicht wach sein, weil man die Elektroden immer an die gleichen Stellen legt. Daher implantiere ich diese in Vollnarkose. Nach der Implantation der Testelektroden bleiben die Patient*innen meistens noch eine Nacht bei uns in der Klinik und erhalten zunächst testweise einen externen Stimulator für zu Hause. Denn der Stimulator ist das eigentlich Teure an dem Ganzen. Die Herstellerfirmen stellen meistens vorab schon bestimmte Programme ein, stehen aber auch nach der Entlassung mit den Patient*innen in Verbindung, um ggf. die Stärke der Stimulation anzupassen. Während der Operation in Vollnarkose lege ich gleich eine Hauttasche für den späteren internen Stimulator mit an. Wenn das Gerät hilft, kann ich diesen in einem zweiten Eingriff in Lokalanästhesie implantieren und muss dann die Elektroden nur noch anschließen.

Wie schnell merken Sie und die Patient*innen, ob das Gerät hilft?

Das sehe ich oft schon am nächsten Tag, wenn ich zur Visite komme. Die Patient*innen sagen dann zum Bei- spiel, dass sich ihre Beine nicht mehr so schwer anfühlen oder dass sie wieder Bewegungen machen können, die vorher nicht möglich waren. Wenn sie nach einer Woche sagen: Der Schmerz hat sich deutlich verringert, um etwa 60 Prozent und mehr, wird der Stimulator ein- gesetzt und feinjustiert. Vorher gibt es meistens noch zwei oder drei Tage ohne den Stimulator – die sogenannte Rückwärtstestung, um festzustellen, ob der Schmerz sich tatsächlich durch das System verändert hat, oder nicht.

Können die Patient*innen den Stimulator auch selbst bedienen, oder ist das vorgegeben?

Bei den wiederaufladbaren Systemen erhalten die Patient*innen dazu eine Fernbedienung. In Rücksprache mit mir und der Firma können sie damit selbst die Programme oder auch die Stimulationsstärke variieren. Eine regelmäßige Rückmeldung ist aber wichtig, weil es bei zu viel Strom auch leicht zu einer Überstimulation kommen kann, sodass es den Patient*innen dann wieder deutlich schlechter geht. Leider ziehen die Hochfrequenz- Geräte viel Strom, sodass sie jeden Tag geladen werden müssen. Dazu legen die Patient*innen etwa 20 bis 30 Minuten lang eine Art Induktions-Pad von Außen auf den Stimulator, der das Gerät wieder auflädt. Der Stimulator befindet sich in einer Hauttasche an der linken oder rechten Gesäßhälfte – man kann ihn von Außen tasten.

Ist das Laden nicht unbequem?

Nein, man kann sich dabei z.B. auf die Couch setzen, das Pad hinten in die Hose stecken und dabei Zeitung lesen. Manche liegen lieber auf dem Rücken, andere auf dem Bauch und legen sich dann das Pad entsprechend auf den Körper. Die Patient*innen müssen allerdings in Ruhe sein und können nicht damit rumlaufen. Bei den älteren Modellen sind die Stimulatoren nicht wiederaufladbar und haben ein Programm, das die Patient*innen nicht verändern können.

Könnte ein Schmerzschrittmacher nicht standardmäßig helfen, Schmerzmittel zu reduzieren?

Wir haben durchaus Menschen, die sagen: Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich viel früher zu Ihnen gekommen. In den Schmerzleitlinien ist aber festgelegt, dass zunächst eine konservative multimodale, stationäre oder ambulante Schmerztherapie mit Physiotherapie oder auch Psychotherapie stattfinden muss. Chronischer Schmerz legt sich auch auf die Psyche, Betroffene sind häufig depressiv, ziehen sich sozial zurück. Aus diesem Kreislauf muss man sie zunächst versuchen, her- auszubringen, auch mit Medikamenten. Dabei muss man prüfen: Was tut den Patient*innen gut? Wann haben sie weniger Schmerzen? Lassen sich diese Phasen verlängern oder vermehren? Manche sagen z.B.: „Wenn ich mich mal eine halbe Stunde hinlege, ist es danach wie- der leichter“. Andere berichten: „Wenn ich mich mit Freunden treffe, merke ich den Schmerz so gut wie gar nicht.“ Viele sind durch die Schmerzen allerdings so depressiv, dass sie sogar ihre Freund*innen meiden. Nur wenn die multimodale Therapie keine langanhaltende Schmerzlinderung gebracht hat, wird der Stimulator zur Option, weil er einfach sehr, sehr teuer ist. Wir müssen gegenüber den Kassen lückenlos nachweisen, dass die multimodale Schmerztherapie bei den Patient*innen durchgeführt wurde und leider nicht den gewünschten Effekt erzielt hat. Aber es profitiert auch nicht jede*r von der Spinal Cord Stimulation (SCS). Manche stößt es auch gedanklich ab, dass sie dadurch ständig Strom im Körper haben.

Wie hoch ist die Erfolgsquote?

Rund 80 Prozent erfahren eine Linderung von wenigstens 60 Prozent. Das heißt nicht, dass sie schmerz- frei sind. Aber so erlangen sie wie- der Lebensqualität und können wieder alltägliche Dinge tun wie spazieren gehen, einkaufen, sich sozial integrieren. Teilweise gibt es auch Patient*innen, die gar keine Schmerzen mehr spüren. Aber wenn jemand schon jahrelang Schmerzen hatte und deshalb depressiv ist, ist das oft nicht einfach. Dann benötigen die Patient*innen eine psychologische Anbindung. Hier im Haus haben wir eine Kooperation mit der Physikalischen Medizin, damit Patient*innen, die vorher noch keine multimodale Schmerztherapie gemacht haben, dort gesehen werden und ggf. wieder zu uns zurückkommen können.

Wie aufwändig ist die Operation an sich? Gibt es Risiken?

Der Eingriff ist wie eine Lumbalpunktion – nur dass wir nicht das Hirnwasser anzapfen, sondern die Elektroden auf die Rückenmarkshaut legen. Er dauert in der Regel eine Stunde, manchmal etwas länger, wenn z.B. irgendwo eine Eng- stelle ist, die man in der Bildgebung nicht gesehen hat. Eine Komplikation kann sein, dass man aus Versehen mit der Nadel durch die Rückenmarkshaut durchsticht und Hirnwasser austritt. Dann muss ich die Nadel ziehen und die Testung an einer anderen Stelle durchführen. Wenn der Liquorfluss anhält, können die Patient*innen Kopfschmerzen, Schwindel und/oder Sehstörungen bekommen. In äußerst seltenen Fällen kann es durch den Unterdruck im Kopf zu subduralen Hämatomen kommen.

Gibt es sonstige Nebenwirkungen oder Risiken im Verlauf?

Fremdkörper können immer eine Infektion verursachen. Selten kann es passieren, dass man dann das ganze System wieder ausbauen muss. Das Risiko ist aber nicht höher als z.B. bei einer künstlichen Hüfte. Bei einer Überstimulation kann es zu Kopfschmerzen, Unruhe o.ä. kommen. Deshalb kommen die Patient*innen nach der Implantation auch in regelmäßigen Abständen zu mir in die Sprechstunde, und wir prüfen mit den Vertreter*innen der Firma, ob der Stimulator funktioniert, ob alles in Ordnung ist. Es kann auch sein, dass sich nach einer gewissen Zeit die Beschwerden wieder äußern. Dann braucht es eine erneute bildgebende Kontrolle, ob die Elektroden noch an der richtigen Stelle sitzen.

Was raten Sie zuweisenden Kolleg*innen?

Es ist sinnvoll, Patient*innen mit chronischen Schmerzen bei uns vorzustellen. Wir prüfen dann, ob sie in Frage kommen, oder nicht. Eine Kontraindikation für eine Implantation ist zum Beispiel ein Rentenbegehren, denn dann haben die Menschen meistens ein anderes Ziel und profitieren wahrscheinlich nicht von dieser Therapie. Wenn das Rentenbegehren durch ist und sie dann immer noch Schmerzen haben, kann man wieder darüber sprechen. Weitere Kontraindikationen sind Alkoholabusus, Drogen oder psychiatrische Erkrankungen. Zudem wird es bei den wiederaufladbaren Stimulatoren oft ab einem gewissen Alter schwierig, denn die Patient*innen müssen in der Lage sein, die Fernbedienung und das Ladegerät zu bedienen. In diesen Fällen ist manchmal doch eher der nicht wieder aufladbare Stimulator sinnvoll – auch, wenn man damit nicht alle Schmerzen lindern kann.

Stephanie Hügler

MÄA 17/18 vom 10.08.2024