Leitartikel

Alte Werte, neue Technik

Welche Werte spielen für Ärztinnen und Ärzte eine Rolle? Und wie kann man das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis im Zeitalter der Digitalisierung schützen? Neben anderen Themen standen diese Fragen auf der Agenda des 77. Bayerischen Ärztetags in Nürnberg.
Nürnberg
Alte Werte, neue Technik

Die Werteorientierung im Arztberuf stand als großes Motto über der Eröffnungsveranstaltung. Muss der Staat über Regeln und Gesetze Vorgaben für den Umgang mit ärztlichen Werten machen, oder können und sollten die ärztliche Selbstverwaltung und der einzelne Arzt oder die Ärztin selbst bestimmen?

Um über diese Frage zu referieren hatte die Bayerische Landesärztekammer Professor Dr. Matthias S.Fifka eingeladen, der als Wirtschaftswissenschaftler an der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg lehrt. In seinen Ausführungen beleuchtete Fifka drei Punkte: Den Vertrauensverlust vieler Bürgerinnen und Bürger, die Digitalisierung und den demographischen Wandel.

Gegenüber Politikern und anderen Berufsgruppen besitze die Ärzteschaft nach wie vor viel Vertrauen: 89 Prozent aller Menschen vertrauten ihren Ärzten, aber nur 14 Prozent ihren Politikern. Lediglich drei Berufsgruppen erhielten einen höheren Vertrauensvorschuss: Feuerwehrleute, Sanitäter und Krankenpfleger. Allerdings übe die von den 1980er bis zu den frühen 2000er Jahren geborene Generation, selbstbewusst Kritik an anderen. Für sie sei auch der Arzt längst nicht mehr der „Halbgott in Weiß“. Statt sich etwa bei der Wahl eines Krankenhauses auf die Empfehlung des Hausarzts zu verlassen, suchten sie Hilfe und Transparenz im Internet.

Nach wie vor sei eine hohe Werteverpflichtung der Ärztinnen und Ärzte nötig: „Gerade Menschen auf der Suche nach Transparenz wollen einen Wertekanon“, sagte Fifka . Immerhin 67 Prozent aller Menschen hätten heute Angst vor ärztlichen Fehldiagnosen. Hinzu komme die Angst davor, die eigenen Daten könnten in falsche Hände geraten. „Der Patient wünscht sich den persönlichen Kontakt, aber auch Online-Angebote“, sagte Fifka zum Thema Digitalisierung. Schließlich spare er sich online Wartezeit und die Zeit für die Anfahrt. Zudem könne er dadurch auch die Hilfe von Ärzten in Anspruch nehmen, die räumlich weit entfernt sind. Angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft würden telemedizinische Angebote gerade für ältere Menschen auf dem Land immer wichtiger.

Auf die Chancen und Grenzen einer Digitalisierung im ärztlichen Bereich ging auch der Präsident der bayerischen Landesärztekammer, Dr. Gerald Quitterer, in seinem Referat ein. „Digitalisierung ist bereits Teil des Alltags“, sagte Quitterer und verwies unter anderem auf die Forschung mit Big Data und die Telemedizin. Doch welche Daten braucht man wozu und mit welcher Konsequenz? Was passiert mit ihnen und wer ist der Fachmann dafür? Es sei wichtig, dass die Ärzteschaft definiere, wer welche Daten bekomme und dass es eine Plattform für den Datenaustausch zwischen Niedergelassenen und Krankenhausärzten gebe.

„Wir gestalten Versorgung“, sagte Quitterer. Die Ärzteschaft müsse auch die Digitalisierung mitgestalten. Auf keinen Fall dürfe es zu einer Entpersonalisierung des Arztberufs kommen. Damit dies gelinge brauche es mehr Ärzte insgesamt und mehr auf dem Land. Quitterer begrüßte ausdrücklich die Pläne der Staatsregierung, eine Landarztquote einzuführen und die Studienplätze in Bayern auszubauen. Wie auch die ebenfalls anwesende bayerische Gesundheitsministerin, Dr. Melanie Huml, freute er sich über die neue medizinische Fakultät in Augsburg. Weitere Fakultäten müssten in Bayreuth, Regensburg und Passau entstehen.

Sinnvolle Apps könnten im Gesundheitsbereich hilfreich sein, aber man sinnvoll. „Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen“, rief Quitterer die Delegierten auf. Stets sei eine Gratwanderung zwischen Regulierung und Selbstbestimmung nötig.

Bei der anschließenden Arbeitstagung beschlossen die Delegierten dann auch eine Änderung der Berufsordnung (BO) für die Ärzte Bayerns, die eine ausschließliche Fernberatung und -behandlung im Einzelfall erlaubt, „wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird“. Zudem muss der Patient über die Besonderheiten dieser Vorgehensweise aufgeklärt werden. Auf Antrag mehrerer Münchner Delegierter forderte das Ärzteparlament, eine Kommission einzurichten, die sich mit der Erarbeitung von Kriterien für einen solchen Einzelfall befasst.

Der Umgang mit ärztlichen und gesellschaftlichen Werten stand auch im Mittelpunkt der Änderung von Paragraph 15, Abs. 3 der Berufsordnung, der sich mit der ärztlichen Forschung beschäftigt. Als Forscher müssen Ärztinnen und Ärzte „auch im Hinblick auf die Veröffentlichung und Verbreitung von Forschungsergebnissen die Verpflichtungen aus der „Deklaration von Helsinki“ einhalten. Alle Beteiligten müssen nun den anerkannten Leitlinien für ethische Berichterstattung folgen. Dazu gehört auch, negative und nicht schlüssige Ergebnisse genauso zu veröffentlichen wie positive. Finanzierungsquellen, institutionelle Verbindungen und Interessenkonflikte müssen öffentlich gemacht werden.

Um dem in den nächsten Jahren vermutlich noch stärker werdenden Ärztemangel zu begegnen, forderte das Plenum eine Erhöhung der Zahl der bundesweiten Medizinstudienplätze auf 17.000 pro Jahr – auf die Zahl vor der Wiedervereinigung. In einem weiteren Beschluss setzten sich die Delegierten dafür ein, den Masterplan Medizinstudium 2020 umzusetzen. Neben der Abiturnote, einer einschlägigen Berufsausbildung und dem „Medizinertest“ müsse auch soziales, ehrenamtliches oder wissenschaftliches Engagement eine Rolle spielen. Geeignete Auswahlkriterien seien womöglich auch Auswahlgespräche an Universitäten, ein wohnortnaher Studienort und ein gewichtetes Losverfahren.

Im Krankenhausbereich sprachen sich die Anwesenden auf Antrag mehrerer Münchner Delegierter, für eine Unterstützung des Volksbegehrens zum Pflegenotstand aus (s. MÄA 22, S. 6 und 8). Nötig sei außerdem „eine bedarfsgerechte und verbindliche Personalbemessung für alle Gesundheitsberufe, die an Patientinnen und Patienten tätig sind“. Die Delegierten appellierten an einweisende Ärzte, dabei ein „Einweisungsmanagement“ einzuhalten, das die weitere Behandlung erleichtert. Dazu gehörten ausführliche Angaben u.a. zu Diagnosen und Erreichbarkeit bei Rückfragen, ein Medikationsplan auch bei weniger als drei Medikamenten, Informationen über häusliche Pflege, Pflegegrad usw. Die Übermittlung relevanter Vorbefunde sei ebenso wichtig wie ein Hinweis auf das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung mit Angabe von Ansprechpartnern.

Das Ärzteparlament bemängelte auch unwirtschaftliche und unpraktikable Aspekte beim aktuellen Entlassmanagement. Verordnungen für Physiotherapie/Logopädie/ambulante Krankenpflege usw. dürften beispielsweise nur für sieben Tage ausgestellt werden, Medikamentenverordnung dürfe oft nur durch Fachärzte erfolgen und die Packungsgröße entspreche häufig nicht den klinischen Anforderungen. Die Delegierten riefen die Politik dazu auf, die Digitalisierung im ambulanten und stationären Versorgungsbereichen zu fördern, um eine bessere Verzahnung der Sektoren zu gewährleisten. Der Gesetzgeber solle eine Plattform mit entsprechender finanzieller und personeller Ausstattung schaffen.

Ebenfalls auf Antrag mehrerer Münchner Delegierter und Teilen des Vorstands der BLÄK forderte das Plenum, das ehemalige Münchner ÄKBV-Projekt „Den Helfern helfen“(heute PSU-akut e.V.) zur psychosozialen Unterstützung (PSU) für Ärzte/ Ärztinnen und ihre Teams bayernweit verfügbar zu machen. Das Achten von Ärztinnen und Ärzten auf ihre eigene Gesundheit, um Patienten möglichst gut helfen zu können, ist seit 2017 auch Teil des aktualisierten Genfer Gelöbnisses. Auf Beschluss des bayerischen Ärztetags wird dieses Ärztliche Gelöbnis künftig an den Anfang der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns gestellt.

Engagiert zeigten sich die Münchner Delegierten auch nach wie vor zu Fragen der Flüchtlingsversorgung: Alle kleinen begleiteten Flüchtlingskinder müssten von Anfang an, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, in Kindergärten und Schulen gehen können. Zudem müssten in allen Sammelunterkünften für Asylbewerber einschließlich der Ankerzentren besondere Strukturen für "vulnerable" Personen wie Kinder, Frauen, Schwangere, Polytraumatisierte geschaffen werden. Zum Beispiel brauche es abgetrennte Räumlichkeiten für Frauen. Die internationalen Menschenrechtskriterien zur medizinischen Versorgung müssten auf kommunaler, Bezirks- und Landesebene, in (Flüchtlings-) Unterkünften und ähnlichen Gemeinschaftseinrichtungen ermöglicht und gewährleistet sein.

Ein großer Teil der Anträge galt der Förderung der Organspende. Die große Mehrheit sprach sich für die bundesweite Einführung der Widerspruchslösung aus, um mehr Spenderorgane zu erhalten. Die aktuell geltende Zustimmungsregelung habe nicht dazu geführt, die Wartezeiten auf Organe zu verkürzen. Befragungen zeigten, dass 80 Prozent der Bevölkerung einer Organspende positiv gegenüberstehen und einer Organentnahme zustimmen würden. Doch laut dem Jahresbericht der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wurden in Deutschland im Jahr 2017 nur 797 Organspenden durchgeführt. Gleichzeitig warten aktuell mehr als 10.000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Auch die Gewebespende müsse neben der Organspende gleichberechtigt gefördert werden.

Stephanie Hügler