Leitartikel

Zukunftskonzept für die München Klinik, Krise oder Chance?

Die Politik setzt Kliniken zunehmend unter Druck, sich neu zu orientieren. Darauf hat die München Klinik (MüK) reagiert: Sie plant eine Umstrukturierung ihrer Häuser, die nach der Zustimmung im Aufsichtsrat nun vor der Entscheidung im Stadtrat steht. Die MÄA sprachen mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Dr. Götz Brodermann, über diese Pläne.
Zukunftskonzept für die München Klinik, Krise oder Chance?
Zukunftskonzept für die München Klinik, Krise oder Chance?

Foto: Shutterstock

Herr Brodermann, warum braucht es jetzt ein neues Konzept für die München Klinik?

Erstens sind alle Krankenhäuser jetzt, nach der Pandemie, im Umbruch. Das ganze auf den DRGs aufgebaute System – immer höher, schneller, weiter – funktioniert nicht mehr. Wir haben überall einen Rückgang der Fallzahlen um 10 bis 15 Prozent, sind aber, was die Betriebs- kosten betrifft, eins zu eins auf unsere Umsätze angewiesen. Das bestätigen alle Player im Gesundheitswesen. Daher will ja auch das Bundesgesundheitsministerium eine Krankenhausreform. Gleichzeitig haben wir uns in den letzten Jahren nicht an die explosiv fortschreitende medizinische Entwicklung angepasst. Unsere tradierten Prozesse sind zu alt. Wir müssen uns also sowohl medizinisch-inhaltlich als auch hinsichtlich unserer Prozesse anders ausrichten, um in Zukunft weiterhin eine qualitativ hochwertige stationäre Versorgung anbieten zu können.

Wer hat wann über das neue Konzept entschieden, und wie soll es aussehen?

Unser Auftrag als neue Geschäftsführung seitens des Gesellschafters war ganz klar: in einem halben Jahr ein medizinisches Zukunftskonzept vorzulegen, möglichst unter Beteiligung unserer Mitarbeitenden. In Clusterworkshops mit unseren über 150 Expert*innen, das heißt Chefärzt*innen, Pflegedienstleitung, Therapeut*innen etc. und auch mit Beteiligung des Betriebsrats, haben wir uns überlegt: Was ist die Medizin der Zukunft – völlig unabhängig von der Ökonomie. Was brauchen wir dafür? Wie gestalten wir in Zukunft die Daseinsvorsorge für München? Erstmalig haben das nicht die Standorte für sich diskutiert, sondern wir haben über alle Häuser hinweg die Chefärzt*innen, die Pflegebereichsleitung, die Therapeut*innen gebeten, darüber gemeinsam inhaltlich zu diskutieren.

Daraus hat sich relativ klar das Zukunftskonzept „MüK 20++“ ergeben, das wir zu einem Ganzen zusammengesetzt und erneut diskutiert haben. In den Workshops haben wir eine relativ schnelle und sehr hohe Übereinstimmung beim Zielbild erreicht, das über 95 Prozent unserer Führungskräfte voll mittragen.
Wir wissen: Ein „Weiter so“ wie jetzt kann es nicht geben – es kommen die Mindestmengenregelungen, die Leistungsgruppen, und das heißt, wir müssen uns konzentrieren.

Wie sieht das neue Konzept aus?

Die moderne Medizin lebt davon, dass wir interdisziplinär und interprofessionell zusammenarbeiten. Fast jeder Tumor wird heutzutage von einem Team verschiedenster Fachrichtungen in einem spezialisierten Zentrum behandelt. In der Hochleistungsmedizin werden wir uns künftig auf zwei Maximalversorger mit einem klaren medizinischen Profil und solchen spezialisierten Zentren, konzentrieren – Bogenhausen im Norden und Harlaching im Süden. Die Grundversorgung und Daseinsvorsorge übernehmen Schwabing und Neuperlach. Dort haben wir weiterhin eine Innere, eine Chirurgie, Intensivbetten und eine 24-7-Notfallversorgung. In Neuperlach gibt es dazu noch ein großes geriatrisches Kompetenzzentrum und ein Weaning-Zentrum.

In Schwabing entwickeln wir unser universitäres Eltern-Kind-Zentrum, die renommierte Kinderklinik mit allen Fachbereichen und einer umfassenden Notfallversorgung, einer großen Kinder- und Jugendpsychosomatik sowie die ausgebaute große Geburtshilfe im Neubau weiter. Auch ein großes geriatrisches Zentrum etablieren wir dort – mit gezielten Angeboten gerade für die ältere Bevölkerung im Norden. Die anderen Abteilungen werden in die Maximalversorger verlagert. Nach Harlaching und Bogenhausen kommen zum Beispiel die Herz-/Gefäß-, Neuro-, onkologischen Zentren, und wir erhöhen in den Neubauten die Kapazität der Intensivmedizin um 20 bis 25 Prozent.

Was passiert mit der Hautklinik in der Thalkirchner Straße?

Es ist schon seit vielen Jahren bekannt, dass die Kooperation seitens der LMU mit uns nach 2026 nicht mehr fortgeführt wird. Daher wird es künftig eine Hautklinik der LMU geben, und unsere Hautklinik wird nach Bogenhausen ziehen und dort die Expertise unseres onkologischen Zentrums verstärken.

Fallen durch Ihre Pläne künftig auch Arbeitsplätze weg?

Nein, wir werden sogar mehr, und nicht weniger Mitarbeiter*innen brauchen. Es geht darum Medizinische Kompetenz zu bündeln. Natürlich bedeutet das Veränderungen, und natürlich müssen die Kolleginnen und Kollegen teilweise vom Standort A zum Standort B umziehen. Aber wir wollen nicht verkleinern, sondern konzentrieren. In der Fläche stellen wir weiterhin Grundversorgung und Notfallversorgung sicher und zusätzlich hochspezialisierte Medizin in unseren großen Zentren in den Maximalversorgern.

Wird die Versorgung dadurch nicht insgesamt schlechter?

Im Gegenteil – sie wird so sogar besser: Wir werden in größeren Teams zusammenarbeiten, und wir wissen, dass Konzentrationseffekte die Qualität und Verfügbarkeit erhöhen. Je mehr Patient*innen Sie in einem bestimmten Setting behandeln, desto besser. Das hat auch die Stellungnahme der Regierungskommission aus dem letzten Jahr gezeigt. Zum Beispiel wissen wir, dass die relative Überlebenswahrscheinlichkeit einer Patientin mit Mamakarzinom in einem Brustzent- rum um 23 Prozent höher ist als in einem Nichtzentrum. Wir werden keine Kapazitäten einschränken, sondern sie nur konzentrieren und verlagern. Außerdem reden wir hier über einen Umsetzungszeitraum von fünf bis zehn Jahren. Zusammen entwickeln wir in dieser Zeit die MüK in die gleiche Richtung. Das Schöne ist, dass die Kolleginnen und Kollegen aus Neuperlach und Schwabing das genauso sehen wie die in Harlaching und in Bogenhausen.

Aber es werden doch sicher Betten abgebaut werden?

Nein, die Zahl der heute betriebenen Betten bleibt gleich. Alle sagen immer: „Es geht um Bettenabbau“. Nein, es geht um diagnostische und therapeutische Kapazitäten und Qualität. In zehn Jahren wird niemand mehr über Betten sprechen, sondern nur darüber: Wie leistungsstark ist die Abteilung? Wie viel Diagnostik, wie viel Therapie kann sie leisten? Durch den Ambulantisierungsdruck werden wir viele Eingriffe, die wir heute stationär machen, künftig ambulant durchführen. Es wird aber keine Konkurrenz zur ambulanten Versorgung, wie sie heute ist, entstehen. Vielmehr geht es um komplexe Eingriffe und Prozeduren, die heute im ambulanten Bereich nicht abgebildet werden können. Sie werden weiterhin durch Krankenhäuser erbracht werden – nur eben künftig ambulant.

Viele sagen, Deutschland sei nur deshalb so gut durch die Pandemie gekommen, weil unsere Krankenhäuser so gut mit Betten ausgestattet waren.

Das lag aus meiner Sicht eher daran, dass die Politik und die Kliniken den Ernst der Lage schnell erfasst haben und in eine „Pandemiekatastrophenversorgung“ übergegangen sind – wesentlich schneller und konsequenter als in anderen Ländern.
Jede*r war bereit mitzuhelfen. Das war das Entscheidende – nicht, ob Sie 500 Betten mehr oder weniger hatten.

Die Notaufnahmen sind jetzt schon überfüllt. Wird das mit dem neuen Konzept nicht noch schlimmer werden?

In Schwabing haben wir zu 70 Prozent ambulant versorgbare Patient*innen in der Notaufnahme, in Neuperlach sind es 65 und in den anderen rund 60 Prozent. Das heißt, schon heute sind zwei Drittel unserer Patient*innen in den Notaufnahmen eigentlich ambulant. In den umfassenden Notaufnahmen werden wir uns auf hochspezialisierte Themen konzentrieren, also auf die G-BA-Notfallstufe 3. Das gilt auch für die Kinder in Schwabing. In den anderen Häusern werden wir Level-1-Versorgung – also innere Medizin, Chirurgie und auch mit Intensivbetten – machen. Aber natürlich brauchen wir eine Antwort auf das Thema: Wie versorgen wir ambulante Notfallpatient*innen in den Notaufnahmen? Dazu befinden wir uns schon mit der KVB in engem Austausch zu einem gemeinsamen Tresen. Die Frage ist: Was kann eine KV-Notfallpraxis abdecken? Brauchen wir Partnerpraxen, zu denen wir solche Patient*innen tagsüber hinschicken können? Wir werden auch versuchen, selbst allgemeinmedizinische und chirurgische Sitze als integralen Bestandteil in die Notaufnahmen zu integrieren und eigene Medizinische Versorgungszentren gründen. Das verbessert die ambulante Versorgung und schafft Raum für die schweren Fälle in den Notaufnahmen.

Wird diese Neuaufteilung helfen, die Notaufnahmen zu entlasten?

Über 30 Jahre hinweg haben wir versucht, unseren Patient*innen zu erklären, was sie in welchem Notfall tun müssen, wann sie die 112 und wann die 116 117 anrufen müssen. Das muss man leider als gescheitert betrachten. Die Patient*innen gehen einfach dorthin, wo sie potenziell immer Hilfe erhalten, und das sind nun einmal die Notaufnahmen. Was wir aber verpasst haben, ist, einen engen Schulterschluss zwischen niedergelassener Medizin und stationärer Notfallmedizin zu schaffen. In den nächsten Jahren müssen wir daran hart arbeiten. Mein Ziel ist es, in unseren Notaufnahmen die Wartezeit auf Null zu senken. Wenn die KV-Praxis nicht offen hat, werden viele Patient*innen derzeit in der Notaufnahme erst nach vier, fünf Stunden behandelt – dann, wenn alle potenziell schwerer Erkrankten schon versorgt wurden. Das aber erzeugt Frust, vor allem, weil Sie dann noch nicht mal ein Rezept oder eine AU ausstellen oder an Fachärzt*innen weiter überweisen können. Deshalb brauchen wir eine ambulante Struktur, die integriert mit der Notaufnahme zusammenarbeitet – entweder über die KV oder in Kooperation mit uns.

Ambulantisierung ist erstrebenswert, aber was ist mit älteren, mobilitätseingeschränkten Menschen?

Man muss natürlich immer schauen, aus welchem sozialen Kontext die Patient*innen kommen. Alleinstehende ältere Damen oder Herren können wir nach einer Prozedur nicht einfach wieder nach Hause schicken. Aber dadurch, dass wir künftig ambulante und stationäre Behandlungen anbieten können, haben wir auch einen gewissen Ermessensspielraum und können Ältere auch mal noch ein paar Tage länger da behalten. Von unserer geriatrischen Kompetenz in Neuperlach und Schwabing profitieren künftig insbesondere ältere Patient*innen. Wenn sie mit einer Schenkelhalsfraktur in die Klinik kommen, liegen sie derzeit drei Tage im Krankenhaus. Danach sind sie eigentlich schon wieder mobilisiert, können aber noch nicht in ihr häusliches Umfeld zurück. Dafür brauchen sie dann z.B. eine stationäre akutgeriatrische Frühreha in einem unserer geriatrischen Kompetenzzentren.

Was würden Sie zusammenfassend Ärzt*innen sagen, die die geplanten Veränderungen eher kritisch sehen?

Für uns ist völlig klar, dass wir auch weiterhin Daseinsvorsorge für die Münchnerinnen und Münchner leisten werden. Wir werden eine vollumfängliche Gesundheitsversorgung anbieten, jetzt und in der Zukunft.
Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass wir die Versorgung durch die neuen Pläne und den Konzentrationseffekt sogar noch verbessern werden. Ins- besondere an den großen Standorten werden wir die Versorgungskapazitäten auch für hochkomplexe Notfälle künftig sogar noch weiter ausbauen.

Stephanie Hügler

MÄA 15/2024 vom 13.07.2024